Das „Volksbrot“ schmeckt Erdogan nicht

Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei.

Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei.

Athen. Sie sind aus dem Straßenbild der türkischen Wirtschaftsmetropole Istanbul nicht wegzudenken, die Kioske mit der Aufschrift „Istanbul Halk Ekmek“. Das bedeutet „Istanbuler Volksbrot“. Vor allem in den ärmeren Vierteln der 16-Millionen-Stadt sind die Verkaufsstände jeden Morgen dicht umlagert. Hier kostet ein 250-Gramm-Weißbrot eine Lira, umgerechnet 11 Cent. Beim Bäcker zahlt man fast das Doppelte. Das Volksbrot stammt aus den Backstuben der Stadtbäckerei IHE, die auch die Verkaufsstellen betreibt.

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Die kommunalen Brotkioske gibt es in Istanbul schon seit den späten 1970er-Jahren. Aber jetzt ist die Nachfrage größer denn je. Viele Menschen leiden Not. Die Arbeitslosenquote beträgt fast 13 Prozent. Die Inflation zehrt an den Einkommen. Im vergangenen Dezember verteuerte sich das Brot in den regulären Bäckereien um 20 Prozent. Umso länger sind nun die Warteschlangen vor den städtischen Kiosken. „Ein trauriges Bild“, findet Istanbuls Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu. „Zum ersten Mal in der Geschichte unseres Landes müssen die Menschen stundenlang für Brot anstehen.“

Ekrem Imamoglu (Mitte) nach seinem Wahlsieg für die CHP in Istanbul.

Ekrem Imamoglu (Mitte) nach seinem Wahlsieg für die CHP in Istanbul.

Erdogans AKP blockiert weitere Kioske

Die Stadtbäckerei hat die tägliche Produktion bereits von 890.000 auf 1,5 Millionen Laibe hochgefahren. „Eigentlich müssten wir 2,5 Millionen Brote backen“, sagt Özgen Nama, der Vizechef der kommunalen Gesellschaft IHE. Aber inzwischen ist das Volksbrot ein Politikum geworden. Als Oberbürgermeister Imamoglu kürzlich den Stadtrat um Zustimmung zur Eröffnung weiterer 142 Kioske bat, blockierten die Erdogan-Regierungspartei AKP und ihr Koalitionspartner, die ultra-nationalistische MHP, das Vorhaben. Imamoglu plante daraufhin, 40 Verkaufswagen anzumieten, um das Volksbrot in ärmere Stadtviertel zu bringen. Aber das Landwirtschaftsministerium untersagte den mobilen Brotverkauf.

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Oppositionspolitiker und regierungskritische Medien sehen darin gezielte Störmanöver der Regierung in Ankara. Staatschef Recep Tayyip Erdogan liegt im Dauerclinch mit Imamoglu, der bei der Kommunalwahl 2019 als gemeinsamer Kandidat mehrerer Oppositionsparteien das Istanbuler Rathaus von der Regierungspartei AKP eroberte. Der populäre Imamoglu gilt als möglicher Herausforderer Erdogans bei der spätestens 2023 fälligen Präsidentenwahl. Sie dürfte für den Amtsinhaber angesichts hoher Inflation, steigender Arbeitslosenzahlen und wachsender Armut kein Spaziergang werden.

Engagement für die „kleinen Leute“ nicht gern gesehen

Erdogan sieht es deshalb ungern, wenn sich Imamoglu als Anwalt der „kleinen Leute“ profiliert. Schon im vergangenen Jahr ließ die Regierung eine Spendenaktion der Istanbuler Stadtverwaltung verbieten. Der staatliche Rechnungshof rügte auch, dass Imamoglu Stipendien an Studenten vergab, kostenlose Schulmilch verteilen ließ und die Schülertickets im Nahverkehr verbilligte.

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Unter dem Druck der Oppositionsparteien und angesichts vieler Proteste in den sozialen Medien hat die Regierung im Streit um das Volksbrot inzwischen eingelenkt. AKP und MHP stimmten im Stadtrat der Aufstellung der neuen Kioske doch noch zu, das Landwirtschaftsministerium hob das Verbot der Verkaufswagen auf. „Die Widerstände sind ausgeräumt, nichts kann uns stoppen“, freut sich Oberbürgermeister Imamoglu. Offen ließ er, ob er damit nur den Brotverkauf meint – oder eine Kandidatur bei der nächsten Präsidentenwahl.

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