Corona-Gipfel mit Merkel und Länderchefs: Kommen Nachteile für Menschen ohne Impfung?
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Am Dienstag beraten Bund und Länder über die Corona-Politik.
© Quelle: picture alliance / dpa
Berlin. Vor den Beratungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten am Dienstag hält die Kontroverse über mögliche Nachteile für Ungeimpfte bei einer vierten Corona-Welle an. SPD und Linke wandten sich gegen eine Ungleichbehandlung von Geimpften und Genesenen einerseits und Ungeimpften andererseits. Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, hält dies hingegen für richtig.
Das Bundesgesundheitsministerium hatte vor einigen Tagen in einem Bericht Vorschläge unterbreitet, um eine weitere Corona-Welle flach zu halten. Vor allem mögliche Beschränkungen für Ungeimpfte sorgen für Diskussionen. Das Ministerium schlug auch ein Ende der kostenlosen Schnelltests für Mitte Oktober vor. Seit über einem Monat steigt die Zahl der täglichen Neuinfektionen an. Die Sieben-Tages-Inzidenz je 100.000 Einwohner hat sich mehr als vervierfacht. Zugleich erlahmt die Impfkampagne.
Bartsch warnt vor Corona-Zweiklassengesellschaft
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch kritisierte: „Die Vorschläge aus dem Gesundheitsministerium vergiften das gesellschaftliche Klima und spalten das Land.” Die Bundesregierung sollte stattdessen die Impfkampagne vorantreiben, die Impfungen über intelligente Wege in den Alltag der Menschen bringen – „und keine Corona-Zweiklassengesellschaft vorbereiten”, sagte der Spitzenkandidat der Linken für die Bundestagswahl dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Wieder geraten Familien aus dem Blick.” Die Pläne wären für viele ein Schlag ins Gesicht, wenn der gemeinsame Kinobesuch oder das Familienessen ausfallen müsste.
Der nordrhein-westfälische Regierungschef Laschet sagte der “Bild am Sonntag”, die “3-G-Regel” (geimpft, getestet, genesen) habe sich “als sinnvoll, maßvoll und umsetzbar erwiesen”. Doch müsse jeder ohne Impfschutz für den Herbst damit rechen, “dass die Alltagstests nicht mehr vom Steuerzahler gezahlt werden”.
Brinkhaus: Geimpfte sauer auf Nicht-Geimpfte
Der Unions-Fraktionsvorsitzende Brinkhaus sagte der “Welt am Sonntag”, die Geimpften seien sauer auf die Nicht-Geimpften. Denn sie erlebten, dass sie ihre Freiheiten trotz Corona-Impfung nicht vollständig zurückbekämen. Es werde zu viel über einen angeblichen indirekten Impfzwang geredet und zu wenig über die Rechte von Geimpften. “Ich gehe aber davon aus, dass sich das im Herbst von selbst regeln wird, weil Hoteliers, Clubs, Veranstalter sagen werden: Sorry, bei mir kommst du nur mit einem Test nicht mehr rein.”
Josef Franz Lindner, Rechtsprofessor an der Universität Augsburg, hält die Kommunikation des Gesundheitsministeriums zu dem zukünftigen Umgang mit Ungeimpften ebenfalls für problematisch. „So wirkt es, als würde man die Ungeimpften dafür bestrafen, dass sie sich nicht impfen lassen. Das muss man umdrehen: Bestimmte Maßnahmen dürfen Geimpften nicht mehr auferlegt werden, weil von ihnen keine relevante Gefahr mehr ausgeht. Das ist ein Unterschied”, sagte Lindner im RND-Interview. Der Verfassungsrechtler geht davon aus, dass auch ungeimpfte Personen weiterhin die Möglichkeit haben müssen, am sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben teilzuhaben.
Die Bedingung, dafür einen negativen Schnelltest vorlegen zu müssen, sei laut Lindner allerdings vertretbar. „Wenn diese Möglichkeit nicht besteht, dann hätten wir eine faktische Impfpflicht. Deshalb ist auch der angebliche Vorschlag des Gesundheitsministeriums, bei steigenden Inzidenzen nur Genesenen und Geimpften bestimmte Zugangsmöglichkeiten zu gewähren, verfassungswidrig”, warnte Lindner. Eine tatsächliche Impfpflicht hält er als „mehr oder weniger letztes Mittel” für nicht ausgeschlossen. „Jetzt haben wir es allerdings mit einer neuen Generation von Impfstoffen zu tun, der viele Menschen mit Vorbehalt begegnen. Deshalb wäre eine Impfpflicht gegen das Coronavirus schwerer zu begründen”, sagte der Jurist dem RND. Bevor es zu einer Impfpflicht komme, müsse die Politik erstmal alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die Impfquote auf anderen Wegen zu erhöhen.
SPD-Chefin zu Corona-Politik: Geimpfte, Genesene und Getestete gleich behandeln
SPD-Chefin Saskia Esken sprach sich dafür aus, Geimpfte, Genesene und Getestete gleich zu behandeln. „Die sogenannte 3G-Regel für den gleichen Zugang von Geimpften, Getesteten und Genesenen halten wir in der SPD für den richtigen Weg“, sagte Esken der „Rheinischen Post“. Sie verlangte zudem einen Preisdeckel für Corona-Tests. „Da muss der Staat regulierend eingreifen, damit nach einem Ende der Gratis-Tests keine Abzocke der Ungeimpften passiert“, mahnte Esken.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach plädierte dafür, bei hohen Inzidenzwerten sollte es für Ungeimpfte eine Pflicht zu PCR-Tests geben, damit sie an Veranstaltungen teilnehmen und ins Restaurant gehen können. Lauterbach begründete das damit, dass Antigen-Schnelltests in vielen positiven Fällen ein falsch-negatives Ergebnis lieferten.
Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Montgomery, findet hingegen, dass Ungeimpfte Nachteile in Kauf nehmen müssen. „Das Beispiel Frankreichs zeigt, wie gut das funktioniert. Dort kommt man ohne Impfung nicht mehr ins Restaurant oder ins Kino. Autofahren darf man ja auch nur, wenn man einen Führerschein hat“, sagte er. Die Politik müsse alles unternehmen, um Ungeimpfte zur Impfung zu bringen. „Da nützen aber keine Prämien, Freibier oder kostenlose Bratwürste, sondern nur Rechte für Geimpfte“. Außerdem forderte Montgomery eine Testpflicht für sämtliche Reiserückkehrer, also auch für Geimpfte und Genesene.
Bleibt die 7-Tage-Inzidenz Richtwert für Corona-Maßnahmen?
Diskutiert wird vor der Bund-Länder-Runde auch über eine Abkehr von der Sieben-Tages-Inzidenz als Leitwert für die Beurteilung der Corona-Pandemie. „Wir brauchen einen neuen Wert, der das aktuelle Infektionsgeschehen beschreibt und Inzidenz und Impfquote nachvollziehbar miteinander ins Verhältnis setzt“, sagte Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte der „Welt“. Dank der Impfungen sei eine Ansteckung oder Erkrankung deutlich unwahrscheinlicher, eine schwere Erkrankung noch unwahrscheinlicher. „Das muss in möglichen neuen Corona-Regeln zum Ausdruck kommen“, sagte der SPD-Politiker.
Auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) rief Bund und Länder in der „Welt“ auf, sich „zwingend gemeinsam auf neue Parameter für die Bewertung der Gefährdungslage verständigen“. Esken sprach von einer „Neuausrichtung“ der Corona-Warnwerte. So werde man künftig mehr auf die Auslastung des Gesundheitssystems achten, sagte die SPD-Chefin.
RND/dpa/epd