Der „Hutbürger“ – Staatsdiener auf Abwegen

Failing State in Sachen Demokratie? Teilnehmer einer Pegida-Demonstration werden von Polizisten begleitet.

Failing State in Sachen Demokratie? Teilnehmer einer Pegida-Demonstration werden von Polizisten begleitet.

Dresden/Berlin. Der Mann mit dem Hut in Deutschlandfarben ist sichtlich sauer, als er das Kamerateam des ZDF sieht. Er ruft "Lügenpresse", steuert auf den Kameramann zu und ruft: "Sie haben mich gefilmt. Frontalaufnahme, das dürfen Sie nicht. Wir klären das jetzt polizeilich." Seine Begleitung hält die Hand vor die Kamera, ein anderer versucht, sie wegzuschlagen. Die herbeigerufenen Polizisten nehmen beflissen die Beschwerde des Pegida-Demon­stranten auf. Presseausweise werden kontrolliert, kurze Zeit später wird eine Strafanzeige wegen Beleidigung gestellt – auch die wird vor Ort aufgenommen. 45 Minuten später erst darf das Team weiterarbeiten. So geschehen am vergangenen Donnerstag in Dresden bei einer Pegida-Demonstration.

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Der Fall hatte schon am Wochenende eine Debatte ausgelöst über die Frage, ob Polizisten in Sachsen womöglich Pegida-Demonstrationen nicht nur begleiten, sondern die Demonstranten gegen kritische Berichterstattung schützen. Dabei war zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, was am Mittwochabend bekannt wurde: Der pöbelnde Pegida-Anhänger mit Deutschland-Hut ist kein gewöhnlicher Demonstrant:

Er ist Mitarbeiter des Landeskriminalamtes Sachsen

, der in seiner Freizeit für Pegida auf die Straße ging.

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„„Sie haben mich gefilmt. Frontalaufnahme, das dürfen Sie nicht“: ZDF-Reporter filmen, wie der LKA-Mitarbeiter mit Deutschland-Hut sich dagegen wehrt, gefilmt zu werden und die Polizei einschaltet.

„„Sie haben mich gefilmt. Frontalaufnahme, das dürfen Sie nicht“: ZDF-Reporter filmen, wie der LKA-Mitarbeiter mit Deutschland-Hut sich dagegen wehrt, gefilmt zu werden und die Polizei einschaltet.

Und plötzlich steht der Freistaat wieder einmal im Zwielicht: Ist die islamfeindliche Pegida-Bewegung in Sachsen längst im Staatsapparat angekommen? Hat sich die Neue Rechte in Sachsen bereits derart in der Mitte der Gesellschaft festgesetzt, dass Pegida und Polizei auf einer Seite stehen – und in Einzelfällen ein und dasselbe sind?

Sachsens Ministerpräsident hat das Verhalten der Polizei lange verteidigt. Nur wenige Stunden nach Bekanntwerden der Vorgänge durch ein mit dem Hinweis „Pegida wirkt“ veröffentlichtes Video des ZDF-Reporters greift Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Sonnabend zu seinem Handy und twittert. Er stellt sich hinter seine Beamten, ohne die Vorfälle geprüft zu haben. Und kritisiert indirekt, aber dennoch deutlich die Medien. Die Polizisten seien die einzigen, die sich „seriös“ verhalten hätten, kommentiert er.

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Auch nach Tagen bundesweiter Aufregung bleibt Kretschmer vehement bei seiner Meinung. Wer von „Pegizei“ spreche, twittert er, handele „unverantwortlich“, verteidigte er sich noch am Mittwoch. Wenige Stunden später dann gibt sein Innenminister bekannt: Der „Hutbürger“, der auf den Aufnahmen den Kameramann angeht, ist „Tarifbeschäftigter des Landeskriminalamts“. Nach Informationen der „Dresdner Neuesten Nachrichten“ arbeitet er im Bereich Wirtschaftskriminalität, prüft dort verdächtige Bilanzen. Laut „Welt“ tritt er für das LKA in Gerichtsprozessen auf.

„Hier werden viele Dinge vermengt, die so nicht zusammengehören“: Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU).

„Hier werden viele Dinge vermengt, die so nicht zusammengehören“: Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU).

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„Die Vorgänge in Sachsen sind wirklich besorgniserregend und müssen dringend und umfassend durch die sächsischen Behörden aufgeklärt werden“, sagte Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD). Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP, die jenes Amt von 2009 bis 2013 innehatte, warnt, Sachsen dürfe nicht zum „Failing State in Sachen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ werden. Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) sagte sie: „Die Dresdner Verhältnisse stellen den Schutz unserer Grundrechte vom Fuß auf den Kopf. Es ist schon fast tragisch, dass der amtierende Ministerpräsident das Einmaleins unserer Demokratie nicht verstanden hat.“ Frank Überall, Bundesvorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes, kann über den Pegida-Demonstranten im Staatsdienst nur den Kopf schütteln. „Was anderswo zum Slapstick taugt, ist in Sachsen offenbar normal.“

Arndt Ginzel ist der Reporter des Teams, das in Dresden für das ZDF im Einsatz war. „Die Polizei macht sich zur Exekutive von Pegida“, hatte er ganz am Anfang gesagt. Und fügt nun hinzu: „Es wirft ein Schlaglicht auf den gesamten Vorgang, wenn uns ein LKA-Mann am Drehen hindert.“ Und ja, natürlich gäbe es Pegida-Sympathisanten und Probleme mit rechtsradikalen Tendenzen in der sächsischen Polizei. Aber, das ist Ginzel fast am Wichtigsten, er wolle auf keinen Fall gehässig oder schadenfroh wirken angesichts der Wellen, die der Vorfall inzwischen schlägt.

Was darf die Presse

Darf die Polizei die Personalien von Journalisten aufnehmen?

Wenn ein Journalist von einem Bürger angezeigt wird, darf die Polizei grundsätzlich die Personalie aufnehmen. Journalisten stehen nicht über dem Gesetz. Voraussetzung ist natürlich, dass die Anzeige nicht offensichtlicher Blödsinn ist oder offensichtlich dazu dient, jemand falsch zu beschuldigen oder zu belästigen.

Für die Polizei gilt stets das Verhältnismäßigkeitsprinzip.

Das heißt, sie muss Eingriffe in die Rechte der Bürger so gering wie möglich halten. In Dresden gab es zwei Strafanzeigen – eine wegen unerlaubten Filmens, die andere wegen Beleidigung – gegen dieselben Journalisten. Es ist nicht ersichtlich, warum deshalb die Identität des ZDF-Teams direkt hintereinander zweimal überprüft werden musste.

Wann dürfen Journalisten Menschen filmen?

Seit Mai gilt die EU-Datenschutz-Grundverordnung, wonach für jede Datenerhebung die Einwilligung des Betroffenen erforderlich ist. Wie das Oberlandesgericht Köln im Juni entschieden hat, ist daneben aber das Kunsturhebergesetz (KUG) zumindest für Journalisten weiter anwendbar. Journalisten dürfen deshalb „Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben“ weiter ohne deren Einwilligung verbreiten. Der LKA-Mitarbeiter wird zwar nicht nur als Teil einer Menschenmenge gezeigt, sondern auch groß im Profil. Diese Aufnahmen hat er aber selbst veranlasst, weil er auf den ZDF-Kameramann zuging und diesen aufforderte, mit dem Filmen aufzuhören. Kanzlerin Angela Merkel hat gestern ebenfalls eine Rechtseinschätzung gegeben. Wer auf eine Demonstration gehe, „muss damit rechnen, dass er auch durch Medien dabei aufgenommen und beobachtet wird“, sagte die Kanzlerin.

Der Ministerpräsident allerdings gerät zunehmend unter Druck angesichts der Probleme mit den Rechten. „Die sächsische CDU hat das Problem des Rechtsextremismus über Jahre systematisch kleingeredet, teilweise sogar verniedlicht. Diese Ignoranz fällt Herrn Kretschmer und seinen Leuten jetzt auf die Füße“, sagt der Thüringer SPD-Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider dem RND.

Kretschmer treibt die Angst

Was treibt Kretschmer? Für einige ist es schlicht Angst. In fast genau einem Jahr wird in Sachsen gewählt. Nach einer aktuellen Prognose könnte seine CDU die Hälfte ihrer Direktmandate verlieren. Die Nachricht hat im Landesverband ein Erdbeben ausgelöst – und sie setzt Kretschmer weiter unter Druck. Sein Auftrag ist, 2019 die Schmach von 2017 vergessen zu machen, als die CDU bei den Zweitstimmen zur Bundestagswahl hinter der AfD ins Ziel kam – zwar nur hauchdünn mit 26,9 zu 27 Prozent, aber den Schock hat das nicht gemindert. Sachsens FDP-Chef Holger Zastrow sagt dem RND : „Kretschmer steht unter enormem Druck.“ Seit der Bundestagswahl agiere die CDU „komplett angstgetrieben und hilflos“.

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Die Gegenden um Dresden sind Herzland der AfD. Handwerksmeister, Richter, Honoratioren sind der CDU von der Fahne gegangen. Und die örtlichen Rechtsradikalen mischen mit. Kretschmer reist nun unermüdlich durch den Freistaat, um mehr Bürgernähe zu demonstrieren. Seine Botschaft: Ich habe verstanden. Die Frage ist nur: Wen? Unionsspitzen greifen immer häufiger Schlagworte von AfD und Pegida auf. Auch nach dem Demo-Eklat war das nicht anders. Nachdem das ZDF über die Vorfälle in Dresden berichtet hatte, zeigte sich der sächsische CDU-Fraktionschef Frank Kupfer empört auf Facebook: „Öffentlich-Rechtliche ... dafür bezahlen wir Beiträge...“

Pegida-Demonstration in Dresden.

Pegida-Demonstration in Dresden.

Bei der SPD löst das großen Unmut aus. Dirk Panter, Fraktionschef im Landtag, sprach von „undifferenzierter und billiger Polemik“ eines Mannes, der politische Verantwortung trage. Genau das sei „eines der großen Probleme Sachsens“.

Die Presseschelte von Kretschmer sei „nichts anderes als eine Aufwertung des Lügenpresse-Vorwurfs von Pegida“, sagt der Leipziger Grünen-Politiker Jürgen Kasek. Er sieht bei der Sachsen-CDU eine „Anbiederung beim rechten Wählerpotenzial“, ein Übernehmen von Themen und Sprache von AfD und Pegida. „Das ist eine extrem gefährliche Strategie“, warnt Kasek.

Als die Beamten vor einer Woche in Dresden die Presseausweise von Arndt Ginzel und seinem Kameramann geprüft hatten, hatte sich noch ein weiterer Pegida-Demonstrant ins Geschehen eingeschaltet. Es war René Seyfried, Anführer der asylfeindlichen Gruppe „Freital wehrt sich“. Er stellte Strafanzeige gegen ZDF-Mann Ginzel, warf ihm vor, ihn beleidigt zu haben – und sorgte dadurch für eine noch langwierigere Befragung der Journalisten durch die Polizei. Eine Verwechslung, wie Seyfried nach einer Woche einräumt. Der Vorfall hätte vor Ort aufgeklärt werden können, der Kameramann bot an, die gefilmte Szene gemeinsam anzuschauen. Weder die Polizisten noch Seyfried gingen damals darauf ein.

Es waren also nicht irgendwelche Demonstranten, die in Dresden gegen die Presse vorgingen, sondern ein Mann aus dem Staatsapparat und ein Aktivist aus dem rechtsradikalen Spektrum. Getrennt voneinander, aber mit demselben Ziel.

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Verfolgt die Rechte in Sachsen einen großen Plan?

Was daran ist noch Zufall? Der AfD-Ideologe Björn Höcke schreibt in seinem aktuellen Buch von mehreren Fronten, die gegen die „Festung der Etablierten“ kämpfen sollen. Die „protestierende Bürgerbasis“, also Pegida und andere, und die AfD als „parlamentarische Speerspitze“. Um dann fortzufahren: „Wichtig wäre noch eine weitere Front aus den frustrierten Teilen des Staats- und Sicherheitsapparates heraus“. Zu welcher Front gehört der „Hutbürger“ vom LKA?

Der Dresdner LKA-Mann soll nun aus seinem Urlaub geholt werden. „Wir bitten ihn, den Urlaub zu unterbrechen, damit wir möglichst zeitnah mit ihm sprechen können“, sagte Landesinnenminister Roland Wöller (CDU) nach einer Sitzung des Innenausschusses. Es gehe darum, „den Sachverhalt zu klären“. Erst dann könne „über weitere Maßnahmen entschieden werden“.

Auch für LKA-Mitarbeiter gilt grundsätzlich das Demonstrationsrecht

Der Mann soll schon mehrmals bei Pegida mitgelaufen sein. Damit hat er – genau wie vergangene Woche – sein Demonstrationsrecht wahrgenommen. In einem ähnlich gelagerten Fall erreichte 2016 ein Berliner LKA-Kriminaltechniker, dass eine Abmahnung aus seiner Personalakte gestrichen wurde. Er hatte bei einer Kundgebung eines Brandenburger Pegida-Ablegers gesprochen. Im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst heißt es für Angestellte etwa der Polizei, sie müssten „sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen“. Allerdings gilt Pegida bisher nicht als Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat. Pegida wird nicht vom Verfassungsschutz beobachtet.

Schwieriger wird es für Sachsens Ministerpräsidenten. Kretschmer bewegt sich nur millimeterweise. Genau wie sein Innenminister Roland Wöller (CDU) verspricht er Aufklärung, aber macht weiter Vorwürfe. Es würden „Dinge vermengt, die nicht zusammengehören“, beschwert er sich am Donnerstag. „Ich wünsche mir eine Diskussionskultur, die sich nicht in Anschuldigungen und pauschalen Vorurteilen erschöpft.“ Wer das als Selbstkritik liest, versteht Sachsens obersten Staatsdiener vermutlich falsch.

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Von Jörg Köpke und Jan Sternberg

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