Bürgermeister wütet gegen Corona-Proteste: „Minderheit nimmt sich den Platz, den wir ihr lassen“

Dirk Neubauer (SPD), Bürgermeister der Kleinstadt, steht vor dem Schloss Augustusburg.

Dirk Neubauer (SPD), Bürgermeister der Kleinstadt, steht vor dem Schloss Augustusburg.

Augustusburg. Dirk Neubauer ist Bürgermeister des 4500-Einwohner-Städtchens Augustusburg in Sachsen und Buchautor („Rettet die Demokratie“). Sachsen ist der Hotspot der aktuellen Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen, die oft von Rechtsextremen durchsetzt sind. Am Wochenende gingen auch anderswo, etwa in Hamburg, Cottbus und Berlin viele Menschen auf die Straße. Gegendemonstrationen gibt es meist allein von linken Gruppen in größeren Städten. Die große Mehrheit hält sich raus. Dabei sollte gerade sie ihre Stimme erheben – und Überzeugungsarbeit leisten, sagt Neubauer im Interview mit RND-Reporter Jan Sternberg.

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In Sachsen und inzwischen bundesweit gehen fast täglich Gegner der Corona-Maßnahmen auf die Straße, oft sind sie angeleitet von rechtsextremen Akteuren. Wo bleiben eigentlich die anderen, die mit diesen Aussagen und diesem Drohpotenzial nicht einverstanden sind?

Das ist auch in Sachsen die große Mehrheit, und sie ist noch viel zu oft still. Wir Bürgerinnen und Bürger können unsere Verantwortung nicht delegieren, wir müssen selber für unsere Ziele einstehen. Das sage ich die ganze Zeit, das ist auch der Kern meines Buches „Rettet die Demokratie“. Wenn wir wollen, dass uns die Politiker wie Erwachsene behandeln, sollten wir uns auch so benehmen.

Wollen Sie, dass Gegendemonstranten die „Spaziergänge“ blockieren?

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Nein, das wäre gerade in diesen Tagen kein guter Weg. Dafür ist die Polizei zuständig, und ich würde mir wünschen, dass sie diese Zuständigkeit auch noch öfter als bisher ernst nimmt und handelt. Mir geht es um etwas anderes. Die Mehrheit darf nicht länger hinnehmen, von einer lauten Minderheit derart an den Rand gedrängt zu werden.

„Verpflichtung der Gesellschaft“: Umfrage zur allgemeinen Corona-Impfpflicht

Eine allgemeine Impfpflicht im Kampf gegen das Coronavirus scheint nicht in weiter Ferne – viele Bürgerinnen und Bürger würden es sogar befürworten.

Was meinen Sie damit genau?

Im privaten Umfeld vermeiden viele, über Impfungen oder generell über Politik zu reden. Sie bleiben lieber still, als Diskussionen anzufangen. Ich finde: Diese Diskussionen müssen wir führen, denn die Lage, in der wir sind, betrifft uns alle. Und es gibt Menschen, die dafür verantwortlich sind, dass wir uns in dieser Lage befinden. Die hat ursächlich mit der geringen Impfquote zu tun, besonders hier in Sachsen.

Geht es darum, Schuldige zu suchen?

Nein, aber wenn sich jemand beschwert, dass schon wieder die Weihnachtsmärkte geschlossen werden und es überall Beschränkungen gibt, dann muss er sich schon fragen lassen, was er selbst dafür getan hat, das zu vermeiden. Diese vierte Welle war vermeidbar.

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Sie haben von einem „epochalen Kollektivversagen“ der Politik gesprochen.

Politik hat den Sommer über wahlbedingt taktiert. Beinahe alle Gegenmaßnahmen kamen deshalb zu spät. Aber es gibt auch eine Eigenverantwortung der Bürger. Und wer sich unverantwortlich verhält und sich zum Beispiel nicht impfen lässt oder auch als Geimpfter nun so tut, als wäre er gegen alles immun, und deshalb alle Vorsicht fahren lässt. Der muss wissen, dass er mitverantwortlich ist für das Elend, in dem wir uns befinden.

Impfpflicht für Pflegepersonal: „Schade, dass jetzt Druck ausgeübt wird“
30.11.2021, Mecklenburg-Vorpommern, Rostock: Eine Intensivschwester betreut einen Patienten in einem der Behandlungszimmer der Intensivstation in der Universit��tsmedizin Rostock. Angesichts der sprunghaft zunehmenden Zahl von Corona-Infizierten und der hohen Auslastung der Intensivstationen hat die Universit��tsmedizin einen Covid-Ethikbeirat gebildet. Auch Patienten aus Sachsen werden in der Klinik behandelt. Foto: Jens B��ttner/dpa-Zentralbild/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Ab Mitte März 2022 gilt die Impfpflicht für Personal in Pflege und medizinischen Berufen.

Was gehört für Sie denn zu dieser Eigenverantwortung?

Jetzt ist doch der beste Zeitpunkt für die Mehrheit, dieser Minderheit zu sagen: Wir haben genug davon. Dass diese Minderheit so laut geworden ist, dass es so wenig Widerspruch gab, dafür sind wir alle verantwortlich. Sie nimmt sich den Platz, den wir ihr lassen. Durch Schweigen, Ausblenden, Nichtparteiergreifen. Da nehme ich auch den einen oder anderen Bürgermeisterkollegen in Sachsen nicht aus, der zu still war. An uns Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern richten sich die Leute aus. Wir müssen auch zu den Corona-Maßnahmen eine Position haben und halten. Jetzt ist der Zeitpunkt, auch im privaten Umfeld, Überzeugungsarbeit zu leisten für die Impfung. Das ist der beste aller Wege. Alles andere wirkt wie Bevormundung. Ich stehe auch einer Impfpflicht skeptisch gegenüber.

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Die Impfkampagne läuft wieder an, aber sie läuft nicht rund. Warum gab und gibt es keine einfachen technischen Lösungen?

Weil wir ein digitales Entwicklungsland sind. Und weil wir den Sommer über nicht gehandelt haben. Anders kann ich es nicht mehr sagen. Wir haben in Augustusburg ein digitales Tool, um unsere nächsten Impftage zu managen. Weil das im zentralen Impfportal nicht klappt. Wenn ich bei der Landesregierung auf die Versäumnisse hinweise, versteht dort keiner, was ich meine. Stattdessen gaben staatliche Stellen Millionen für die komplett überflüssige Luca-App aus. Und die sehr gute und ebenfalls steuerfinanzierte Corona-Warn-App hingegen fristet ein Schattendasein. Das soll mal jemand erklären.

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