Das Wort „Klimahysterie“ ist ein Schlag ins Gesicht von Greta Thunberg
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Das Unwort des Jahres lautet „Klimahysterie“.
© Quelle: Frank Rumpenhorst/dpa
Berlin. Man stelle sich einmal vor, jemand läge mit zwei gebrochenen, eingegipsten Beinen im Krankenhausbett – und plötzlich hielte ihm jemand vor: „Was soll der Blödsinn! Du hast doch gar kein echtes Problem. Das ist doch alles Hysterie.“ Diese Szene erschiene jedem absurd.
Für mindestens so absurd hält eine Jury das Wort „Klimahysterie“ und hat es deshalb zum „Unwort des Jahres 2019“ gekürt. Mit dem Begriff würde die Klimaschutzbewegung diffamiert und die gesellschaftliche Debatte zu dem Thema entwertet, sagte die Sprecherin der sprachkritischen Aktion und Professorin für Germanistische Linguistik, Nina Janich, zur Begründung. Es werde so getan, als sei das Engagement für den Klimaschutz eine „kollektive Psychose“.
„Vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Klimawandel ist das Wort zudem irreführend und stützt in unverantwortlicher Weise wissenschaftsfeindliche Tendenzen“, führte Janich zudem aus. Damit dürfte sie nicht nur zahlreichen Klimaforschern aus der Seele sprechen, sondern auch vielen Schülern und Studenten, die bei Fridays-for-Future-Demonstrationen für eine bessere Klimapolitik auf die Straße gehen.
Was das Wort demonstrierenden Schülern sagt
„How dare you?“ Wie könnt ihr es wagen? Immer wieder schleuderte die Schwedin Greta Thunberg auf dem UN-Klimagipfel diesen Satz entgegen: eine eindringliche Mahnung, nicht die Zukunft des Planeten zu verspielen. Das Wort „Klimahysterie“ – benutzt beispielsweise vom AfD-Politiker Alexander Gauland – ist ein Schlag ins Gesicht von Thunberg. Es ist, als würde man ihr und anderen demonstrierenden jungen Menschen sagen: „Stellt euch doch nicht so an! Das bisschen warmes Wetter könnte euch doch eigentlich freuen.“ Oder auch: „Geht spielen, nicht demonstrieren.“
Greta Thunberg bei UN-Klimagipfel: „Wie könnt ihr es wagen?“
Greta Thunberg hat vor den UN eine emotionale Rede gehalten. An die Mächtigen appelliert sie mit deutlichen Worten.
© Quelle: Reuters
Die Jury bleibt mit der Wahl von „Klimahysterie“ zum Unwort ihrer Tradition treu, neben demokratie- und menschenfeindlichen Formulierungen auch solche Wortschöpfungen anzuprangern, die verschleiernd oder irreführend sind. So wurde in den vergangenen Jahren unter anderem der Begriff „Alternative Fakten“ gerügt, mit dem aus Sicht der Jury Falschbehauptungen salonfähig gemacht werden sollten.
Wie Formulierungen den öffentlichen Diskurs verschieben
Das Unwort des Jahres 2018 war „Anti-Abschiebe-Industrie“ von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Das ist eine Wortschöpfung, die zu diesem Zeitpunkt nicht nur die öffentliche Debatte zuungunsten von Flüchtlingen in diesem Land verschoben hat. Sie hat auch eine Regierungskrise zumindest mal verschärft.
Worte wirken. Doch welchen Schluss können beispielsweise die Schüler, die für eine bessere Klimapolitik demonstrieren, daraus ziehen? Sie können sich erst einmal freuen, dass das Wort „Klimahysterie“ künftig eines ist, bei dem noch mehr Menschen kritisch hinhören werden. Sie könnten sich das Spiel mit der Sprache aber natürlich auch selbst zunutze machen.
Wenn mal wieder jemand kritisieren sollte, dass Schüler für Klimaschutzdemonstrationen dem Unterricht fernbleiben, könnten sie laut ausrufen: „Lasst uns in Ruhe! Bleibt bloß weg mit eurer Unterrichtshysterie!“