Städtepartnerschaften: Wer distanziert sich von seinen Russland-Freunden?
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Zeichen der deutsch-russischen Freundschaft: offizielle Kontakte zu Russland liegen auf Eis, trotzdem scheint eine Russland-Verklärung Spuren hinterlassen zu haben.
© Quelle: dpa
Berlin. Städtepartnerschaften gehören zum guten Ton in der Kommunalpolitik. Quasi alle größeren deutschen Städte pflegen Kooperationen mit Partnern im Ausland – bis zum Angriff auf die Ukraine auch mit Russland. Knapp 100 dieser Partnerschaften listet der Rat der Gemeinden und Regionen Europas auf.
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Viele entstanden im Zuge der Öffnung des eisernen Vorhangs als Aussöhnung zwischen Tätern und Opfern des Zweiten Weltkriegs, auch wirtschaftliche Interessen spielten bisweilen eine Rolle. Hinzu kommen die langjährigen Partnerschaften zwischen Städten in Ostdeutschland und Russland, die zu DDR-Zeiten Teil der staatlich verordneten deutsch-sowjetischen Freundschaft waren und das Ende der SED-Herrschaft vielfach überdauerten.
Angesichts der russischen Gräueltaten in der Ukraine stellen sich immer mehr Bürgermeister und Stadträte die Frage, wie man mit den alten Partnerschaften umgehen soll. Die meisten liegen derzeit auf Eis, wie eine Umfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) unter deutschen Großstädten ergeben hat.
Hamburg legt Partnerschaft mit St. Petersburg auf Eis
Im Hamburg etwa ruhen derzeit sämtliche Aktivitäten mit der Partnerstadt St. Petersburg. Die Kooperation reicht weit zurück: Bereits 1957 wehten Hammer und Sichel über dem Hamburger Rathaus und begründeten so die Partnerschaft mit der sowjetischen Metropole, die damals noch Leningrad hieß. Die damalige Adenauer-Regierung empfand das als Provokation.
Die Kooperation hat bis heute Bestand, der Erste Bürgermeister wollte der russischen Hafenstadt in diesem Jahr sogar zur „deutschen Woche“ einen Besuch abstatten. Solche und andere andere Besuche wurden abgesagt, grundsätzlich aber möchte die Freie und Hansestadt an der Partnerschaft festhalten.
In Köln gibt es Protest
So wie in Hamburg halten es die meisten Stadtverwaltungen in Deutschland. Viele haben ein offizielles Aussetzen ihrer Beziehungen verkündet, keine Partnerschaft wurde wegen des Krieges aufgekündigt. Auch in Köln ruht die Kooperation mit der Stadt Wolgograd, die im Zweiten Weltkrieg noch unter dem Namen Stalingrad traurige Berühmtheit erlangte. Dagegen protestiert hat der dortige Partnerschaftsverein Köln-Wolgograd. Hier scheinen zumindest Teile Sympathie für die russische Darstellung zu hegen.
In einer Rede auf einer Friedensdemonstration, deren Abschrift sich auf der Website des Vereins findet, rief ein Vorstandsmitglied zur „Volksdiplomatie“ auf und stellte die Berichterstattung etablierter Medien über den Krieg in der Ukraine infrage. Zitiert wurde dabei das Schweizer Verschwörungsblatt „Zeit-Fragen“. In dem betreffenden Artikel werden die Medien selbst als Kriegspartei bezeichnet und die westlichen Staaten als „wahre Aggressoren“ des Konflikts beschrieben.
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© Quelle: Reuters
Distanzieren möchte sich die Stadt Köln nicht von dem Verein. Ein Sprecher betont gegenüber dem RND, dass der Partnerschaftsverein sich von dem russischen Angriff distanziert habe. Ein Projekt des Vereins, mit dem ehemaligen Zwangsarbeitenden in Wolgograd geholfen werden soll, unterstützt die Stadt weiterhin finanziell. Das problematische Zitat findet sich seit der RND-Anfrage nicht mehr auf der Website.
Kassel distanziert sich von Gazprom-Partnerschaft
Deutsch-russische Städtepartnerschaften entstanden allerdings nicht nur mit der ideellen Absicht, Aussöhnung und Verständigung zwischen ehemaligen Feinden zu schaffen, auch wirtschaftliche Interessen spielten immer eine Rolle. Die Stadt Kassel unterhält beispielsweise eine Beziehung zum sibirischen Nowi Urengoi, einer Stadt, die im Zuge von Gasbohrungen in den 1970er-Jahren entstand und wirtschaftlich vor allem von Gazprom dominiert wird.
Auch diese Kooperation, an der der in Kassel ansässige Gasproduzent Wintershall Dea beteiligt ist, ruht seit dem russischen Angriff auf die Ukraine. „Jetzt ist nicht die Stunde der ‚kleinen‘ Außenpolitik, sondern die Zeit der klaren Haltung und eindeutigen Signale“, sagte Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) dem RND.
Die Oberbürgermeister anderer Städte wie Düsseldorf, Osnabrück, Dresden oder Cottbus haben hingegen in Briefen an ihre Amtskollegen in Russland ihr Bestürzen über das Handeln der russischen Führung ausgedrückt. Eine Antwort erhielten sie nach eigenen Angaben zumeist nicht.
„Städtepartnerschaften sind in Friedenszeiten von großer Bedeutung, in Krisenzeiten sind sie von noch größerer Bedeutung“, heißt es beispielsweise aus dem Stuttgarter Rathaus, das eine Partnerschaft mit der Stadt Samara unterhält. „Ich bin dagegen, den Stab über alle Russen zu brechen, und plädiere für eine Trennung zwischen der russischen Staatsführung und der russischen Zivilgesellschaft“, erklärte Stuttgarts Oberbürgermeister Nopper (CDU).
Keinerlei Kontakte zur politischen Opposition in Russland
Mit Russlandpartner.de existiert sogar ein eigenes Internetportal für deutsch-russische Städtepartnerschaften, betrieben vom „Deutsch-Russischen Forum“ und nach eigenen Angaben gefördert vom Außenministerium. Dort heißt es dazu, dass die Entscheidung über Aussetzung oder Fortführung von zivilgesellschaftlichen Projekten mit Russland mit den einzelnen Trägern in Einzelfallprüfung beraten wird.
Zwar betonen alle Stadtverwaltungen den zivilgesellschaftlichen Charakter ihrer Beziehungen zu Russland, Verbindungen zur russischen Opposition schließt das allerdings nicht ein. Zumindest von den größeren deutschen Städten mit einer Partnerstadt in Russland gab niemand an, im Zuge solcher Beziehungen auch Kontakt zu Oppositionellen zu haben.