Kommentar

Ein deutscher Doppelwumms für die Welt

Der zentrale Gewinn liegt im Psychologischen: Bundeskanzler Olaf Scholz beim jüngsten EU-Gipfel in Brüssel.

Der zentrale Gewinn liegt im Psychologischen: Bundeskanzler Olaf Scholz beim jüngsten EU-Gipfel in Brüssel.

Im Bundesrat rollten am Freitag die Pakete vom Band wie bei Amazon. Über viele bange Wochen hinweg hatte die Ampelkoalition mit ihrem Hin und Her rund um Preisdeckel bei Gas und Strom Land und Leute verwirrt. Doch jetzt, zum Jahresschluss, ändert sich das Bild. Was die Politik zugesagt hat, wird nun auch geliefert, pünktlich vor Weihnachten.

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Der zentrale Gewinn liegt jenseits aller Details im Psychologischen. Olaf Scholz und seine Doppelwumms-Politik haben verhindert, dass Deutschland in einer der schwierigsten Phasen seit dem Zweiten Weltkrieg die Nerven verliert.

Als die Deutschen begannen, ihr großes Entlastungspaket zu schnüren, gab es Augenrollen: bei besorgten heimischen Wirtschaftsexpertinnen und ‑experten und auch bei Partnern in der EU. 200 Milliarden Euro? Ist das nicht ein bisschen zu groß dimensioniert?

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Putins Drehbuch sah anders aus

Tatsächlich erzeugt Berlin jetzt gigantische finanzielle Lasten und schiebt sie in die Zukunft. Doch dies geschieht in einem historischen Moment, der ein solches Manöver nicht nur erlaubt, sondern ethisch gebietet – gerade mit Blick auf künftige Generationen. Im Konflikt mit dem aggressiv gewordenen Russland Wladimir Putins geht es um nichts Geringeres als die Sicherung einer Zukunft in Würde, Freiheit und Frieden.

Deutschlands Doppelwumms hilft in Wahrheit auch allen ringsum: den EU-Europäern, der Nato, der Ukraine. Niemand hätte etwas davon, wenn die führende Wirtschaftsmacht Europas jetzt politisch in die Knie ginge.

Putins Drehbuch sah anders aus. Der russische Präsident wollte Europa spalten und nicht zuletzt die Deutschen durcheinanderbringen. Der Kriegsherr im Kreml hoffte auf eine Sonderbeziehung Berlins zu Moskau, vorbei an EU und USA.

Stromausfälle in vielen Regionen: Russland greift Ukraine großflächig mit Raketen an
dpatopbilder - HANDOUT - 16.12.2022, Ukraine, Krywyj Rih: Ein Wohnhaus steht in Trümmern. Laut Angaben der Ukraine haben russische Streitkräfte am Freitag, den 16.12.2022, in der gesamten Ukraine mindestens 60 Raketenangriffe durchgeführt, wobei es in mindestens vier Städten zu Explosionen kam. Foto: ---/Ukrainian Emergency Service via AP Photo/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++

Russland beschießt mit Dutzenden Raketen die Ukraine, im ganzen Land heulen die Sirenen.

Tatsächlich aber stieß Putins militärischer Angriff auf die Ukraine ebenso auf verblüffende Gegenwehr wie sein Energiekrieg gegen Deutschland. Die Gasspeicher sind besser gefüllt, an diesem Wochenende gehen in Wilhelmshaven die ersten neuen LNG-Terminals ans Netz. Das Tempo, mit dem Deutschland seine Abhängigkeit von Russland reduziert, findet weltweit ebenso Anerkennung wie die Festigkeit, mit der Berlin soeben die Westbindung erneuert hat. Das 100-Milliarden-Euro-Paket für die Bundeswehr, die Flugabwehrwaffen Gepard und Iris-T für die Ukraine und das am Freitag beschlossene Milliarden-EU-Paket für zivile Hilfen sind Elemente einer deutschen Politik, die stets besonnen blieb – aber den Rücken gerade machte.

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Der „heiße Herbst“ blieb ziemlich ruhig

Putins Entzauberung schreitet fort. Noch Anfang Dezember drohte er, die Ölmärkte der ganzen Welt in Turbulenzen zu stürzen, falls die EU es wagen sollte, seine Geschäfte mit einer Preisbremse zu erschweren. Tatsächlich aber trat inzwischen die von Brüssel erhoffte Beruhigung ein. Putin beliefert jetzt Chinesen und Inder kleinlaut unter Weltmarktpreisen. Seine jahrzehntelang besten Kunden, Europäer und Amerikaner, hat der als Stratege heillos überschätzte Kremlherr vergrault.

Berlin indessen sieht auf der internationalen Bühne erstaunlich gut aus. Das hat nicht nur, aber auch mit dem oft kühl wirkenden, aber klug agierenden deutschen Kanzler zu tun – dem aber auch eine ebenso kluge breite Mehrheit im Volk den Rücken stärkte: Immer wieder standen und stehen laut Umfragen gut zwei Drittel der Deutschen hinter Hilfen für die Ukraine.

In der „Washington Post“ lobte schon im September der CNN-Europaexperte Fareed Zakaria das deutsche Festhalten an Demokratie, Umsicht und Charakter als „Inspiration in dunkler Zeit“. Der Mann behielt zum Glück Recht. Für einen egoistischen Aufstand der Unanständigen, an der Seite Putins und gegen die Angegriffenen, gibt es in Deutschland keine Mehrheit. Der hierzulande von vielen befürchtete „heiße Herbst“ blieb ziemlich ruhig.

Auf der Straße sah man dagegen 3000 Polizistinnen und Polizisten bei der bundesweiten Razzia gegen die „Reichsbürger“. Rückt in Deutschland die Mitte neu zusammen? Definiert sie gar die Ränder neu – und strenger? Das wäre ein weiterer positiver Wumms für die Welt.

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