Der Tod der Kasia Lenhardt
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Die mittlerweile verstorbene Kasia Lenhardt 2012 in Berlin.
© Quelle: imago images/APress
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
mit Sicherheit werden sich viele von Ihnen noch gut an Ihren Deutschunterricht erinnern. Mittlerweile ist es zwar 46 Jahre her, dass Heinrich Böll in seiner Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ beschrieb, wie eine junge Frau über Nacht zum Opfer der Boulevardpresse wurde. Doch Böll, der kurz vorher selbst Opfer einer Medienkampagne geworden war, wusste schon damals wovon er schrieb. Warum ich so weit aushole? Weil es um Kasia Lenhardt geht. Mutter, Model und Ex-Freundin des FC-Bayern-Profis Jérôme Boateng. Und es geht um Kasia Lenhardts Geschichte, die sich wie die Fortsetzung einer modernen „Katharina Blum“ liest, weil auch sie spätestens mit der Trennung von Boateng zum Opfer einer medialen Schlammschlacht wurde, die an Sensationsgier, Häme und öffentlicher Zurschaustellung schwer zu überbieten ist.
Kasia Lenhardt ist seit vergangenem Dienstag tot. Mutmaßlich soll die 25-Jährige Suizid begangenen haben. Normalerweise berichten wir in so einem Fall nicht. In den Richtlinien des Deutschen Presserates, denen auch wir uns verpflichtet haben, heißt es: „Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen und die Schilderung näherer Begleitumstände.“ Es gilt den „Werther-Effekt“ zu vermeiden, wonach es laut Medienwissenschaft einen Zusammenhang zwischen Berichterstattung und Nachahmereffekten geben soll.
Doch im Fall der 25-jährigen Kasia Lenhardt geht es um mehr: Es geht um die Verantwortung, die wir als Medienschaffende täglich tragen, eben weil wir über Menschen berichten. Aber es geht auch um uns als Zuschauer und die Frage, die sich jeder immer wieder selbst stellen muss, wenn er mal wieder durch die einschlägigen Portale scrollt: Ist das noch Interesse oder eigentlich schon Voyeurismus? Mein Kollege und Leiter unseres Gesellschaftsteams, Imre Grimm, fasst all das in seiner einprägsamen Analyse zum Tod von Kasia Lenhardt zusammen: „Lenhardts Tod als direkte Folge von Schlagzeilen zu bezeichnen wäre spekulativ. Niemand weiß Genaueres über das Beziehungsgeflecht, in dem sie sich verheddert haben könnte. Sicher aber ist, dass Worte Folgen haben.“
Über die genauen Umstände des Todes von Kasia Lenhardt lässt sich nur spekulieren. Doch eben das verbietet sich. Kasia Lenhardts Geschichte beginnt deshalb auch nicht erst vergangenen Dienstag. „Der Tod hat eine Vorgeschichte, und sie verrät viel über die Mechanismen eines Teils der modernen Medienwelt, die ihr Heil darin sieht, Menschen bedenkenlos als Gossipobjekte und Glamourrohstoff auszubeuten, erst recht, wenn diese von sich aus nach Aufmerksamkeit streben“, schreibt Kollege Grimm.
Güllner weiß, was Deutschland über den Lockdown denkt
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© Quelle: imago images/Independent Photo Agency Int.
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