Wie zulässig ist eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen?
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Wird die Impfung für bald zur Pflicht? Eine Pflegekraft wird im Rahmen der Mitarbeiterimpfung im Krankenhaus Bethel Berlin gegen das Coronavirus geimpft. (Archiv)
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Berlin. Die Rufe nach einer möglichen Impfflicht gegen das Coronavirus werden lauter. Laut ARD-Deutschland-Trend befürwortet eine Mehrheit der Deutschen (57 Prozent) die verbindliche Impfung für alle Personen ab 18 Jahren. Der Berliner Rechtswissenschaftler und Universitätsprofessor Christian Pestalozza, Mitglied der Landesärztekammer und Landesethikkommission, hält die Impfpflicht aus rein verfassungsrechtlichen Gründen für unbedenklich.
„Da sich offenbar nicht ausreichend Menschen freiwillig haben impfen lassen, halte ich diesen Schritt für unumgänglich“, sagte Pestalozza dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Für kontaktintensive und besonders gefährdete Berufe im Bereich der Pflege, des ärztlichen und medizinischen Personals, der Rettungskräfte, Polizei und Lehrkräfte habe er sich die Impfpflicht ohnehin „schon viel früher gewünscht“.
Wer kann die Entscheidungen für eine Impfpflicht treffen?
Christian Pestalozza sieht den Bund in der Pflicht, eine einheitliche Regelung auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes zu verabschieden. „Wenn der Bund nicht tätig wird, sieht das Infektionsschutzgesetz vor, dass auch die Länder einspringen dürfen. Damit würde man einzelne Länder aber in Entscheidungs- und Gewissensnot bringen. Das sollte man ihnen abnehmen“, sagte Pestalozza dem RND.
Wie ist die Pflicht für bestimmte Berufsgruppen geregelt?
Wer bei einer möglichen Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen oder Tätigkeitsbereiche, etwa in der Pflege, tatsächlich für impfpflichtig erklärt wird, wäre ebenfalls auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes oder der Länderverordnungen zu regeln. „Da ist der neue Bundestag gefordert, eine parlamentarische Regelung zu treffen“, so Pestalozza.
Eine Verordnung von diesem Gewicht käme einer neuen Qualität der Pandemiebekämpfung gleich, weshalb sie laut Pestalozza als wesentliche Entscheidung ins Gesetz gehöre.
Der Gießener Rechtswissenschaftler Steffen Augsberg hält eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen oder Tätigkeitsbereiche grundsätzlich ebenfalls für möglich. Er sieht allerdings auch verfassungsrechtliche Bedenken bei Menschen, die eine Impfung für ihren Körper ablehnen.
„Im Moment haben wir bei vielen Berufsgruppen eine hohe Impfbereitschaft“, sagte Augsberg dem RND. „Man muss sorgfältig begründen können, ob mit einer Pflicht tatsächlich mehr erreicht werden kann oder durch diese nicht sogar negative Gegeneffekte erzeugt werden.“
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für eine Impfpflicht erfüllt sein?
Auch eine generelle Impfpflicht ist nach Ansicht vieler Rechtsexperten grundsätzlich möglich. Allerdings stellt die Impfpflicht einen Eingriff in die individuelle Entscheidungsfreiheit und körperliche Unversehrtheit dar. So ein Eingriff muss aus verfassungsrechtlicher Sicht verhältnismäßig sein. Für Christian Pestalozza bedeutet das, dass vor allem vier Aspekte berücksichtigt werden:
- Der Eingriff muss ein legitimes Ziel verfolgen.
- Er muss geeignet sein, um sich diesem Ziel zu nähern.
- Er muss erforderlich sein, das heißt, mildere Mittel zur Erreichung des Ziels darf es nicht geben.
- Der Eingriff muss zumutbar sein.
Pestalozza hält alle vier Voraussetzungen aktuell zumindest bei Risikogruppen für gerechtfertigt. „Einige Menschen werden sich ohnehin von sich aus noch impfen lassen, nur wir brauchen eine Menge mehr, um Herdenimmunität zu erreichen. Die aktuellen Inzidenzzahlen sind auf einem Niveau wie selten zuvor. Wir können nicht darauf warten, bis die Krankenhäuser überfüllt sind und die Zahl der Toten weiter zunimmt“, kritisiert er.
Generelle Impfpflicht als „allerletzte Maßnahme“
Steffen Augsberg widerspricht: „Eine generelle Impfpflicht ist sicherlich die allerletzte Maßnahme, wenn wir keine anderen Möglichkeiten mehr haben. Wir müssen vorher schauen, ob wir andere Maßnahmen haben, Schutz zu erreichen, zum Beispiel durch Booster-Impfungen für besonders gefährdete Personen.“
Unter der Bedingung, dass das Ziel anders nicht erreicht werden kann, würde er aus verfassungsrechtlicher Sicht die Impfpflicht nicht ausschließen. „Im Moment schwanken wir ja noch bei der Benennung, was das Ziel überhaupt ist: die Überlastung des Gesundheitssystems oder die der Intensivstationen vermeiden, allgemein weniger Erkrankungen oder weniger Long Covid“, so der Rechtswissenschaftler. Diese Frage müsse geklärt werden, bevor man weitere Schritte ins Auge fasse.