Deutschland kann Flüchtlinge leichter in EU-Länder abschieben

Über Flughäfen in Nordrhein-Westfalen wurden im vergangenen Jahr 5295 Menschen abgeschoben.

Über Flughäfen in Nordrhein-Westfalen wurden im vergangenen Jahr 5295 Menschen abgeschoben.

Luxemburg. Deutschland kann Flüchtlinge jetzt leichter in EU-Staaten abschieben. Asylbewerber dürfen wegen Unzuständigkeit in ein anderes europäisches Land abgeschoben werden, selbst wenn ihnen dort große Armut droht. Verboten sei die Abschiebung erst, wenn die Menschen in dem anderen Land so schlecht behandelt werden, dass dies einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichkomme, urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag in Luxemburg.

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Dies sei dann der Fall, wenn der Betroffene sich dort in extremer materieller Not befinde, elementarste Bedürfnisse nicht befriedigen könne oder er verelenden würde.

Konkret ging es um Abschiebungen aus Deutschland nach Italien, Bulgarien und Polen. Der EuGH erklärte Abschiebungen für verboten, wenn der Betroffene in dem anderen Land in extreme materielle Not geraten könne, die seine Gesundheit gefährde oder menschenunwürdig sei. Das hieße zum Beispiel, sich nicht mehr ernähren und waschen zu können und keine Unterkunft zu finden.

34.000 solcher Abschiebungen 2018 gescheiter

Hintergrund der EuGH-Urteile sind mehrere Fälle, bei denen deutsche Gerichte den EuGH um Auslegung der EU-Asylregeln gebeten hatten. In einem Fall sollte ein Mann aus Gambia nach Italien abgeschoben werden, weil er dort bereits einen Asylantrag gestellt hatte. Dies scheiterte jedoch, weil er nicht in seiner Unterkunft war.

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Hier lesen: Mehr als jede zweite Abschiebung in 2018 gescheitert

Später argumentierte der Mann, seine Abschiebung sei unzulässig, weil die Bedingungen für Asylbewerber und die Verhältnisse für Flüchtlinge in Italien systematische Schwachstellen aufwiesen. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg bat den EuGH deshalb um Auslegung der Dublin-Regeln. Zudem wollten die Richter wissen, welche Regeln gelten, wenn ein wegen mangelnder Zuständigkeit abgelehnter Asylbewerber nicht abgeschoben werden kann, weil er unauffindbar ist.

2018 scheiterten nach Angaben des Innenministeriums knapp 34 000 solcher Überstellungen in einen anderen europäischen Staat. In mehr als der Hälfte war der Betroffene unauffindbar.

Was ist die Dublin-Regel?

Nach der Dublin-Regel ist normalerweise das Land für Schutzsuchende zuständig, in dem sie zuerst europäischen Boden betreten haben. Migranten, die unerlaubt weiterreisen, können in der Regel innerhalb von sechs Monaten in ihr Ankunftsland zurückgeschickt werden.

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Nach Angaben des Bundesinnenministeriums schiebt Deutschland nach Ungarn, Griechenland und Bulgarien derzeit nur sehr begrenzt oder gar nicht ab. Es sei nicht sichergestellt, dass der Umgang mit den Migranten in diesen Ländern EU-Recht entspreche.

In anderen Fällen wollte das Bundesverwaltungsgericht vom EuGH wissen, ob ein Asylantrag allein deshalb abgelehnt werden kann, weil der Bewerber in einem anderen Land bereits subsidiären Schutz genießt. Dabei geht es unter anderem um die Frage, ob es eine Rolle spielt, dass existenzsichernde Leistungen in dem anderen Land fehlen oder unzulänglich sind. Hintergrund sind mehrere Fälle, bei denen Asylanträge abgelehnt worden waren, weil den Betroffenen in Bulgarien oder Polen bereits subsidiärer Schutz gewährt worden war.

Dieser eingeschränkte Schutz gilt für Menschen, die nicht als politisch verfolgt gelten, aber trotzdem bleiben dürfen, weil ihnen in der Heimat „ernsthafter Schaden“ droht - etwa Folter, Todesstrafe oder willkürliche Gewalt in einem bewaffneten Konflikt. Häufig fallen Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien darunter.

Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens

Der EuGH verwies am Dienstag darauf, dass das europäische Asylsystem auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens beruhe. Wenn die Schwachstellen im Sozialsystem eines Landes jedoch erheblich seien, dann dürfe dorthin nicht abgeschoben werden.

Allein große Armut oder eine Verschlechterung der Lebensverhältnisse erreichen die Schwelle nach Ansicht der Richter nicht, wenn sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, die zu unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung führt.

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Zur Frage der subsidiär Schutzberechtigten, die woanders erneut einen Asylantrag stellen, urteilten die Luxemburger Richter, dieser könne auch dann abgelehnt werden, wenn existenzsichernde Leistungen in dem ersten Land deutlich eingeschränkt seien. Unzulässig sei die Ablehnung auch hier, wenn der Betroffene in dem Land in extremer materieller Not wäre.

Abschließend befanden die Richter, ein Asylbewerber gelte dann als flüchtig, wenn er sich der Abschiebung gezielt entziehe. Dies sei dann der Fall, wenn er seine Wohnung verlasse, ohne die zuständigen Behörden zu informieren. Über diese Informationspflicht müsse er jedoch zuvor unterrichtet worden sein. Sollte ein Asylbewerber nicht geflohen sein und die sechsmonatige Frist zur Abschiebung in den eigentlich zuständigen Staat abgelaufen sein, könne der Betroffene geltend machen, dass nun der neue Staat für ihn zuständig sei.

Weiterlesen: Bundespolizei überlastet: Keine Chance für mehr Abschiebungen

(Rechtssachen C-163/17, C-297/17, C-318/17, C-319/17, C-438/17).

Von RND/dpa/ka

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