DAAD-Präsidentin: „Die deutschen Studierenden sind sehr weltoffen“
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Werden sie im Studium einmal ins Ausland gehen? Studenten an der Uni Leipzig.
© Quelle: Jan Woitas/dpa
Berlin. Frau Wintermantel, als Sie an die Spitze des Deutschen Akademischen Austauschdienstes kamen, war Barack Obama noch US-Präsident. Ende des Jahres geben Sie Ihr Amt ab. Die Welt ist mittlerweile eine komplett andere. Was bedeutet das für die Arbeit des DAAD?
Wir haben es mit einem speziellen Gegensatz zu tun. Einerseits ist das Bewusstsein dafür gestiegen, dass Internationalisierung und grenzüberschreitende Zusammenarbeit für die Wissenschaft und die Studenten und Forscher absolut zentral sind. Andererseits zeigen sich auf der politischen Ebene starke Re-Nationalisierungstendenzen und Abschottungsreflexe: Ich hätte mir 2012 Donald Trumps „America First“ und ein „Ja“ der Briten zum Brexit nicht vorstellen können.
Mit dem Slogan „Get Brexit done“ hat Boris Johnson die Parlamentswahl in Großbritannien gewonnen. Was muss die Politik jetzt tun, damit der Brexit nicht auf Kosten der Studenten geht?
Der aktuelle Vertragsentwurf zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich sieht eine Übergangsfrist bis Ende 2020 vor, in der die bisherigen EU-Regeln weiter gelten sollen. Für Hochschulen, Studierende und Wissenschaftler ändert sich damit bis Ende 2020 zunächst kaum etwas. Für die Zeit ab 2021 müssen schnell Regelungen gefunden werden, damit Großbritannien für den akademischen Austausch und die wissenschaftliche Zusammenarbeit attraktiv und einfach zugänglich bleibt. Eine nahe Anbindung an die EU ist auch für die britische Wissenschaft von größtem Interesse.
Sind Sie desillusioniert, wenn Sie sehen, wie Populisten in aller Welt die Bemühungen derer konterkarieren, die sich für gegenseitiges internationales Verständnis einsetzen?
Wir müssen beständig dafür arbeiten, dass es weiter einen weltoffenen Austausch gibt – gerade dann, wenn politische Führungen weniger weltoffen werden. Trump interessiert der Einsatz gegen den Klimawandel offensichtlich nicht, aber viele amerikanische Wissenschaftler brennen dafür, Lösungen zu finden. Den Klimawandel müssen alle gemeinsam erforschen. Sonst verlieren wir diesen Kampf.
Sind die USA durch die Präsidentschaft von Donald Trump ein ungeliebtes Land für deutsche Studenten geworden?
Tatsächlich ist die Zahl der Studierenden, die ein Stipendium für die USA beantragen, gesunken. Für angehende deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind die Vereinigten Staaten aber weiterhin sehr attraktiv. Sie wollen nach Harvard, Yale oder an eine der anderen Spitzenuniversitäten. Auch die politischen Umstände können die Faszination der Vereinigten Staaten nicht zerstören.
Sind die deutschen Studenten weltoffen genug?
Die deutschen Studierenden sind sehr weltoffen. Sie sind interessiert daran, im Ausland zu studieren und andere Kulturen kennenzulernen. Viele treffen diese Entscheidungen natürlich auch aus Karrieregründen. Ich finde es schade, wenn es am Ende nur um diesen Aspekt im Lebenslauf geht. Ich würde mir daher mehr Interesse der Studentinnen und Studenten daran wünschen, den interkulturellen Dialog im Ausland voranzubringen und ihre Persönlichkeit dadurch weiterzuentwickeln. Sie sollten sich auch als Botschafter unserer demokratischen Werte verstehen.
Ist das deutsche Studium seit der Umstellung auf Bachelor und Master zu verschult? Verringert das die Freiräume: nicht nur für Auslandsaufenthalte, sondern auch dafür, sich auch mal jenseits der Klausurvorbereitung Wissen zu erschließen und Erfahrungen zu machen?
Ich sehe das nicht so. Mit der Bologna-Reform ist ein wichtiger Beitrag zur Internationalisierung des Studiums geleistet worden. Sicherlich müssen wir bei der gegenseitigen Anerkennung der Abschlüsse noch weiterkommen, aber deutsche Hochschulabschlüsse sind weltweit sehr geschätzt und anerkannt. Auch Auslandsaufenthalte sind im aktuellen System gut möglich – aber natürlich macht ihre Planung und Vorbereitung zusätzlich Arbeit und Mühe.
Brauchen wir mehr internationalen Austausch nicht nur in der akademischen, sondern auch in der beruflichen Bildung?
Ja, unbedingt! Unser duales System in der beruflichen Bildung gilt international als Erfolgsmodell und ist hochattraktiv für Auszubildende aus anderen Ländern. Umgekehrt gilt auch für die jungen Menschen in Deutschland: Nicht nur angehende Mediziner, Anglisten und Lehrer profitieren von einem längeren Auslandsaufenthalt, sondern auch auszubildende Schreiner, Mechatroniker und Installateure. Ein verstärkter Auslandsaustausch von Auszubildenden wäre ein wichtiger Beitrag, um interkulturelle Kompetenz und das Verständnis für internationale Zusammenhänge in der Gesellschaft zu verwurzeln.
Mit der Erfahrung eines langen akademischen Lebens: Was würden Sie in Ihrem Studium heute anders machen?
Ich habe Psychologie studiert und war sowohl während als auch nach dem Studium im Ausland. Aus heutiger Sicht würde ich noch intensiver Sprachen lernen. In meinem Studium waren wir sehr an der angelsächsischen Tradition orientiert. Heute würde ich den asiatischen Raum mehr in den Blick nehmen und zusätzlich Chinesisch lernen.
Sie waren Universitätspräsidentin und Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz. Bis heute sind Frauen in Führungspositionen im Wissenschaftsbetrieb eher wenig vertreten. Haben Sie Ellbogen gebraucht, um diesen Weg zu gehen?
Ellbogen würde ich es nicht nennen. Aber ich habe den dauerhaften Willen gebraucht, etwas zu verändern und neue Strukturen und Formen der Zusammenarbeit einzuführen. Auch wenn es paradox klingt: Stärker kooperative Formen der Zusammenarbeit durchzusetzen wäre ohne ein Mindestmaß an Durchhaltevermögen und Klarheit nicht möglich gewesen. Vieles hat sich gebessert, aber auch heute gilt: Wir haben noch immer zu wenige Frauen in Führungspositionen in der Wissenschaft.
Gibt es zu viele Machos unter den Professoren?
Ich will nicht pauschalisieren, ich hatte immer auch sehr gute männliche Kollegen und Unterstützer. Aber ich habe auch unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Grundsätzlich gilt es, tiefsitzende und immer noch wirksame Stereotypen von männlichem und weiblichem Verhalten zu überwinden. Ihre Wirkung zeigt sich in vielen Situationen im Alltag immer wieder. Antiquierte Einstellungen dieser Art müssen wir hinter uns lassen.