Gastbeitrag von Christoph Heusgen und Stephen Hadley

Der Preis für Putins Krieg: „Ukraine parallel zu Friedens­abkommen in die Nato aufnehmen“

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.

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In diesem Gastbeitrag für das Redaktions­Netzwerk Deutschland entwickeln Christoph Heusgen und Stephen Hadley gemeinsam ein Szenario, wie die künftige Sicherheits­architektur für die Ukraine, aber auch der Nato, aussehen könnte – gegen Russland. Heusgen war langjähriger Berater der ehemaligen Bundes­kanzlerin Angela Merkel und Deutschlands UN-Botschafter bei den Vereinten Nationen. Jetzt leitet er die Münchner Sicherheits­konferenz. Stephen Hadley war Berater für Nationale Sicherheit in der zweiten Amtszeit von US-Präsident George W. Bush.

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Auf dem Nato-Gipfel in Bukarest im Jahr 2008 waren wir unterschiedlicher Meinung, ob die Ukraine für eine Mitgliedschaft bereit ist. Im Ergebnis wurde der Ukraine kein sogenannter Membership Action Plan angeboten. Nach 2008 und bis zu Präsident Putins Angriff auf die Ukraine im Jahr 2014 hat die Nato die in Bukarest vage geäußerte Aussicht, die Ukraine eines Tages aufzunehmen, nie wieder ernsthaft erörtert. Der bevorstehende Nato-Gipfel in Vilnius im Juli ist der richtige Zeitpunkt, diese Perspektive zu konkretisieren. Diesmal sind wir uns einig: Die Nato sollte aufzeigen, wie die Ukraine an eine Mitgliedschaft herangeführt werden kann und den Weg zu einem Nato-Beitritt ebnen, sobald der russische Angriffskrieg erfolgreich zurück­geschlagen wurde.

Der Leiter der Münchner Sicherheits­konferenz Christoph Heusgen und der ehemalige Berater des Ex-US-Präsidenten George W. Bush.

Der Leiter der Münchner Sicherheits­konferenz Christoph Heusgen und der ehemalige Berater des Ex-US-Präsidenten George W. Bush.

Vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Jahr 2014 hatten wir eine gewisse Sympathie für die Vorstellung, dass die Ukraine eine Brücke zwischen Russland und dem Westen sein könnte – mit wirtschaftlichen Beziehungen sowohl zur EU als auch zu Russlands Eurasischer Union und einer militärischen Aufstellung, die niemanden bedrohte, ähnlich dem ehemaligen finnischen Modell.

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Selenskyj in Moldau: Ukraine ist bereit für die Nato

In Bulboaca kommen am Donnerstag die Staats- und Regierungschefs aus 47 Ländern der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) zusammen.

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine im Jahr 2014 machte diese Vorstellung zunichte, insbesondere für die Ukrainer. Mit dem Angriff förderte Russland genau das zutage, was es später als Beeinträchtigung seiner Sicherheits­interessen ansah. Es brachte die Nato-Erweiterung wieder auf die Tagesordnung. Und erst dann begann die Nato damit, ihre Infrastruktur näher an Russland zu verlegen, um weitere russische militärische Abenteuer in Europa abzuschrecken.

Die letzte Hoffnung, dass die Ukraine zu einer Brücke zwischen Ost und West werden könnte, spiegelte sich in den Minsker Vereinbarungen wider, aber deren Umsetzung scheiterte an der russischen Unnachgiebigkeit. Es ist falsch zu behaupten, dass beide Seiten gleichermaßen für die Nichtumsetzung von Minsk verantwortlich waren. Es war Moskau, das sich nicht an den Waffen­stillstand hielt und seine schweren Waffen und Söldner nicht aus den besetzten Gebieten abzog. Es war Russland, das den OSZE-Beobachtern keine Bewegungs­freiheit gewährte. Kein Wunder, dass das ukrainische Parlament, die Rada, zögerte, Änderungen an der ukrainischen Verfassung vorzunehmen.

Putin will die ukrainische Souveränität auslöschen

Mit der erneuten Invasion der Ukraine im Jahr 2022 wurde deutlich, dass das eigentliche Ziel von Wladimir Putin darin bestand, die ukrainische Souveränität auszulöschen und der Existenz der Ukraine als unabhängige Nation ein Ende zu setzen, indem sie in ein wieder­hergestelltes russisches Reich eingegliedert wird. Dieses umfasst, was Putin als „historische russische Gebiete“ bezeichnet, nämlich die Ukraine, Weißrussland, Moldawien, die baltischen Staaten, Teile Polens – und vieles mehr.

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Putins imperialistische Vision bedroht den Frieden in Europa. Und die Ukraine ist für seine Vision von zentraler Bedeutung – ohne die Ukraine kann es kein wieder­hergestelltes russisches Reich geben. Für Russland und die Russen selbst ist eine positive Zukunft wahrscheinlicher, wenn Putins imperialistische Ambitionen scheitern.

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Der Erfolg der geplanten ukrainischen Gegen­offensive ist entscheidend, um diese Vision zu vereiteln und Putin zu zwingen, seine Invasion zu beenden. Wenn dies zu Friedens­­verhandlungen führen würde, könnte sich die Ukraine zu schmerzhaften territorialen Zugeständnissen an Russland gezwungen sehen. Dies würde Putins Invasion belohnen. Und angesichts der schlechten Bilanz Russlands bei der Einhaltung von Vereinbarungen kann ein erneuter Vertragsbruch und eine Wiederaufnahme seiner Aggression zu einem späteren Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden.

Putin muss einen strategischen Preis für seinen Krieg zahlen

Um Russland einen strategischen Preis für seine Invasion der Ukraine bezahlen zu lassen und von einer Wiederaufnahme des Krieges abzuschrecken, sollte die ukrainische Mitgliedschaft in der Nato (wie auch in der EU) parallel zu einem ausgehandelten Friedens­abkommen angestrebt werden. Bis zu einem tatsächlichen Beitritt muss die Ukraine noch einiges tun, um sich auf die Mitgliedschaft vorzubereiten, unter anderem durch die weitere Verbesserung ihrer Regierungs­führung und die Bekämpfung der Korruption. Die Sicherheits­garantien der Nato-Mitgliedschaft werden entscheidend sein, um Investitionen anzuziehen und den Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg zu finanzieren. Vilnius ist der richtige Moment, um in dieser Hinsicht transatlantische Einigkeit zu demonstrieren.

Sollte der Krieg ohne eine Einigung und in einer Pattsituation enden – ein „eingefrorener“ Konflikt mit einer „heißen“ Kontrolllinie –, müsste die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine zunächst auf Eis gelegt werden, um zu verhindern, dass die Nato in einen direkten Konflikt mit Russland verwickelt wird und einen Atomkrieg riskiert.

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Bei einem eingefrorenen Konflikt müsste eine Nato-Mitgliedschaft auf Eis gelegt werden

In diesem Fall sollten sich Europa, die Vereinigten Staaten und andere Unterstützer der Ukraine dazu verpflichten, diese mit Ausbildung, nachrichten­dienstlichen Informationen und Ausrüstung zu versorgen und die Verteidigungs­industrie des Landes aufzubauen. So würde die Ukraine dazu befähigt, einen erneuten russischen Angriff abzuschrecken und sich gegen einen solchen zu wehren, sollte die Abschreckung versagen. Vorbild ist hier das Engagement der USA für Israel – ein „qualitativer militärischer Vorsprung“ und „die Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen“. Wie im Falle Israels würde dies die Stationierung von Truppen vor Ort ausschließen.

Alarm am Himmel – wie die Nato den Krieg im deutschen Luftraum simuliert

Vom 12. bis zum 23. Juni wird über Deutschland ein gigantisches Manöver von Nato-Luftstreitkräften stattfinden. 239 Flugzeuge aus 25 Nationen nehmen teil. Das könnte nicht nur für Turbulenzen im Luftverkehr sorgen. Friedenaktivistinnen und ‑aktivisten organisieren bereits Proteste, Rechte wittern die Verschwörung.

Parallel dazu muss die Nato ihre eigenen Verteidigungs­kapazitäten ausbauen, um weitere russische Offensiven in der Ukraine oder anderswo abzuschrecken. Insbesondere die Europäer müssen nicht nur ihre Verteidigungs­haushalte aufstocken – für Deutschland bedeutet dies, dass es endlich seine Zusage umsetzt, 2 Prozent des Bruttoinlands­produkts für die Verteidigung auszugeben –, sondern auch echte militärische Fähigkeiten aufbauen, die Russland abschrecken und es besiegen, wenn die Abschreckung versagt. Dies ist entscheidend für die Wahrung des Friedens in Europa: Freiheit muss besser gerüstet sein als Tyrannei!

Als die Nato 2008 davon absah, der Ukraine und Georgien eine konkrete Mitgliedschafts­perspektive in Aussicht zu stellen, eröffnete sie Putins Russland einen Weg zur Zusammen­arbeit auf Basis der Nato-Russland-Grundakte von 1997. Putin hat diese Chance nicht ergriffen und den Weg der Aggression gewählt. Wladimir Putin trägt persönlich Verantwortung für diesen Krieg, für den Tod von Tausenden von Ukrainern, für das Leid von Millionen weiterer Menschen und für die wirtschaftliche Not und Unsicherheit, die dieser Krieg der ganzen Welt gebracht hat. Seine Vision eines russischen Imperiums muss in der Ukraine gestoppt werden.


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