Corona-Krise: Orbán will in Ungarn per Dekret regieren
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Viktor Orbán, Ministerpräsident von Ungarn, hält seine Rede im Parlamentsgebäude über den aktuellen Stand des Coronavirus-Ausbruchs während einer Plenarsitzung.
© Quelle: Tamas Kovacs/MTI/AP/dpa
Brüssel. Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán will sich in der Coronavirus-Krise weitreichende Kompetenzen geben lassen. Die Regierung in Budapest arbeitet an einem Notverordnungsgesetz, das das Regieren per Dekret für möglicherweise unbegrenzte Zeit ermöglichen würde. Orbán-Kritiker schlagen Alarm. Sie fürchten, dass sich der Regierungschef damit quasi diktatorische Vollmachten verschaffen will.
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Vor Kurzem wurde auf der Webseite des ungarischen Parlaments ein Gesetzentwurf veröffentlicht, wonach der am 11. März verhängte Notstand künftig auch ohne Zustimmung der Abgeordneten verlängert werden soll. Bislang muss das Parlament alle 15 Tage über die Verhängung von Einschränkungen entscheiden.
Strafrecht soll verschärft werden
Doch demnächst, so der Entwurf aus dem Justizministerium, könnte für diesen Fall eine “erzwungene parlamentarische Pause” gelten. Die Regierung könnte dann per Dekret “die Anwendung einzelner Gesetze suspendieren, von gesetzlichen Bestimmungen abweichen und sonstige außerordentliche Maßnahmen treffen”.
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© Quelle: Reuters
Damit nicht genug. Orbán plant auch, das Strafrecht zu verschärfen. So sollen Verstöße gegen Quarantänebestimmungen mit einer Haftstrafe von bis acht Jahren geahndet werden. Bis zu fünf Jahre Gefängnis drohen wegen der Verbreitung von “Falschnachrichten” in der Coronavirus-Krise.
Schon nächste Woche könnte das Gesetz das ungarische Parlament passieren. Orbán braucht dazu eine Zweidrittelmehrheit, die er mit den Abgeordneten seiner Fidesz-Partei erreichen dürfte. Das Parlament würde sich gewissermaßen selbst entmachten.
Orbán-Gegner schlagen Alarm
Ungarische Bürgerrechtler schlugen jetzt Alarm. Es sei nicht akzeptabel, dass die Regierung womöglich auf unbegrenzte Zeit per Dekret handeln könne, hieß es in einer Stellungnahme, die vom ungarischen Helsinki-Komitee und Amnesty International verfasst wurde.
“Ich bin zutiefst besorgt darüber, dass Orbán die aktuelle Coronavirus-Krise als Entschuldigung nutzen wird, um sich mehr Macht zu verschaffen”, sagte die liberale ungarische Europaabgeordnete Katalin Cseh im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Sie sehe zwar ein, dass eine Regierung in Krisenzeiten mehr Befugnisse bekommen müsse, sagte Cseh: “Doch das darf auf keinen Fall ohne Kontrolle des Parlaments geschehen und auch nicht zeitlich unbegrenzt sein. Das ist völlig überzogen.”
Abgeordnete: EU-Kommission muss eingreifen
Gerade der Paragraf zu den “Falschnachrichten” zeige das Problem: “Angesichts des Drucks, den die Regierung ohnehin schon auf ungarische Medien ausübt, kann das leicht als ein Mittel missbraucht werden, Regierungskritiker zum Schweigen zu bringen.”
Die Europaabgeordnete forderte die EU-Kommission auf, auf die Orbán-Regierung einzuwirken. “Die EU-Kommission sollte sich einschalten und zumindest den Dialog mit der ungarischen Regierung suchen, um sicherzustellen, dass die Maßnahmen gegen das Coronavirus mit europäischem Recht übereinstimmen”, sagte Cseh.
Ein Sprecher der EU-Kommission wollte den ungarischen Gesetzentwurf nicht direkt kommentieren. Grundsätzlich gelte jedoch, dass die nationalen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus im Einklang mit dem europäischen Recht sein müssten: “Alle Notmaßnahmen sollen zeitlich befristet sein.” Auch seien freie Medien unabdingbar in Demokratien.
Orbán steht seit Jahren in Brüssel in der Kritik. Die EU-Kommission hat ein sogenanntes Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn eingeleitet. Orbán wird vorgeworfen, gegen EU-Grundwerte zu verstoßen.
Kritik auch in Polen
Auch in anderen Staaten regt sich im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus Kritik an Maßnahmen der Regierungen. Die Präsidentschaftswahl in Polen ist für den 10. Mai geplant. Zwar ist der Wahlkampf offiziell eingestellt. Doch die Opposition fürchtet, dass sich Amtsinhaber Andrzej Duda einen Vorteil verschaffen kann, weil er massiv vom Staatsfernsehen unterstützt werde. Eine Verschiebung der Wahl lehnt die regierende PiS-Partei bislang ab.
In Großbritannien gab es Streit um die Laufzeit des Gesetzes, mit dem die Regierung von Premierminister Boris Johnson auf die Coronavirus-Krise reagieren will. Zunächst war davon die Rede, die Restriktionen sollten für zwei Jahre gelten. Nun soll das Unterhaus alle sechs Monate über das Gesetz abstimmen.
Großbritannien verschärft Regeln im Kampf gegen Coronavirus
Die Regierung in Großbritannien hat weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens angeordnet.
© Quelle: Reuters
In Israel schließlich hat der amtierende Regierungschef Benjamin Netanjahu vorgeschlagen, für die nächsten drei Jahre eine Notstandsregierung zu bilden. Damit könnte Netanjahu möglicherweise einem Korruptionsprozess entgehen. Unklar war allerdings, ob die Opposition dem Plan zustimmen wird.