Falsche Behauptungen zur epidemischen Lage – ein Faktencheck
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Der Plenarsaal des Deutschen Bundestages vor Beginn einer Sitzung. Am Donnerstag stimmt das Parlament über einen Gesetzentwurf zur epidemischen Lage ab.
© Quelle: imago images/Christian Spicker
Berlin. Der Deutsche Bundestag berät am Donnerstag abschließend über einen Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen, der die Befugnisse des Gesundheitsministers in der Corona-Pandemie über den 31. März hinaus verlängern soll. Eigentlich ein gewöhnliches Vorhaben, das unter anderem dafür sorgen soll, dass die Corona-Impfverordnung auch nach dem Monatsende weiter Bestand hat.
In Verlautbarungen der AfD und Alarmmeldungen rechter Onlinemedien wird jedoch behauptet, das geplante Gesetz sei ein „Ermächtigungsgesetz” und die Bundesregierung wolle den Bürgern damit dauerhaft ihre Grundrechte entziehen. Ein Faktencheck.
Welche Behauptungen kursieren?
„Kalter Putsch von oben?”, fragt das rechte Onlineportal „Journalistenwatch”, das seit Jahren nicht nur durch besonders reißerische Artikel, sondern immer wieder auch durch die Verbreitung von Falschmeldungen auffällt. Der Bundestag solle ein „unbefristetes Ermächtigungsgesetz” ausrufen, heißt es in der Artikelüberschrift weiter. Merkel und Söder wollten den „unbefristeten Ausnahmezustand erklären und den Bürgern ihre Grundrechte dauerhaft entziehen”, schreibt die Fraktionsvorsitzende der AfD im bayerischen Landtag, Katrin Ebner-Steiner, in einem Facebook-Post.
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Die Pandemie und wir
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Und auch ein Artikel des Kolumnisten Gunnar Schupelius in der Berliner Boulevardzeitung „B.Z.” befeuert Falschinformationen über den Gesetzentwurf: „Soll der Lockdown etwa noch um ein Jahr verlängert werden?”, fragt Schupelius, um dann zu behaupten, der Bundestag wolle den Ausnahmezustand auf unbestimmte Zeit ausrufen. Damit würden vor den Beratungen der Regierungschefs und -chefinnen der Länder mit der Kanzlerin am Mittwoch im Hintergrund „offenbar bereits Fakten geschaffen”.
Auf Facebook und in den Kreisen rechter Verschwörungsgläubiger in der Messenger-App Telegram finden solche Meldungen rasante Verbreitung. Dort wurde im vergangenen Jahr bereits mehrfach ohne Belege gewarnt, die Bundesregierung wolle mit den Neufassungen des Infektionsschutzgesetzes eine „Corona-Diktatur” einführen. Auch die AfD verbreitete derartige Behauptungen immer wieder, Bundestagsabgeordnete der Partei verglichen die Pandemiebekämpfung der Bundesregierung mit Gesetzen der Nationalsozialisten.
Bund-Länder-Plan mit Ausnahmen: Lockdown-Verlängerung bis 28. März
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© Quelle: Reuters
Was bewirkt das geplante Gesetz tatsächlich?
Das „Gesetz zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen” soll Corona-Maßnahmen der Bundesregierung längerfristig ermöglichen. Im März 2020 hatte der Bundestag eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite” festgestellt, im November wurde dieser Beschluss verlängert. Alle Regelungen, die daran geknüpft sind, wurden jedoch zunächst bis zum 31. März 2021 befristet. Die Corona-Pandemie wird bis dahin jedoch nicht vorbei sein.
In einer solchen epidemischen Lage hat der Bundesgesundheitsminister besondere Befugnisse, Verordnungen zu erlassen. Darunter fallen etwa die Coronavirus-Testverordnung und die Impfverordnung. Die SPD- und die Unionsfraktion halten es angesichts der andauernden Pandemie für notwendig, die Geltung der aktuellen Regelungen zu verlängern.
Ohne eine Neuregelung würden die genannten Verordnungen am Monatsende ihre Gültigkeit verlieren. Außerdem wollen sie die gesetzlichen Grundlagen auch für „künftige pandemische Lagen” erhalten, wie es in der Erklärung zum Gesetzentwurf heißt.
Werden die Lockdown-Maßnahmen dadurch automatisch auf unbestimmte Zeit verlängert?
Nein. Durch das geplante Gesetz soll die Aufrechterhaltung von Corona-Schutzmaßnahmen nur so lange ermöglicht werden, wie der Bundestag es für notwendig hält. Das Parlament muss alle drei Monate feststellen, dass weiterhin eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite” besteht. Gibt es dafür keine Mehrheit, enden die Maßnahmen.
Auch eine Reihe von Vorschriften aus dem Infektionsschutzgesetz, etwa die Aufzählung möglicher Beschränkungen im öffentlichen Leben, treten dann außer Kraft. Denn sie gelten nur, wenn der Bundestag weiterhin die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ erklärt hat. Viele der wichtigsten Entscheidungskompetenzen für mögliche Lockdown-Verlängerungen oder Lockerungen liegen allerdings bei den Ländern.
Was soll in dem Gesetz noch geregelt werden?
Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen beinhaltet außerdem neu festgelegte Impfziele, die die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission und die Verordnungen des Gesundheitsministeriums künftig berücksichtigen sollen. Darin wird etwa festgehalten, dass die Corona-Impfungen vor allem schwere und tödliche Krankheitsverläufe reduzieren, die Ausbreitung des Virus unterbinden und besonders gefährdete Personen schützen sollen. Damit solle der Rahmen für Priorisierungsentscheidungen bei den Impfungen verstärkt werden.
Außerdem sollen durch Gesetzesänderungen Sonderregelungen zugunsten von Pflegebedürftigen, pflegenden Angehörigen und Pflegeeinrichtungen über den 31. März hinaus verlängert werden.
Der Gesetzentwurf sieht außerdem eine wissenschaftliche Auswertung der gesamten Regelungen zur epidemischen Lage durch die Wissenschaftsakademie Leopoldina vor, die bis zum Jahresende erstellt werden soll.