Das Problem Kemmerich kehrt zurück

Die Corona-Chroniken.

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Am 5. und 6. Februar dieses Jahres erlebte die FDP ihre seit Jahrzehnten dunkelsten Stunden, restlos aufgeklärt sind sie bis heute nicht.

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Im Thüringer Landtag ließ sich ein bis dahin bundesweit unbekannter Landesvorsitzender der Liberalen namens Thomas Kemmerich mit der Hilfe der AfD zum Ministerpräsidenten wählen – und nun fragte die ganze Republik: Wie konnte das geschehen?

Noch am 5. Februar entstand der Eindruck, hier sei ein Experiment im Gang, das zumindest auch eine indirekte Billigung der Bundesspitze der Liberalen hat. “Der Landesverband handelt in eigener Verantwortung”, lautete eine der ersten Äußerungen von Parteichef Christian Lindner. “Freiheit und Weltoffenheit jenseits von AfD und Linkspartei sind unser Wählerauftrag.” Wolfgang Kubicki, als Bundestagsvizepräsident damals wie heute ranghöchster Liberaler im deutschen Staatswesen, sagte sogar: “Es ist ein großartiger Erfolg für Thomas Kemmerich.”

Lindner blickte im Februar “in einen Abgrund”

Am gleichen Abend und am nächsten Morgen folgten, teils in Einzelgesprächen, teils in Schaltkonferenzen, interne Debatten innerhalb der FDP, bei denen die emotionalen Wogen so hoch gingen, wie Lindner es noch nie erlebt hatte. “Er blickte damals in einen Abgrund”, berichtete ein Insider.

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Nach und nach, Stunde um Stunde, reifte immer mehr eine Einsicht, auf die man auch schon am Vortag hätte kommen können: Die stolze Partei Thomas Dehlers und Hans-Dietrich Genschers hatte hier etwas angefangen, das sie nicht auf würdige Weise zu Ende bringen kann. So gab es dann ein unwürdiges Aus – für Kemmerich, nicht für Lindner. Kemmerich wurde gezwungen, das Thüringer Experiment sofort abzubrechen.

Der unselige Kemmerich allein sei an allem schuld, so stellte es Lindner später auf der bundespolitischen Bühne dar. Der Grund dafür liege im Situativen und im Emotionalen: Kemmerich, sagte Lindner in einem unvergessenen Interview mit Marietta Slomka im “heute journal”, sei “übermannt” worden von der Aussicht, Ministerpräsident werden zu können.

Eine diffuse Botschaft sollte Ruhe schaffen

Passiert uns nicht allen manchmal so ein kleines Missgeschick?

Mit dieser diffusen Botschaft, einer streng genommen mehr als frechen intellektuellen Zumutung fürs Publikum, rettete sich Lindner über die Runden – und hoffte nun dringend auf bessere Zeiten und einen Themenwechsel.

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Doch nun fällt der FDP-Führung das Problem namens Kemmerich erneut auf die Füße. Der Mann macht nämlich nicht nur hier oder da etwas falsch, er markiert ganz generell eine schwach ausgeleuchtete Ecke bei den Liberalen. Es ist jene noch halb bürgerliche, halb schon abgedrehte Szenerie, in der Kritik an der großen Koalition in Berlin mittlerweile in aggressive Verachtung und Hass umschlägt. Am Biertisch kann es, wie jeder Praktiker weiß, schnell kompliziert werden, erst recht in Ostdeutschland. Wie genau soll sich ein Liberaler positionieren, wenn da ein sympathischer kleiner örtlicher Unternehmer steht, der sich zur “Merkel muss weg”-Abteilung bekennt, der aber natürlich auch “die Sozis” zur Hölle wünscht – und schließlich von schulterklopfenden AfD-Anhängern umringt wird?

Auf der dunklen Seite der FDP

Wie weit darf die FDP gehen, um auch am rechten Rand zu fischen? Ausgetestet wurde da immer wieder mal was. Auf der dunklen Seite der FDP war unter anderem ein gewisser Alexander von Stah unterwegs, ein Generalbundesanwalt mit FDP-Parteibuch, der ausgerechnet von einer FDP-Justizministerin entlassen wurde – und sich dann als Anwalt um die neurechte Zeitung “Junge Freiheit” kümmerte.

Und da gab es Jürgen W. Möllemann, der im Jahr 2002 seine ständig wiederkehrende Kritik an Israel dahingehend steigerte, dass er sogar Verständnis für Selbstmordattentate anklingen ließ.

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Möllemann gab einst die Losung aus: “Wenn ich an einer Theke stehe und neun Leute kritisieren mich, aber einer sagt: Wieso, der hat doch recht – dann habe ich 10 Prozent!”

Diese Art Breitbeinigkeit gefällt vielen bis heute. Dass man gelegentlich auch provozieren müsse, anecken, um aufzufallen, glaubt offenbar auch Thomas Kemmerich. Also geht er zu einer Kundgebung, bei der auch Verschwörungstheoretiker marschieren und AfD-Leute. Also lässt er sich fotografieren in Menschenmengen ohne Mundschutz. Also schreibt er die 90 Prozent ab, da er ja hier und jetzt erst mal von den 10 Prozent Beifall bekommt. Ist es nicht manchmal besser, sich zweimal zu entschuldigen, als dreimal um Erlaubnis zu fragen?

Wie will Lindner nun reagieren? Will er es bei seinem distanzierenden Tweet vom Sonntag bewenden lassen?

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Was, wenn Lindner erneut an Marietta Slomka gerät? Will er erneut behaupten, Kemmerich sei “übermannt” worden – von irgendetwas oder irgendjemandem?

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Die FDP-Bundestagsabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann legt den Finger in die Wunde. Im “Tagesspiegel” sagt sie über Kemmerich: “Er sucht offenbar nicht nur physisch die Nähe zur AfD und Verschwörungstheoretikern, sondern teilt offensichtlich auch deren die Demokratie zersetzenden Kurs.” Die Causa Kemmerich, warnt sie völlig zu Recht, sei noch nicht zu Ende.


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