Ungeahnte Corona-Folge: Zusammenhalt ist auch nach Lockdown stabil
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Nach der Lockerung der Schutzmaßnahmen und Wiedereröffnung der Geschäfte sieht die Einkaufsstraße und Fußgängerzone Flinger Straße in der Innenstadt von Düsseldorf wieder so wie vor der Corona-Krise aus: mit großem Andrang von Personen, die weitgehend nicht den gebotenen Mindestabstand zueinander einhalten.
© Quelle: imago images/Ralph Peters
Berlin. Eine Krise wie die Corona-Pandemie stellt auch den sozialen Zusammenhalt auf die Probe. Steht Deutschland ein gesellschaftlicher Bruch und eine politische Radikalisierung bevor?
Eine repräsentative Studie der Bertelsmann Stiftung macht Hoffnung. Seit 2017 sei der gesellschaftliche Zusammenhalt in Deutschland stabil. In der Corona-Pandemie wird er nun sogar als gestärkt wahrgenommen: Für die meisten Menschen habe eben dieser Zusammenhalt “ein sicheres Netz” geboten. Nach den ersten Monaten der Pandemie ist das Vertrauen in dieses Netz sogar noch größer geworden. Während im Februar noch 46 Prozent der Befragten den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet sahen, sagten das im Mai und Juni nur noch 36 Prozent.
Um den gesellschaftliche Zusammenhalt, also die Qualität des gesellschaftlichen Miteinanders, zu messen, wurden die Studienteilnehmer dazu befragt, wie groß ihr Freundeskreis ist, ob sie im vergangenen Jahr an einer Demo teilgenommen haben oder ob sie ungern homosexuelle Nachbarn hätten. Die Antworten auf diese Fragen wurden in einen Index von null bis 100 Punkten umgerechnet. Die Akzeptanz von Diversität ist zum Beispiel von 77 auf 82 Punkte gestiegen. Auch die Zufriedenheit mit der Demokratie ist gestiegen: Im Februar lag dieser Wert bei 50 Prozent, im Juni bei 60 Prozent. Die Demokratie hat Deutschland also gut durch die Krise gebracht – zumindest dem Empfinden der Studienteilnehmer nach.
Wenig Vertrauen in politische Parteien
Beim Wert zum “Vertrauen in die Institutionen” – also in Gerichte, Polizei und Bundesregierung – machen die Verfasser der Studie Risiken für den gesellschaftlichen Zusammenhalt aus. Den politischen Parteien vertrauen beispielsweise nur acht Prozent der Befragten. Anders sieht es dagegen beim Vertrauen in die regierende große Koalition aus. Während Anfang 2020 nur 23 Prozent der Teilnehmenden angaben, großes oder sehr großes Vertrauen in die Regierung zu haben, waren es im Juni 44 Prozent.
Die Autoren der Studie betonen, dass das in der Krise gewonnene Vertrauen gegenüber der Regierung nicht von Dauer sein muss. Will die Politik den Zuspruch erhalten, müsse sie verstärkt auf “Risikogruppen” zugehen – also auf Menschen, deren Vertrauen in den gesellschaftlichen Zusammenhalt besonders brüchig ist. Dies seien arme Menschen, aber auch “Alleinlebende und Alleinerziehende, Menschen mit geringer formaler Bildung, Menschen mit Migrationshintergrund und Personen, die im Alltag durch Krankheit oder Behinderung beeinträchtigt sind”. Eine weitere Beobachtung der Forscher: Anhänger der AfD empfinden den Zusammenhalt als besonders gering.
Vulnerable Gruppen müssen eine Stimme bekommen
Um die Skepsis gegenüber Politikern und politischen Prozessen abzubauen, müsse die Politik den genannten Risikogruppen erleichtern, sich gesellschaftlich und politisch einzubringen. Wichtig sei, dass auch die Stimmen sozial benachteiligter Gruppen Gehör finden.
Gerade in Zeiten einer Pandemie müsse dafür sensibilisiert werden, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen die Herausforderungen der Krise besser bewältigen können als andere. So verdienten jüngere Befragte tendenziell noch nicht so viel Geld und stünden vor der Aufgabe, Homeoffice und Kinderbetreuung gleichzeitig zu bewältigen.
Für ein Ehepaar mit einem Kind ist das in der Regel leichter zu bewerkstelligen als für eine alleinerziehende Mutter mit drei Kindern. Überforderung im Alltag kann Zukunftsängste hervorrufen. Wenn dann auch noch das Gefühl entsteht, dass die eigenen Interessen von der Politik nicht berücksichtigt werden, seien Skepsis und Unzufriedenheit den Forschern zufolge programmiert.