Politikwissenschaftler über Ost und West: „Innere Einheit ist vielleicht nur eine Utopie“
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Die Einheitsexpo in Halle an der Saale.
© Quelle: Thomas Meinicke/Tag der Deutsche
Potsdam. Der Potsdamer Politikwissenschaftler Jochen Franzke ist skeptisch, was die Deutsche Einheit 31 Jahre nach der Wiedervereinigung betrifft.
„Die Vorstellung einer sogenannten ‚inneren Einheit‘ ist entweder noch lange nicht erreicht oder ohnehin nur eine Utopie“, sagte Franzke der „Leipziger Volkszeitung“ (LVZ) in einem Interview. Deutschland befinde sich „in einem Prozess des Zusammenwachsens, der aber noch lange nicht so weit fortgeschritten ist, wie manche sich das vorstellen.“
Sozialer Rückstand Ostdeutschlands spielt „entscheidende Rolle“ beim Wahlverhalten
Das ließe sich auch am Ergebnis der diesjährigen Bundestagswahl feststellen. „Beim Wahlverhalten vieler Ostdeutscher spielt vor allem der soziale Rückstand Ostdeutschlands gegenüber dem Westen eine ganz entscheidende Rolle“, stellte Franzke fest.
Für das erneut zweistellige Ergebnis der AfD bei der Bundestagswahl und ihre zahlreichen Direktmandate im Osten Deutschlands findet Franzke zwei Erklärungen. Etwa die Hälfte der AfD-Wähler seien weiterhin Protestwähler, vermutet der Politikwissenschaftler. „Denen ist offenbar völlig egal, dass sie einer in Teilen rechtsradikalen Partei ihre Stimme geben“, fügte er hinzu.
Andererseits werde das konservativ-nationale Milieu unterschätzt, „das schon lange in diesen Regionen vorhanden ist, und in der AfD eine politische Repräsentanz gefunden hat.“ Dieses Milieu sei auch schon zu DDR-Zeiten da gewesen.
Repräsentation von Ostdeutschen in der Politik: mangelhaft
Dass in hohen Positionen der Politik nur wenige Ostdeutsche vertreten sind, sieht Franzke nicht durchweg negativ. Man dürfe nicht vergessen, dass nur 20 Prozent der Wähler aus dem Osten kämen. Dennoch: Bei der Sichtbarkeit von Ostdeutschen in der Politik sei man „nicht sehr weit gekommen“.
Auch wenn Angela Merkel oft das Paradebeispiel für Ostdeutsche in der Politik sei, äußert sich Franzke kritisch: „Sie ist nicht gerade bekannt dafür, besonders viel für den Osten getan zu haben – im Unterschied zu den Herren aus Bayern, die ihre Positionen im Bund genutzt haben, um etwas für ihre Region zu tun.“
Auch auf niedrigeren Ebenen seien Ostdeutsche oftmals unterrepräsentiert: „Ein Bundeswehrgeneral aus Ostdeutschland? Fehlanzeige.“ Im Hinblick auf die anstehende Regierungsbildung vermutete Franzke, dass die Parteien sich bemühen würden, ostdeutsche Gesichter in die Bundesregierung zu holen.
Für die Zukunft blieben drei Themen im Osten wichtig: „Man muss auf die sozialen Verhärtungen eingehen, aber auch die ungleiche Rente und die immer noch bestehende Lohnlücke“. Zudem sei die Klimawende im Osten ein existentielles Thema: „Der Ausstieg aus der Kohle wird in der Lausitz für heiße Auseinandersetzungen sorgen. Man hat sich auf 2038 geeinigt, jetzt könnte der Termin vorgezogen werden. Vieles wird davon abhängen, einen Kompromiss zu finden, der die Region mitnimmt.“
RND/sic