Steuern wir auf den nächsten Lockdown zu?
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Menschenleere Einkaufsstraße in Essen, während des bisher letzten Corona-Lockdowns. Vermehrt sprechen sich Politiker für einen erneuten Lockdown – auch für Geimpfte – aus.
© Quelle: imago images/Rupert Oberhäuser
Berlin. Einige Nachbarländer Deutschlands müssen trotz verfügbarer Impfstoffe in diesem Winter wieder in einen Lockdown. Österreich hat diesen Schritt schon gemacht, in den Niederlanden ist zumindest jeden Tag ab dem späten Nachmittag alles dicht. Ein Großteil der Deutschen hält laut einer Umfrage auch hierzulande einen Lockdown für wahrscheinlich. In der Politik werden die Rufe nach solchen Einschränkungen immer lauter – und doch will bislang kaum jemand von einem erneuten Lockdown sprechen. Ein Überblick.
Noch im August hatte beispielsweise Jens Spahn (CDU) einen neuen Lockdown für Geimpfte ausgeschlossen. Diese Meinung scheint er angesichts der aktuellen Situation geändert zu haben, auch wenn Spahn das Wort selbst nicht in den Mund nimmt. Der geschäftsführende Gesundheitsminister sagte am Freitag auf einer Pressekonferenz, die Lage sei so ernst wie noch zu keinem Zeitpunkt in der Pandemie. „Wir müssen jetzt diese Welle stoppen. Sonst erleben wir genau das, was wir immer vermeiden wollten: eine Überlastung des Gesundheitssystems.“
Spahn: „Es nützt alles nichts.“
Warnungen und Weckrufe seien aber noch immer nicht überall angekommen, es passiere zu wenig und oft zu spät. Trotz Impfungen und Tests sei kurzfristig jetzt nur eines entscheidend: „Die Zahl der Kontakte muss runter, deutlich runter. Es nützt alles nichts.“
Spahn: „Es braucht deutlich mehr Kontaktbeschränkungen“
„Diese Welle wird auch in Deutschland weiter gen Westen und Norden ziehen“, warnt Spahn.
© Quelle: AFP
Spahn schlug vor: Das Beste wäre eine Bund-Länder-Runde zu weitergehenden Maßnahmen schon in den nächsten Tagen. „Je länger wir das jetzt laufen lassen, desto drastischer werden am Ende die notwendigen Maßnahmen sein müssen“, warnte Spahn. Geplant ist die nächste Ministerpräsidentenkonferenz am 9. Dezember.
Ministerpräsidenten der Länder werden konkreter
Unterdessen werden mehrere Länderchefs deutlicher. So schloss der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) angesichts der aktuellen Corona-Lage einen weiteren Lockdown auch für Geimpfte und Genesene nicht aus. Man müsse zwar immer verhältnismäßig agieren, sagte Kretschmann der „Schwäbischen Zeitung“ am Samstag. Dies berge aber „immer die Gefahr, dass wir zu langsam sind“. Weiter sagte der Politiker: „Einen Lockdown für alle schließe ich nicht aus.“
Auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hält wegen des rasanten Anstiegs der Corona-Infektionszahlen schärfere Beschränkungen für realistisch. „Ob der Instrumentenkasten … für die Zukunft reicht, da bin ich mir nicht nur nicht sicher, sondern ich glaube es vor dieser Entwicklung nicht“, sagte Woidke am Freitag im Deutschlandfunk. „Da muss mit der Bundesebene gesprochen werden, dass wir weitere Möglichkeiten erhalten.“
„Im Köcher sind jetzt nicht mehr allzu viele Maßnahmen“, sagte der Regierungschef. „Wir reizen den bundesrechtlichen Rahmen aus, den wir heute haben.“ Einen allgemeinen Lockdown gebe dieser Rahmen derzeit nicht her. Schulen will er so lange wie möglich offen halten: „Ich würde alles dafür tun und die Rahmenbedingungen so setzen, dass wir möglichst den Kindern den Schulbesuch ermöglichen, dass damit auch ein relativ geordnetes Familienleben möglich ist.“
Kretschmer einer der ersten, der Lockdown nicht ausschließen wollte
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hatte zuvor schon einen Lockdown vor Weihnachten nicht ausgeschlossen. Sein Bundesland ist derzeit mit am schwersten von der vierten Welle betroffen, die Impfquote ist dort deutlich geringer als in anderen Teilen Deutschlands.
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Kretschmer forderte eine Bund-Länder-Konferenz noch vor dem für den 9. Dezember geplanten Termin. „Zögern wird bestraft“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die neue Südafrika-Variante des Virus verschärfe noch die Lage: „Wir brauchen nun umso dringlicher bundeseinheitliche Regelungen im Kampf gegen dieses aggressive Virus.“ Derzeit mögliche Maßnahmen reichten nicht aus.
Das sagen Ampelpolitiker zu möglichem Lockdown
Im Bund haben künftig SPD, Grüne und FDP das Sagen, der Koalitionsvertrag steht schon. Vergangene Woche entschieden sich die Ampelparteien im Bundestag, die epidemische Lage nationaler Tragweite nicht zu verlängern. Stattdessen verabschiedete das Parlament ein überarbeitetes Infektionsschutzgesetz, das nun die rechtliche Grundlage für künftige Corona-Regeln bildet. Ein bundesweiter Lockdown – auch für Geimpfte, sollte damit eigentlich ausgeschlossen werden.
Am Samstagmittag kündigte der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) weitere Maßnahmen an, auch er vermied dabei das Wort Lockdown. Bei Twitter schrieb er: „Wir etablieren einen Krisenstab und entwickeln einen neuen, präzisen Umgang mit den aktuellen Herausforderungen zu #Corona und #Omicron. Wir werden alles tun, was nötig ist. Es gibt nichts, was nicht in Betracht gezogen werden kann.“
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Grünen-Co-Chefin Annalena Baerbock hält laut „Spiegel“ weder einen weiteren Lockdown noch die Einführung der allgemeinen Impfpflicht für ausgeschlossen. „Ich schließe nicht aus, dass es weiterer Schritte bedarf, womöglich pauschaler“, sagt Baerbock dem Nachrichtenmagazin zufolge auf die Frage, ob sie einen weiteren Lockdown ausschließe.
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Christian Lindner (FDP), Olaf Scholz (SPD), Annalena Baerbock und Robert Habeck (beide Grüne) bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags der sogenannten Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen.
© Quelle: imago images/Bildgehege
„Deswegen ist es so wichtig, die nächsten Tage zu nutzen, um sich ein ehrliches Bild zu machen.“ Auch eine allgemeine Impfpflicht schlössen die Grünen nicht aus, sagt Baerbock weiter. „Aber akut hilft sie nicht, die vierte Welle zu verlangsamen.“
Auch Esken ist vorsichtig in der Wortwahl
Die SPD-Co-Chefin Saskia Esken plädiert zwar nicht für einen Lockdown im Winter, schließt ihn aber auch nicht aus. Jetzt müssten die 2G- und 2G-plus-Regeln angewandt und vor allem kontrolliert werden, sagt sie in der ARD. „Wir sind der Auffassung, dass geimpfte Menschen, die jetzt in den letzten Monaten alles richtig gemacht haben, die sich haben impfen lassen und sich um einen Booster-Termin bemühen, dass wir die nicht in einen Lockdown schicken können, um eben vor allem Ungeimpfte zu schützen.“
Auf die Frage, ob sie sagen könne, dass es keinen kurzen harten Winterlockdown geben könne, sagt Esken: „Ich würde heute, Stand heute und auch schon gestern und vorgestern, nichts ausschließen, was wir in die Hand nehmen müssen, welche Instrumente wir in die Hand nehmen müssen, um diese Welle zu brechen.“
Unionspolitiker fordern strenge Maßnahmen um Weihnachten herum
Der CSU-Bundestagsabgeordnete Stephan Pilsinger hat sich für strenge Corona-Maßnahmen um die Feiertage im Dezember ausgesprochen. „Um das Schlimmste zu verhindern, ist ein strenger Weihnachtslockdown für alle Bürger ähnlich wie letztes Jahr in Italien notwendig“, sagte der Gesundheitspolitiker der „Augsburger Allgemeinen“. Man müsse unbedingt handeln, um zu verhindern, dass es Anfang nächsten Jahres einen völligen Kollaps des Gesundheitssystems wie zum Beispiel in Bergamo mit vielen Covid-Toten gebe.
Eine Überlastung des Gesundheitssystems und der Intensivstationen sei bei den massiv wachsenden Infektionszahlen nicht mehr vermeidbar. Die Zeit um den Jahreswechsel sei praktikabel: „In diesem Ferienzeitraum sind die negativen Auswirkungen eines Lockdowns zur Brechung der Welle für die Kinder und die Wirtschaft am geringsten“, sagte er.
Auch der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU im Bundestag, Ralph Brinkhaus, hat weitere schnelle Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus gefordert – bis hin zu einem möglichen Vorziehen der Weihnachtsferien. Der „Welt am Sonntag“ sagte er: „Sollte sich die Lage noch verschlimmern, muss meines Erachtens auch darüber nachgedacht werden, die Weihnachtsferien überall ein bis zwei Wochen früher beginnen zu lassen, um die Kontakte zum Beispiel in den Schulen zu reduzieren.“
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Den künftigen Regierungsparteien SPD, Grünen und FDP warf er vor, zu langsam zu handeln. Wenn der wahrscheinliche künftige Kanzler Olaf Scholz einen ständigen Corona-Krisenrat wolle, müsse er ihn sofort einberufen. „Fakt ist doch: Wir müssen jetzt massiv Kontakte reduzieren, um die vierte Welle zu brechen. Dazu müssen alte und neue Regierung, die Regierungsfraktionen und die Opposition schnell und gut zusammenarbeiten.“ Die Unionsfraktion sei dazu bereit. Angesichts der neuen in Südafrika aufgetauchten Virusvariante sagte er: „Die Lage ist blitzgefährlich, die Lage ist akut. Wir müssen sofort handeln.“
RND/jw/Reuters/dpa