Die FDP sucht nach einer neuen Chance

Keine andere Partei im Bundestag ist so sehr auf ihren Vorsitzenden zugeschnitten wie die FDP auf Christian Lindner.

Keine andere Partei im Bundestag ist so sehr auf ihren Vorsitzenden zugeschnitten wie die FDP auf Christian Lindner.

Berlin. Christian Lindner redet sich in Euphorie, wenn auch mit aggressivem Unterton. „Was für eine wirtschaftliche Lage, in der wir sind!“ ruft der FDP-Vorsitzende im Bundestag aus. Er spricht über „Rekordzahlen bei der Beschäftigung, prosperierende, dynamisch wachsende Staatseinnahmen“. Als er „prosperierend“ sagt, hebt er die Hände und schlägt mit ihnen einen Bogen. Fast so, als wolle er das Wort eigens krönen.

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Doch all das tut Lindner nur, um kurze Zeit später zu beklagen, die große Koalition spare zu wenig und investiere an den falschen Stellen. „Das, was Sie vorgelegt haben, ist ein Haushalt der verpassten Chance“, kritisiert er. Der SPD-Finanzpolitiker Johannes Kahrs ruft mit donnernder Stimme dazwischen: „Sie hätten es ja ändern können.“

Der triste Arbeitsalltag in der Opposition

Der im nordrhein-westfälischen Wermelskirchen aufgewachsene Lindner, der am Montag 40 Jahre alt wird, ist einer der besten Redner im Parlament, viele halten ihn auch für eines der größten politischen Talente seiner Generation. Doch sein Arbeitsalltag sieht so aus: Er hält – wie bei der beschriebenen Haushaltsdebatte im vergangenen Jahr – Union und SPD vor, sie regierten schlecht. Und ihm wird dann entgegengehalten, er hätte ja regieren können.

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Lindner ist die FDP und die FDP ist Christian Lindner. Wo stehen die FDP und ihr Vorsitzender vor dem traditionellen Dreikönigstreffen der Partei in Stuttgart? Wie positioniert sich die FDP etwas mehr als ein Jahr nach dem Abbruch der Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition mit Union und Grünen durch Lindner und sein Führungsteam? Wie sollte sie geschickter Weise auf die Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer zur CDU-Chefin reagieren?

Die FDP liegt in Umfragen stabil bei acht, neun Prozent – aber unter ihrem Bundestagswahlergebnis von 10,7 Prozent. Die Grünen dagegen erreichen in Umfragen 20 Prozent. Der Parteienforscher Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin führt das darauf zurück, dass die FDP nach dem Scheitern von Jamaika als der Verweigerer dastand.

Das Umfragehoch der Grünen

„Die FDP hat die Jamaika-Verhandlungen nach der Bundestagswahl 2017 abgebrochen, weil sie nicht mal wieder als diejenige dastehen wollte, die wegen der Posten in die Regierung geht – ohne ausreichend eigene Inhalte durchzusetzen“, sagt Niedermayer. Die Partei habe diesen Schritt aber nicht erfolgreich kommunizieren können. „Das ist ein wesentlicher Grund, warum die FDP nicht von der Schwäche der großen Parteien profitieren kann.“ Die Grünen, so führt es der Politikwissenschaftler aus, gälten dagegen nun als die Verantwortungsbewussten und befänden sich seit Monaten im Umfragehoch.

Christian Lindner hat zwar gesagt, die Heftigkeit der Reaktionen auf den Abbruch der Jamaika-Gespräche hätten ihn nicht überrascht. Wer ihn in den Monaten danach gelegentlich gesehen hat, wird aber kaum glauben, die Sache habe ihm nicht zugesetzt. Als Angela Merkel ihren Rückzug vom CDU-Vorsitz erklärte, machte Lindner rasch deutlich, ohne Merkel als Kanzlerin sei ein erneuter Anlauf auf eine Jamaika-Koalition natürlich eine Option.

Parteienforscher Niedermayer glaubt, die FDP könne jetzt von den Veränderungen bei der Union profitieren, müsse dafür aber noch mehr tun. „Mit der Wahl von Friedrich Merz hätte sich die CDU für einen Vorsitzenden entschieden, der wirtschaftspolitisch nah bei der FDP liegt, sagt er. Und ergänzt: „Die Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer ist für die FDP also von großem Vorteil, weil diese CDU-Chefin der FDP einen viel größeren Profilierungsspielraum lässt.“ Die FDP müsse diesen Spielraum aber auch nutzen. Sie müsse laut ausrufen: „Wir sind die Partei der Leistungsträger!“ Das nehme er so noch nicht wahr, sagt Niedermayer. „Da verspielt die FDP Chancen.“

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Würde das schon ausreichen, damit die FDP zu größerer Kraft findet? Andreas Rödder, Professor für Neueste Geschichte an der Universität Mainz, sieht die Partei in grundlegenden Schwierigkeiten – inhaltlich und personell. "Die FDP ist nicht überflüssig geworden, aber an den Rand gerückt", analysiert er. Die Union habe sich in den vergangenen Jahren immer stärker zu den Grünen orientiert. Die FDP komme meist nur noch in Dreierbündnissen zum Zug – ob in Jamaika-Konstellationen oder mit SPD und Grünen. "Diese Anschlussfähigkeit zu verschiedenen Seiten ist im Vielparteiensystem für die FDP überlebensnotwendig", befindet Rödder. "Es ist so aber auch schwieriger für sie, als inhaltlich konsistent wahrgenommen zu werden."

Eine Frage der Bürgerrechte

Keine andere Partei im Bundestag ist so sehr auf eine Person zugeschnitten wie die FDP auf Christian Lindner. Ohne ihn, so glauben viele in der Partei, hätte es die FDP nach dem Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde im Jahr 2013 nicht zurück in den Bundestag geschafft. Das schafft eine Machtbasis – und die hielt auch, als Lindner nach dem Scheitern von Jamaika in die öffentliche Kritik geriet. Selbst im vertraulichen Gespräch gibt es nicht viele in der FDP die sich kritisch äußern. Meist geht es dann darum, dass Lindner es damit übertreibe, sich nur mit Gefolgsleuten zu umgeben.

„Die FDP hat mit Lindner eine starke Figur an der Spitze“, sagt Rödder. „Die Partei wird aber als One-Man-Show wahrgenommen – ohne ausreichende inhaltliche Unterfütterung.“ Die FDP, so sagt der Wissenschaftler, hätte ja mit der Kombination von liberaler Wirtschaftspolitik und Bürgerrechtspolitik durchaus etwas zu bieten. Aber gerade letztere habe die FDP in den vergangenen Jahrzehnten zu wenig gepflegt. „Es sagt doch alles, dass man bis heute beim Stichwort Bürgerrechte in der FDP am ehesten an Gerhart Baum denkt“, erklärt Rödder. Die FDP müsse aufpassen, dass ihnen die Grünen das Thema nicht ganz abjagten.

Die FDP muss zurzeit abwarten, ob sich ihr neue Regierungschancen eröffnen – etwa dadurch, dass die SPD es im Lauf des nächsten Jahres doch nicht mehr in der großen Koalition aushält. Selbst hat Lindner das nicht in der Hand. So wird es wohl noch manches Mal Szenen geben wie in der beschriebenen Haushaltsdebatte, als Lindner sagt, Deutschland werde im Jahr 2019 Vize-Weltmeister bei Steuern und Abgaben sein. "Beim Fußball sind wir in der Vorrunde ausgeschieden. Umgekehrt wäre es besser gewesen", führt Lindner aus.

Und Johannes Kahrs ruft rein: „Die FDP hat es ja nicht mal in die Vorrunde geschafft.“

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Von Tobias Peter/RND

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