Wahlkampf statt Kampf gegen die Pandemie – die nächste Welle kommt im Herbst
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Die Bundestagswahl sorgt schon jetzt dafür, dass Vorsicht nicht mehr gilt.
© Quelle: imago images/photothek
Berlin. Die Bundestagswahl wirft ihre Schatten voraus. Noch nie seit Beginn der Corona-Krise hat die Debatte über eine angemessene Antwort auf die aktuelle Entwicklungen der Pandemie so absurde Züge angenommen wie jetzt. Die Folgen wird Deutschland spätestens im Herbst zu spüren bekommen – ausgerechnet in einer Zeit, in der das Land nach der Bundestagswahl noch wochenlang ohne demokratisch legitimierte Regierung dastehen wird.
Da wäre zum einen die von wahlkämpfenden Politikerinnen und Politikern erhobene Forderung, auf alle Beschränkungen – also auch auf die Maskenpflicht – zu verzichten, wenn jeder Bürgerin und jedem Bürger ein Impfangebot gemacht wurde. Das wäre nach Lage der Dinge bereits Ende Juli. Es klingt in den Ohren des Wahlvolkes sicherlich konsequent. Wer sich nicht impfen lässt, ist schließlich selbst schuld, mag man sich denken. Doch die Forderung ist Populismus pur.
Die Sache hat nämlich einen Haken. In Deutschland mit seinem solidarischen Gesundheitssystem wird niemandem eine Behandlung verwehrt, weil er sich mutmaßlich falsch verhält. Kein Covid-19-Erkrankter wird abgewiesen, weil er eine Impfmöglichkeit ausgeschlagen hat. Wenn die Intensivstationen in den kommenden Monaten mit schwer erkrankten Ungeimpften belegt sind, dann ist davon die gesamte Gesellschaft betroffen.
Dabei ist die Gefahr real, dass das Gesundheitswesen wegen der ansteckenden Delta-Variante erneut an die Leistungsgrenze kommt. Nach Berechnungen des Robert Koch-Instituts muss selbst bei einer vergleichsweise hohen Impfquote der Zwölf- bis 59-Jährigen von 65 Prozent damit gerechnet werden, dass auf dem Höhepunkt einer vierten Welle rund 6000 Menschen auf die Intensivstation müssen. Das wäre mehr als der bisherige Rekordwert vom Januar, als knapp über 5700 Betten durch Corona-Patienten belegt waren.
Biontech-Impfung: Wahrscheinlich dritte Dosis zur Auffrischung nötig
Die Impfstoffhersteller Pfizer und Biontech gehen von einem Rückgang der Schutzwirkung des gemeinsamen Coronavirus-Vakzins nach einem halben Jahr aus.
© Quelle: dpa
Bei höheren Impfquoten sinkt die erwartete Auslastung rapide. Diese lassen sich aber nur erreichen, wenn auch der Anteil der geimpften Zwölf- bis 18-Jährigen hoch genug ist. Doch bis auf wenige Ausnahmen traut sich niemand in der Politik, das unheilvolle Verhalten der Ständigen Impfkommission in Bezug auf die Impfung von Kindern und Jugendlichen zu kritisieren. Nur hinter vorgehaltener Hand heißt es, die Nicht-Empfehlung sei fatal, doch bei diesem hochemotionalen Thema könne man sich im Wahlkampf nur die Finger verbrennen.
Impfschutz wird diskutiert
Und dabei ist es ja längst nicht so, dass sich die Mediziner in Sachen Impfschutz stets einig sind, weshalb sich jeder kritische Einwand verbieten würde. Erinnert sei nur daran, dass die Sächsische Impfkommission eine Meningokokken-B-Impfung bei Säuglingen ab dem dritten Lebensmonat empfiehlt, während die bundesweite Stiko auf eine unzureichende Datenlage hinweist und deshalb keine Impfempfehlung ausspricht. Es gibt es also auch bei Daten rund ums Impfen Interpretationsspielräume.
Die Folgen von zu weitgehenden Lockerungen, der nach wie vor mangelnden Hygieneausstattung der Schulen, einer für Kinder und Jugendliche nicht existenten und einer für Erwachsene völlig unzureichenden Impfkampagne werden verheerend sein.
Das Coronavirus wird ungehemmt vor allem durch die jüngere Generation rauschen. Dabei besteht allenfalls die Hoffnung, dass die Prognose falsch ist, wonach bis zu zehn von 100 erkrankten Kindern dauerhaft unter Long-Covid-Folgen wie Konzentrationsproblemen und Erschöpfungszuständen leiden werden.
Das Prinzip Hoffnung steht gegen die von Tag zu Tag steigende Gewissheit, dass sowohl die für Erwachsene als auch die für Jüngere zugelassenen Impfstoffe einen hohen Schutz bieten, sicher und gut verträglich sind. Das sollten diejenigen berücksichtigen, die noch immer zögern, sich und ihre Kinder impfen zu lassen.