Was wurde vertuscht? Peking kämpft gegen Kontrollverlust
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Peking: Lyu Jun (links), Mitglied eines medizinischen Teams, verabschiedet sich vor seinem Aufbruch in das vom Coronavirus betroffene chinesische Wuhan an der Medizinischen Universität Xinjiang von seiner Familie.
© Quelle: Wang Fei/XinHua/dpa
Peking. Als sich Präsident Xi Jinping kürzlich an die chinesische Öffentlichkeit wandte, wählte er eine geradezu apokalyptische Metapher. „Das Virus ist ein Teufel“, sagte er. Doch dem Bedrohungsszenario folgte prompt die Beruhigungspille: So ernst die Lage auch sei, man werde diesen Kampf gegen das Böse gewinnen.
Auf dem Weg zum Sieg wird die Bevölkerung indes noch weitere Opfer bringen müssen: Die Zahl der Toten und Infizierten durch das Coronavirus steigt stetig. Die Gesundheitsexperten geben jedoch über die Staatsmedien verhalten optimistische Prognosen ab: Laut Zhong Nanshan, der im Auftrag der Regierung die tödlichen Erreger eindämmen soll, werde in ungefähr „einer Woche“ die Epidemie ihren Zenit erreichen und sich danach abschwächen.
Coronavirus: Erster Toter außerhalb Chinas
An dem neuartigen Coronavirus ist offenbar erstmals ein Mensch außerhalb Chinas gestorben.
Hoffentlich behält er recht. Ein Forscher, der Mitte Januar von der Partei nach Wuhan entsandt wurde und verkündete, das Virus sei unter Kontrolle, hat sich in der Zwischenzeit selbst damit angesteckt.
Schon zur Jahreswende sei bekannt gewesen, dass sich ein neuer gefährlicher Erreger ausbreite, berichtet die „New York Times“. Der erste Arzt, der Alarm geschlagen hatte, sei von Polizisten nächtens zum Schweigen gebracht worden. Man hätte ihn unterschreiben lassen, dass die Verbreitung von Warnungen in sozialen Netzwerken „illegales Verhalten“ ist.
Ärger der Bevölkerung wird größer
In den sozialen Medien ist das Misstrauen zu Recht groß. Dort mischt sich der anfänglichen Beunruhigung zunehmend Frust über die Behörden bei. Unter den Livestreams der täglichen Pressekonferenz der Gesundheitskommission etwa halten sich die Nutzer nicht zurück mit ihrer Kritik: „So einen Mist muss ich mir echt nicht anschauen!“ Oder: „Unser Leben scheint nicht mehr Wert zu haben als das eines Insekts. Leute, bitte wacht endlich auf!“
Für den mächtigsten Mann des Landes wird der Virusausbruch zur Probe. Der 66-Jährige hat wie kein Zweiter seit Mao Tsetung den Führerkult um sich ausgebaut; in einem solch hierarchischen System haben die „Untertanen“ zunehmend Angst, schlechte Nachrichten an Vorgesetzte weiterzuleiten.
Wie zum Beweis trat Anfang der Woche der Bürgermeister von Wuhan, dem Epizentrum des Virusausbruchs, vor die Medien. Im bisher größten Anflug von Selbstkritik sagte Zhou Xianwang, das Krisenmanagement der Stadt sei „nicht gut genug“ gewesen. Er habe die Öffentlichkeit erst Wochen nach dem ersten Virusfall informieren können, weil die „Regelungen der Regierung“ dies so vorsehen. Anscheinend, so die Botschaft zwischen den Zeilen, brauchte er für die Bekanntmachung erst die Erlaubnis von ganz oben. Insofern zeigt die Epidemie nicht zuletzt die systemimmanenten Mängel der Regierung auf.
Die Staatsführung könnte auf die Krise nun mit innerer Öffnung reagieren. Stattdessen jedoch schlägt Xi Jinping den in solchen Momenten üblichen Weg ein – und hält die Zensoren des Landes dazu an, „die Anleitung zur öffentlichen Meinung zu verstärken“. Nur: Die Kritik an den Mächtigen lässt sich zwar aus den Internetforen löschen, nicht jedoch aus den Köpfen der Menschen.
RND