Reichsflaggen vor unserem Parlament – die Gefahr ist real
Teilnehmer einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen stehen am 29. August 2020 vor dem Reichstagsgebäude in Berlin.
© Quelle: Lukas Dubro/dpa
Berlin. Reichsflaggen auf der Treppe des Reichstagsgebäudes. Das fängt zwar beides mit derselben Silbe an, ist aber dennoch ein unerträglicher Anblick. Rechtsextreme und “Reichsbürger” nutzten am Samstagabend, dass das Haus unserer parlamentarischen Demokratie zeitweise fast ungeschützt war, durchbrachen Absperrungen und schafften es bis direkt vor den Eingang. Am Ende sollen ihnen auf den letzten Stufen nur noch drei Polizisten gegenübergestanden haben, die das Gebäude schützten.
Die meisten Demonstrierenden in Berlin bekamen davon nichts mit. Sie hörten friedlich den Reden vor der Siegessäule zu, auf denen die Veranstalter von “Querdenken” nicht weniger als die Aufhebung aller Corona-Maßnahmen, den Rücktritt der Regierung und auch die Abschaffung des Parlamentarismus forderten.
Ist das jetzt dasselbe? Gehört es zusammen?
Nein. Und: Leider ja. Die Achtsamkeitsrebellen von “Querdenken” sind in ihrer Art nicht allzu weit entfernt von Klimaradikalen wie Extinction Rebellion, die im vergangenen Jahr die Siegessäule lahmlegten. Eine oft schräge Ausprägung von demokratischer Dringlichkeit, die auf legitimen Interessen fußt.
“Wir wollten doch friedlich bleiben”
Gewalt suchten andere. Sie versammelten sich vor der russischen Botschaft und vor dem Reichstag und waren ideologisch klarer zuzuordnen. Rechtsradikale und “Reichsbürger” aber mischten sich auch unter die großen Veranstaltungen. Sie werden diesen Tag als ihren Erfolg verkaufen und die Bilder auf der Reichstagstreppe als ihren Sieg. Ihr letzter Sieg war Chemnitz 2018, als Neonazi-Hooligans aus dem ganzen Bundesgebiet einer überforderten Polizei gegenüberstanden. Unter den Krawallmachern: die späteren mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Man muss jetzt nicht raunen, aber die Gefahr ist real.
Viele der eher bürgerlichen Corona-Protestler sind hingegen ohne große Demoerfahrung nach Berlin gekommen. Als sie am Abend zu ihren Sonderbussen strömten, kommentierten sie auf den sozialen Netzwerken auch die Bilder vor dem Reichstag: “Wir wollten doch friedlich bleiben”, schreibt einer. “Das waren wir nicht, Gewalt lehnen wir ab”, antwortet ein anderer.
Das kann der Anfang sein – und auch der Anfang einer Hoffnung. Bisher haben die “Querdenken”-Organisatoren Rechtsextreme umarmt, lehnten jede Abgrenzung ab. Ihre Basis scheint schlauer zu sein.