Merkels „Akt der nationalen Solidarität“: So wollen Bund und Länder die vierte Corona-Welle brechen
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Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Olaf Scholz (SPD), geschäftsführender Bundesfinanzminister, nehmen im Anschluss an die Videokonferenz der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten an einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt teil.
© Quelle: Michael Kappeler/dpa POOL/dpa
Bund und Länder haben sich am Donnerstag zu einer vorgezogenen Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) getroffen, um über schärfere Corona-Maßnahmen im Kampf gegen die vierte Welle zu beraten. Anders als beim Treffen am Dienstag wurden diesmal auch konkrete Beschlüsse gefasst. Sie sehen vor allem für Ungeimpfte deutliche Verschärfungen vor – auch im privaten Bereich.
„Die Belastung in den Krankenhäusern gerät teilweise an ihre Grenze“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach der Bund-Länder-Runde. Die Maßnahmen von heute seinen als Akt der nationalen Solidarität zu verstehen. „Eine strenge Kontrolle der Regeln wird durchgesetzt“, sagte die scheidende Kanzlerin am Donnerstagnachmittag in Berlin. Merkel kündigte an, dass der Ethikrat bis Jahresende um eine Empfehlung in der Frage der allgemeinen Impfpflicht gebeten wird. Der Bundestag solle dann eine solche Pflicht debattieren und abstimmen. „Wir haben verstanden, dass die Lage sehr ernst ist.“
+++Liveblog: Erste Reaktionen zu den aktuellen Corona-Beschlüssen+++
Auf diese Corona-Regeln haben sich Bund und Länder verständigt:
- Kultur- und Freizeiteinrichtungen mit 2G: Kinos, Theater, Restaurants und andere Einrichtungen nur noch für Geimpfte und Genesene (2G), optional kann auch ein aktueller Corona-Test zusätzlich vorgeschrieben werden (2G-plus).
- 2G im Einzelhandel: Nur noch Geimpfte und Genesene dürfen Geschäfte besuchen, ausgenommen von der Regel sind Geschäfte des täglichen Bedarfs (z. B. Supermärkte und Drogerien).
- Kontaktbeschränkungen: Ungeimpfte dürfen sich nur noch mit bis zu zwei Personen aus einem (!) weiteren Haushalt treffen. Kinder bis 14 Jahren sind ausgenommen. Dies gilt auch für private Zusammenkünfte. Wer geimpft oder genesen ist, soll keinen Kontaktbeschränkungen unterliegen.
- Veranstaltungen: Hier gilt eine Teilnehmerzahl von höchstens 50 Personen in Innenräumen und 200 Personen im Freien. Es gilt in beiden Fällen 2G und Maskenpflicht. Ab einer Inzidenz von 350 gilt dies auch für private Feiern wie etwa Hochzeiten.
- Großveranstaltungen und Fußballstadien: Bei Veranstaltungen im Freien dürfen 30 bis 50 Prozent der Kapazitäten genutzt werden, maximal zulässig sind jedoch 15.000 Zuschauer. Es gilt 2G oder optional 2G plus. „In Ländern mit einem hohen Infektionsgeschehen müssen Veranstaltungen nach Möglichkeit abgesagt und Sportveranstaltungen ohne Zuschauer durchgeführt werden“, heißt es im Beschlusspapier. Veranstaltungen in Innenräumen sind ebenfalls mit 30 bis 50 Prozent Auslastung zulässig, maximal 5000 Zuschauer.
- Clubs und Diskotheken: In Hotspot-Regionen sollen sie geschlossen werden. Der Grenzwert liegt bei einer Inzidenz von 350 in einem Landkreis.
- Schulen: Einführung einer bundesweiten Maskenpflicht unabhängig von der Klassenstufe.
- Impfpflicht für alle: Neben der einrichtungsbezogenen Impfpflicht für Kliniken und Pflegeheime soll im Bundestag über die allgemeine Impfpflicht entschieden werden. Der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz sprach sich für eine solche allgemeine Impfpflicht aus.
- Impfschutz: Wie lange eine Person nach der letzten Impfung als vollständig geimpft gilt, soll festgelegt werden. Eine konkrete Dauer nannte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag aber nicht. Sie verwies darauf, dass die EU einen Ablauf des Impfschutzes nach neun Monaten erwäge.
- Die Übergangsfrist für die Maßnahmen aus der epidemischen Notlage sollen nicht am 15. Dezember auslaufen, sondern verlängert werden. Es soll gesetzlich geregelt werden, dass die Maßnahmen regional differenziert angeordnet werden können.
- Feuerwerksverbot: Wie schon im vergangen Jahr soll es ein Böllerverbot geben.
- Hotspot-Regeln: In Kreisen mit besonders hohen Inzidenzen sollen die Länder verschärfte Maßnahmen anordnen können. Dazu soll das Infektionsschutzgesetz geändert werden.
„FDP hat den weitesten Weg“: Impfpflicht wird nach Bund-Länder-Runde wahrscheinlicher
Nach der Corona-MPK steht fest, dass es immer mehr Einschränkungen für Ungeimpfte geben wird. Kommt dann noch die Impfpflicht? Eine Analyse von Markus Decker.
© Quelle: RND
Ab wann gelten die Maßnahmen?
Die Länder müssen die Beschlüsse aus der Ministerpräsidentenkonferenz jetzt in Landesverordnungen übertragen und dann verkünden. Danach sind die Maßnahmen geltend. Das wird das eine Bundesland schneller hinbekommen als andere. Baden-Württemberg strebt an, die angekündigten Verbote und Einschränkungen von diesem Samstag an umzusetzen. Der Zeitdruck auf die Länder ist groß. Schon morgen startet der nächste Bundesliga-Spieltag, außerdem steht das zweite Adventswochenende bevor.
Scholz zur Impfpflicht
Der künftige Kanzler Olaf Scholz beschreibt die aktuelle Situation als „sehr, sehr schwierig“. Klar sei, dass man als Erstes erreichen müsse, Ungeimpfte noch vom Impfen zu überzeugen. „Wir wissen mittlerweile, dass es eine Konsequenz hat, dass sich manche Bürgerinnen und Bürger noch nicht dazu durchringen konnten, sich impfen zu lassen.“ Man wisse doch, was für Lagen auf den Intensivstationen entstünden.
„Ich bin froh, dass der Deutsche Bundestag sich bereits auf den Weg gemacht hat, darüber zu beraten, eine einrichtungsbezogene Impfpflicht einzuführen“, sagte Scholz. Der Anstoß über eine Abstimmung im Bundestag über eine Impfpflicht sei damit bereits gegeben. Neben dem Krisenstab wird ein Stab von Experten für Bund und Länder zur Verfügung gestellt. Dort sollen gemeinsame Vorschläge aus Bund und Ländern diskutiert werden. „Es geht jetzt um eine große, nationale Anstrengung und es geht um Solidarität.“
„Wir müssen in den nächsten Wochen konsequent Kontakte reduzieren“, fordert der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und MPK-Chef Hendrik Wüst.
„Dieser Winter könnte härter werden als alles andere, was wir in dieser Pandemie erlebt haben“, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller. Deswegen müsse jetzt weiter entschlossen gehandelt werden. „Wir haben in den letzten Monaten bewiesen, dass wir das können, dass wir eingreifen.“ In den letzten Wochen hätten die Länder bereits durch Maßnahmen dafür gesorgt, dass die Situation nicht weiter eskaliert. Manchen Ländern sei es dabei sogar gelungen, „dass es einen leichten Rückgang des Infektionsgeschehen gibt“. Auch heute habe man wieder wichtige Maßnahmen beschlossen, mit denen es gelingen könne, die Intensivstationen nicht zu überlasten.
Vor dem Corona-Gipfel hatte der Handelsverband HDE ein Gutachten vorgelegt, das Beschränkungen für Ungeimpfte für verfassungswidrig hält. Das Institut der deutschen Wirtschaft schätzt, dass 2G für Geschäfte Einbußen von mehr als 5 Milliarden Euro bringen wird.