Impfpflicht: der Streit um den Fahrplan für die kommenden Monate

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert glaubt nicht an die Einführung einer Impfpflicht bis Anfang März. Foto: Kay Nietfeld/dpa

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert glaubt nicht an die Einführung einer Impfpflicht bis Anfang März. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin. In der Debatte um eine allgemeine Corona-Impfpflicht wächst der Druck auf die Ampel­koalition, einen genaueren Fahrplan festzulegen. Die oppositionelle Union verlangte schnelleres Handeln. Die Bundes­regierung bekräftigte, Kanzler Olaf Scholz (SPD) sei klar für die Impfpflicht. Er respektiere aber das Vorgehen des Bundestags, wie dieser den Zeitplan gestalten wolle, sagte die stellvertretende Regierungs­sprecherin Christiane Hoffmann am Montag. Ins Gespräch kommen auch weitere Varianten – darunter ein schrittweises Ausweiten der schon beschlossenen Impfpflicht für Beschäftigte in Einrichtungen mit Corona-Risikogruppen zunächst auch auf andere Bereiche.

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Tatsächlich richten sich jetzt verschärfte Blicke auf den Kalender. Denn eine Zielzeit, ab wann eine zuvor lange ausgeschlossene Pflicht greifen solle, hatte Scholz früh genannt: „Anfang Februar oder Anfang März.“ Über die Regelungen dafür soll der Bundestag nach Plänen von SPD, FDP und Grünen aber in freier Abstimmung ohne Fraktions­vorgaben entscheiden. Und eben nicht über ein Vorhaben der Koalition, das dann auch eine Koalitions­mehrheit bekommen müsste. Hintergrund sind auch offen sichtbare unterschiedliche Positionen in den Ampelreihen – vor allem aus der FDP sind schon verbreitete Vorbehalte laut geworden.

Klar ist inzwischen, dass es Ende Januar wohl zunächst eine offene „Orientierungs­debatte“ über das ethisch sensible Thema geben soll. In der vergangenen Wahlperiode gab es das etwa schon zu Neuregelungen bei der Organspende oder zu Bluttests vor der Geburt unter anderem auf ein Down­syndrom des Kindes. In solchen Grundsatz­­debatten melden sich viele Abgeordnete in kurzen Reden zu Wort, manche schilderten dabei zuletzt auch berührende persönliche Eindrücke und Erlebnisse. Konkrete Gesetzes­anträge müssen da noch nicht auf dem Tisch liegen.

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Die SPD hat bisher eher allgemein in Aussicht gestellt, den Abschluss eines Gesetzgebungs­prozesses „im ersten Quartal“ anzustreben – also bis spätestens Ende März. Wie passt das zur Zielvorgabe des Kanzlers? Noch mehr Wirbel gab es übers Wochenende darüber, dass im ganzen Monat Februar vorerst nur eine einzige Sitzungswoche des Parlaments im Kalender steht. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagte am Montag im TV-Sender Welt: „Es ist aber auch so, dass der Bundestag jederzeit handlungsfähig ist und eine Sondersitzung einberufen werden kann, wenn es die Situation erfordert.“ Der Zeitplan sei aber auch ohne machbar, so dass man im März, also noch im ersten Quartal, zu einem Abschluss komme.

Ampel will sich in Ruhe beraten

Dabei heben die Ampelpartner mittlerweile stärker hervor, dass das Thema „in Ruhe“ beraten werden solle – und es auch nicht um die ganz akute Krisen­bekämpfung gehe. Eine Impfpflicht helfe jetzt nicht in der Omikron-Welle, sondern schütze im besten Fall in der kommenden Herbst/Winter-Saison vor weiteren Wellen, sagte Janosch Dahmen von den Grünen im Deutschland­funk. Der Gesundheits­experte schlug nun ein zweistufiges Vorgehen vor: In einem nächsten Schritt solle man die bereits beschlossene einrichtungs­bezogene Impfpflicht auf andere Bereiche wie Feuerwehr, Polizei oder Justizvollzug ausweiten – und dann so schnell wie möglich zur allgemeinen Impfpflicht kommen.

Eine Pflicht für Personal in Einrichtungen mit schutz­bedürftigen Menschen wie Pflegeheimen und Kliniken war schon im Dezember besiegelt worden. Beschäftigte müssen nun bis Mitte März nachweisen, dass sie geimpft oder genesen sind. Dahmen sagte, für eine allgemeine Pflicht sei es richtig, sich Zeit für Beratungen zu nehmen. „Führung bedeutet nicht Basta-Politik, sondern die Gesellschaft mitzunehmen und Gräben zu überwinden.“ Die dazu vorgesehenen Gruppenanträge ermöglichten „eine partei­übergreifende Entscheidungs­findung, die auch zur Depolarisierung in der Gesellschaft beiträgt“.

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Konkret sind drei mögliche Initiativen in Sicht, hinter denen sich Unterstützer versammeln können. Zuerst auf den Tisch kam ein Antrag einer Gruppe um FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der sich klar gegen eine Impfpflicht ausspricht. Gesund­heits­minister Karl Lauterbach (SPD) arbeitet nach eigenen Worten „als Abgeordneter“ an einem Antrag für eine Impfpflicht für alle ab 18 Jahren. Der FDP-Gesundheits­politiker Andrew Ullmann regte eine alters­abhängige Regelung wie in Italien an, wo sie für über 50-Jährige gilt. Dies wäre verhältnismäßig, wenn das Funktionieren des Gesundheits­wesens gefährdet sei. Auch im Ethikrat gab es in einem Mehrheits­votum für eine Impfpflicht zwei Positionen zum Ausmaß: für alle ab 18 oder nur für Ältere und Vorerkrankte.

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Kühnert: Impfpflicht bis März unwahrscheinlich

SPD-General­sekretär Kevin Kühnert hat sich für eine zügige Entscheidung des Bundestags über eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen. Er bezweifelte am Montag nach Beratungen des Partei­präsidiums aber, dass das von Kanzler Olaf Scholz (SPD) ursprünglich angepeilte Inkrafttreten bis Anfang März noch erreichbar ist. „Das kann jetzt gegebenenfalls so sein, dass der Zeitplan im Deutschen Bundestag und auch im Bundesrat das so nicht hergibt“, sagte Kühnert.

Den Vorwurf der Opposition, Scholz und die Bundes­regierung würden das Projekt nicht aktiv vorantreiben, wies er zurück. „Das hat nichts mit mangelnder Führung zu tun“, sagte Kühnert. Es sei richtig, die Frage dem Parlament zu überlassen, und Scholz habe sich als Abgeordneter klar für eine Impfpflicht positioniert. „Das ist keine verkappte Vertrauens­frage, die hier gestellt wird“, betonte der SPD-General­sekretär.

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Scholz hatte sich im vergangenen Jahr für ein Inkrafttreten einer allgemeinen Impfpflicht Anfang Februar oder Anfang März ausgesprochen, die Entscheidung darüber aber dem Bundestag überlassen. Das Parlament soll nun ohne Fraktionszwang darüber abstimmen. Einen Zeitplan gibt es dafür aber noch nicht.

CDU fordert mehr Tempo

Die CDU hat die Bundes­regierung aufgefordert, zügig eine Gesetzes­vorlage für eine allgemeine Impfpflicht zu erarbeiten. Im Grundsatz sei man sich einig, es gehe nun um die Umsetzung, sagte CDU-General­sekretär Paul Ziemiak nach Beratungen der Parteispitze am Montag in Berlin. „Da muss die Bundes­regierung einfach jetzt liefern.“ Ziemiak warf der Regierung Zögern vor. „Nichtstun ist keine Option. Das verunsichert die Menschen.“

In der CDU seien „die führenden Personen“ für eine Impfpflicht, sagte der General­sekretär. Die CDU sei jederzeit bereit, über diese wichtigen Fragen zu sprechen, auch in Sondersitzungen des Bundestags. „Der Sitzungs­kalender des Bundestags ist kein Hindernis“, betonte Ziemiak.

Für die spätere Abstimmung soll der Fraktionszwang aufgehoben werden – jede Abgeordnete und jeder Abgeordnete sollen nur nach ihrem Gewissen entscheiden. Das gleiche Verfahren wurde auch für die Entscheidung über wichtige andere ethische Fragen wie die Neuregelung der Sterbehilfe gewählt.

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