„Der Tag“

Der ferne Osten rückt näher

Zentrum der weltweiten Halbleiterindustrie: Taiwans Hauptstadt Taipeh.

Zentrum der weltweiten Halbleiterindustrie: Taiwans Hauptstadt Taipeh.

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

in Europa denkt man gern in alten Machtstrukturen: Es gibt im Westen die USA, im Osten Russland, und irgendwo dazwischen sind wir, die Europäerinnen und Europäer. Was oft verdrängt wird: Ungeachtet dessen, was zu beiden Seiten des Atlantiks passiert, hat auch Asien weltpolitisch enorm an Bedeutung gewonnen – vor allem China.

Wenn also, wie in diesen Tagen, der chinesische Staatspräsident Xi Jinping seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin besucht, kann das international überaus bedeutende Konsequenzen haben. Die Spitzen zweier Großmächte treffen zu Gesprächen zusammen, und dies in geopolitisch angespannten Zeiten. Wird Xi Moskau dazu bewegen können, den Angriffskrieg gegen die Ukraine zu einem Ende zu bringen? Oder lotet Peking ganz im Gegenteil aus, welche Konsequenzen wohl ein Angriff seinerseits auf Taiwan haben könnte? Die Erwartungen sind zumindest gedämpft, seitdem Xi Putin eine Gegeneinladung nach Peking aussprach und damit indirekt den internationalen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten ignorierte.

Auch wenn es längst nicht das erste Treffen beider Staatschefs ist, so beobachtet man dieses international doch gerade sehr aufmerksam. Lange Zeit wurde Asien hierzulande vor allem als riesiger Wirtschaftsmarkt und als Billiglohnregion gesehen. Es deutet sich zunehmend an, dass auch die Weltpolitik künftig den Fokus vom Atlantik auf den Pazifik richten wird.

Der dreitägige Besuch von Xi in Moskau demonstriere einmal mehr, wie dringend die EU sich von China unabhängiger machen muss, schreibt RND-Chefredakteurin Eva Quadbeck. Aber über die Strategie dazu herrsche noch nicht einmal in der Bundesregierung Einigkeit. „Wenn es so weiterläuft, wird China der Sieger im Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sein“, meint Quadbeck.

Chinas Staatspräsident Xi Jinping gestern mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin in Moskau.

Chinas Staatspräsident Xi Jinping gestern mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin in Moskau.

Stark-Watzinger in Taiwan

Da kommt der Besuch eines Kabinettsmitglieds aus Deutschland in Taiwan womöglich zur unpassenden Zeit. Bundesforschungs­ministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) reiste gestern nach Taipeh, um dort die Zusammenarbeit beider Länder in der Hightechforschung zu intensivieren. Schwerpunkte sollen die Bereiche Halbleiter, Batterien, grüner Wasserstoff und künstliche Intelligenz sein, wie aus einer Vereinbarung hervorgeht, die beide Seiten unterzeichneten. Die FDP-Politikerin war zuvor mit Taiwans Wissenschaftsminister Tsung-Tsong Wu zusammengetroffen. Wu sprach von einem „historischen Ereignis“, schreibt RND-Reporter Can Merey, der Stark-Watzinger auf ihrer Reise begleitet. Tsung-Tsong Wu verwies darauf, dass zuletzt vor 26 Jahren ein Bundesminister die demokratische Inselrepublik besucht hatte.

Die Zurückhaltung hat Gründe. Taiwan sieht sich als eigenständiger Staat, als letzter Rest der einstigen Republik China. 1949 hatte sich die damalige Regierung nach ihrer Niederlage im Bürgerkrieg auf die Insel zurückgezogen. Die heutige Volksrepublik China hingegen wertet die Konsequenz aus den Ereignissen von damals ganz anders: Sie sieht Taiwan als Teil ihres Staatsgebietes an. Dieser Konflikt verlief über Jahrzehnte mehr oder weniger im Hintergrund und wäre weltpolitisch womöglich nur noch eine Fußnote – wenn nicht Taiwan längst eine entscheidende Rolle in der Weltwirtschaft spielen würde: Das Land produziert gut 90 Prozent der für so ziemlich alle technischen Geräte weltweit besonders wichtigen Nanohalbleiter. Ein Einmarsch Chinas in Taiwan hätte verheerende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft.

Ungeachtet dessen tritt auch die einstige Großmacht Japan verstärkt auf die weltpolitische Bühne und bezieht klar Position: Der japanische Ministerpräsident Fumio Kishida reiste gestern überraschend nach Kiew, um dem Land seine Unterstützung im Kampf gegen Russland zuzusichern. Er traf mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zusammen. Kishida war der einzige Regierungschef der G7-Staaten, der die Ukraine bisher noch nicht besucht hatte. Aus historischen Gründen liefert Japan keine Waffen in Krisenregionen – unterstützt Kiew jedoch seit Längerem auf andere Weise. Die mit dem Besuch um den Globus gehende Botschaft sei klar, schreibt RND-Chefautor Matthias Koch: Russland hat nicht nur die Nato gegen sich, sondern auch Japan, eine Wirtschafts- und Technologiemacht, mit der nicht zu spaßen ist.

Wir wünschen Ihnen einen friedlichen Start in diesen Tag,

Ihr Michael Pohl

Der Tag

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Zitat des Tages

Der Wald ist ein Patient, der Hilfe braucht.

Cem Özdemir,

Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, am Dienstag anlässlich einer Erhebung des Bundesagrarministeriums

 

Was heute wichtig wird

Es ist ein inoffizielles Wahrzeichen New Yorks und eine Ikone der Architekturgeschichte: das dreieckige Flatiron Building, in deutsch „Bügeleisen“-Gebäude. Eröffnet worden war es im Jahr 1902 an der Kreuzung Broadway, 23. Straße und Fifth Avenue mitten in Manhattan. An diesem Mittwoch nun soll es zwangsversteigert werden – ein Streit unter den insgesamt fünf Eigentümern war zuvor eskaliert und hatte über Jahre zu Mietausfällen geführt.

Es ist ein inoffizielles Wahrzeichen New Yorks und eine Ikone der Architekturgeschichte: das dreieckige Flatiron Building, in deutsch „Bügeleisen“-Gebäude. Eröffnet worden war es im Jahr 1902 an der Kreuzung Broadway, 23. Straße und Fifth Avenue mitten in Manhattan. An diesem Mittwoch nun soll es zwangsversteigert werden – ein Streit unter den insgesamt fünf Eigentümern war zuvor eskaliert und hatte über Jahre zu Mietausfällen geführt.

 

Termine des Tages

Brexit reloaded? Das britische Unterhaus stimmt heute über die neuen Brexitregeln für Nordirland ab. London und Brüssel hatten sich kürzlich darauf verständigt – noch aber fehlt das offizielle Votum des Parlaments. Der konservative Premierminister Rishi Sunak muss mit Widerstand aus den eigenen Reihen rechnen.

Nato erweitert? Das schwedische Parlament entscheidet heute über einen Antrag der Regierung auf einen Beitritt zur Nato. Unterstützt das Parlament, wie erwartet, das Vorhaben, kann Schweden nach jahrzehntelanger Bündnisfreiheit Nato-Mitglied werden – allerdings nur, wenn alle derzeitigen Nato-Mitglieder ebenfalls zustimmen. Aus der Türkei steht das Ja nach wie vor aus.

 

Leseempfehlungen

Musik des Widerstands: Die ukrainischen ESC-Gewinner vom Kalush Orchestra zeigen sich in ihrem neuen Video siegesgewiss, und Okean-Elzy-Sänger Swjatoslaw Wakartschuk weiß: „Unsere brennenden Herzen werden das unselige Terror-Russland in Asche verwandeln!“ RND-Redakteur Matthias Halbig hat sich durch die Musikszene der Ukraine gehört (+).

Zeit der Einigkeit: Die Abschaffung der Zeitumstellung in Europa ist eigentlich längst beschlossen. Doch die Alternativen – ewige Sommer- oder Winterzeit – sind umstritten. Einen ganz anderen Vorschlag hat deshalb eine renommierte europäische Forschungsgruppe vorgelegt, schreibt RND-Autor Stefan Boes (+).

 

Aus unserem Netzwerk: ein Handschlag und seine Geschichte

Der Handschlag von Potsdam zwischen Adolf Hitler und Reichspräsident Paul von Hindenburg gilt als Ikone nationalsozialistischer Propaganda. Ein Irrtum. Die „Märkische Allgemeine Zeitung“ erklärt den Tag von Potsdam und die Geschichte eines Fotos.

 

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