Corona und die Reisewarnungen: Ist die Türkei urlaubsreif?

Leere Liegen stehen am Strand von Lara bei Antalya in der Türkei. Die Türkei hat die Einstufung als Corona-Risikogebiet durch die Bundesregierung kritisiert.

Leere Liegen stehen am Strand von Lara bei Antalya in der Türkei. Die Türkei hat die Einstufung als Corona-Risikogebiet durch die Bundesregierung kritisiert.

Berlin. Jedes Reisebüro ist ein Ort der Verheißung und der Vorfreude. Ganz besonders aber gilt dies für die Reisebüros in Berlin-Kreuzberg, wo viele Deutschtürken leben. Hier steht der Gang ins Reisebüro oft am Beginn einer Reise zu den Freunden und Verwandten in der Türkei, ein erster Schritt hin zu einem langersehnten Wiedersehen.

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Doch im Corona-Sommer 2020 sind die Kreuzberger Reisebüros betrübliche Orte.

“Wir haben jetzt vor allem mit Stornierungen zu tun”, sagt der junge Mitarbeiter eines Reisebüros. Seinen Namen soll man nicht nennen, auch nicht den des Ladens. Er befürchtet, seine Worte könnten das letzte Bisschen an übrig gebliebenem Geschäft zunichtemachen. Nur so viel: “Reisewarnung – dieses Wort muss weg. Es macht den Menschen Angst, und wer Angst hat, der bucht nicht.”

Hoher Besuch aus Ankara in Berlin

Das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei durchlebt eine weitere schwere Probe. Der Grund dafür ist die von der Bundesregierung im März coronabedingt erlassene und bis heute nicht aufgehobene Reisewarnung für die Türkei. Berlin stuft die Türkei als Risikogebiet ein – eine Einschätzung, die Ankara empört zurückweist.

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Am heutigen Donnerstag reist der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu in Begleitung des Tourismusministers Mehmet Nuri Ersoy und einiger Gesundheitsexperten nach Berlin. Die Delegation trifft Außenminister Heiko Maas und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Es werden schwierige Gespräche.

Cavusoglu wirft der deutschen Seite Willkür vor. Die wissenschaftliche Basis für ihre Entscheidung sei nicht nachvollziehbar, beklagt der türkische Außenminister. Er unterstellt politische Motive. Immer wieder verweist Cavusoglu auf die zahlreichen Anstrengungen der Türkei, die Gesundheit der Urlauber zu schützen. So hat das Land ein “Zertifizierungssystem für gesunden Tourismus” entwickelt – eine Liste mit 132 Hygienevorschriften, die Hotels und Restaurants erfüllen müssen, um das begehrte Siegel zu erhalten. Überprüft wird die Einhaltung unter anderem vom TÜV Süd. Deutsche Gründlichkeit soll deutsche Skepsis ausräumen.

Die Türkei vermutet politische Motive hinter Reisewarnung

Die Bemühungen der Türkei werfen ein Schlaglicht auf die schlechte wirtschaftliche Lage des Landes. Es leidet an Kursverfall, Auslandsverschuldung und Massenarbeitslosigkeit. Erst am Mittwoch gab VW bekannt, doch kein neues Werk bei Izmir zu bauen. Die schlechten Nachrichten häufen sich.

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Umso mehr ist die Türkei auf Reisende und Urlauber aus Deutschland angewiesen. Die mehr als drei Millionen Deutschtürken sind eine wichtige Devisenquelle, und der Tourismus macht mehr als ein Zehntel der gesamten türkischen Wirtschaftskraft aus. Mehr als fünf Millionen Bundesbürger besuchten 2019 die Türkei – drittliebstes Reiseziel der Deutschen nach Spanien und Italien.

Um die Sommersaison nicht ganz verloren zu geben, hob die Regierung von Recep Tayyip Erdogan die Einreisebeschränkungen für EU-Bürger im Juni auf. Im Gegenzug hoffte sie auf eine Aufhebung der Reisewarnungen für die Türkei. Bisher vergebens.

Die Bundesregierung bleibt hart. Sie beruft sich dabei auf das Robert-Koch-Institut. Das RKI stuft Staaten und Regionen als Risikogebiete ein, wenn dort binnen sieben Tagen mehr als 50 Neuinfizierte pro 100.000 Einwohner gemeldet werden. Das 82-Millionen-Einwohner-Land Türkei zählt bisher rund 200.000 Coronavirus-Fälle, etwas mehr als Deutschland. Die offizielle Todeszahl liegt bei 5131 – deutlich unter jener hierzulande.

Neben den bloßen Zahlen berücksichtigen das RKI und das Auswärtige Amt bei der Ausweisung von Risikogebieten allerdings auch “qualitative Kriterien”, die nicht näher definiert sind und im Falle der Türkei eine nicht ganz unwichtige Rolle spielen.

Zweifel an den Zahlen

Im Auswärtigen Amt hegt man erhebliche Zweifel an den offiziellen von Ankara gemeldeten Zahlen. Ihr Zustandekommen erscheint den Diplomaten nicht schlüssig und transparent genug. Zudem wüssten sie dem Vernehmen nach gern mehr über die Behandlung von Patienten, die am Coronavirus erkrankt sind.

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In türkischen Kliniken kommt das Anti-Malaria-Mittel Hydroxychloroquin zum Einsatz – ohne dass bereits belastbare Erkenntnisse zu gefährlichen Nebenwirkungen vorliegen. Unklar ist, ob das Mittel standardmäßig bei Sars-Cov-2-Patienten in der Türkei zum Einsatz kommt. Eine Zwangsbehandlung mit dem umstrittenen Medikament will die Bundesregierung den Bundesbürgern nicht zumuten. Auch deshalb hält sie an der Reisewarnung für die Türkei fest.

Reisen in die Türkei sind zwar nicht verboten. Auch der Flugbetrieb läuft wieder. Doch solange die Reisewarnung gilt, liegt die Verantwortung vor allem bei den Urlaubern – etwa im Fall einer Erkrankung oder auch eines regionalen Lockdowns. Immerhin: Wer die Türkei mit einem maximal 48 Stunden vor Abflug erfolgten negativen Corona-Test verlässt, muss nach Ankunft in Deutschland nicht in die Quarantäne.

Doch der Unmut unter Deutschtürken bleibt groß. Heiko Maas kann sich davon ein Bild verschaffen, wann immer er auf die Kommentare unter seinen Posts in sozialen Netzwerken schaut. Die Klagen klingen vertraut: Wenn es um Türken geht, messe die Bundesregierung mit zweierlei Maß.

Die Türkei ist nicht das einzige Land, für das Außenminister Maas eine Reisewarnung ausgesprochen hat. Auf der Liste sind 130 weitere Staaten. Doch keine andere Reisewarnung wühlt hierzulande so viele Menschen auf. Denn aus keinem anderen mit einer Reisewarnung belegten Staat stammen so viele Bürger hierzulande.

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Unmut unter Deutschtürken

Gökay Sofuoglu ist der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD). In vielen politischen Fragen ist diese gespalten. Aber im Ärger über die Reisewarnung für die Türkei sind die Deutschtürken vereint. Viele wenden sich jetzt an Sofuoglu.

“Der Druck ist groß. Uns erreichen viele Anfragen verzweifelter Bürger”, sagt er am Telefon. “Die Aufrechterhaltung der Reisewarnung durch die Bundesregierung erscheint ihnen nicht schlüssig angesichts der Lockerungen etwa für China. Da liegt die Vermutung nahe, dass die Reisewarnung für die Türkei politisch motiviert ist”, so der TGD-Chef.

Ein Vorwurf, den die Bundesregierung zurückweist. Sie treffe ihre Entscheidung auf Grundlage von “Kriterien, die auch bei anderen Staaten Anwendung finden”, sagte Außenminister Maas am Mittwoch. Doch es ist offenkundig, dass Berlin mit der Aufrechterhaltung der Reisewarnung ein Ass in der Hand hält, mit dem es seiner Position in Konflikten auf anderen Feldern Nachdruck verleihen könnte, wenn es denn wollte. An Konflikten herrscht jedenfalls kein Mangel.

An Streitthemen fehlt es nicht

So wird es im Gespräch der beiden Außenminister Maas und Cavusoglu auch um die Rolle der Türkei im libyschen Bürgerkrieg gehen. Ein Konflikt, in dem Berlin zu schlichten versucht – und den die Türkei mit Waffen und Söldnern nach Kräften befeuert. Auch soll das aggressive Auftreten Ankaras gegenüber Zypern und Griechenland im östlichen Mittelmeer zur Sprache kommen, wo ein Wettlauf um lukrative Erdgasvorkommen entbrannt ist. Jetzt, da Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft innehat, erwarten die EU-Partner hier klare Worte.

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Dies gilt im Übrigen auch für den Dauerstreit in der Migrationsfrage: Ankara macht keinen Hehl daraus, dass es Griechenland und die EU mit der Öffnung seiner Grenzen für Migranten erpressen kann. Wird Berlin da die Corona-Frage fein säuberlich von all den anderen Themen trennen, die auf dem Tisch sind?

Sofuoglu pocht darauf: “Wir erwarten von der Bundesregierung, dass ihre Reiserichtlinien für die Türkei einzig auf dem Infektionsgeschehen vor Ort basieren und nicht als politisches Druckmittel eingesetzt werden.” Er sieht aber auch Ankara in der Pflicht: “Dazu muss die Türkei transparente Informationen zur Ausbreitung des Virus liefern.”

Özdemir: Türkei in der Nachweispflicht

Auch der Grünen-Politiker Cem Özdemir sieht die türkische Führung in der Bringschuld: “Corona-Reisewarnungen sind in Deutschland keine Verhandlungsmasse für politische Deals – sie dienen dem Gesundheitsschutz, und das muss auch Erdogan begreifen.” Die Reisewarnung für die Türkei müsse so lange aufrechterhalten werden, wie die Türkei vom Robert-Koch-Institut als Risikogebiet ausgewiesen wird. “Die Türkei ist in der Nachweispflicht, dass sie ausreichende Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus umsetzt”, so Özdemir.

Von der Bundesregierung erwartet er, dass sie sich gegenüber den türkischen Ministern für die Freilassung politischer Gefangener in der Türkei einsetzt – nicht als “Deal” gegen eine gelockerte Reisewarnung, sondern “grundsätzlich”, so der Grünen-Politiker.

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Sofuoglu, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, hofft derweil, dass Maas und Altmaier in ihrem Gespräch mit den türkischen Amtskollegen an die Bürger mit türkischen Wurzeln denken. “Viele Deutschtürken sitzen auf gepackten Koffern”, sagt Sofuoglu. “Sie hoffen darauf, bald ihre Verwandten in der Türkei besuchen – und wieder sicher nach Hause zurückkehren zu können.”

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