Carola Rackete fordert: Klimaschädigung als Straftat verfolgen
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Carola Rackete stellt in Berlin ihr Buch „Handeln statt hoffen“ vor.
© Quelle: imago images/Christian Thiel
Berlin. Im hellblauen T-Shirt sitzt Carola Rackete am Mittwochmorgen in einem Saal in Berlin-Mitte. Sie ist gekommen, um ihr erstes Buch vorzustellen. Die Farbe des Shirts gleicht der Farbe des Mittelmeers. Dem Meer also, aus dem die 31-Jährige im Juni rund 40 Flüchtlinge vor dem Ertrinken rettete und als Kapitänin des Rettungsschiffs „Sea Watch 3“ trotz des Verbots der italienischen Regierung mit den Geretteten den Hafen von Lampedusa ansteuerte.
Um die Seenotrettung geht es an diesem Vormittag allerdings nur am Rande. In ihrem Buch „Handeln statt hoffen“ befasst sich Rackete mit einem anderen Thema: dem Klimaschutz. Damit hätte sie sich in den vergangenen Jahren wesentlich intensiver beschäftigt als mit der Seenotrettung, sagt sie. „Meine Bekanntheit habe ich ja nur durch 21 Tage auf der ‚Sea Watch 3‘ erlangt.“
Klimaschutz und Migration: Beides sind für Rackete existenzielle Themen. Der Untertitel ihres Buches lautet „Aufruf an die letzte Generation“ – Rackete fordert schnelles, entschlossenes Handeln: „Wir können nicht länger warten, wir sind die letzte Generation, die noch effektiv die Folgen der ökologischen Katastrophe abmildern kann“, schreibt sie. In Berlin wird Rackete noch deutlicher. Die Menschen müssten sich ihr zufolge entscheiden: „Wollen wir weiterleben oder nicht?“
Ist „das System“ am Klimawandel schuld?
Ihr Lösungsvorschlag für die globalen Herausforderungen des Klimawandels ist ähnlich radikal. Immer wieder spricht Rackete vom Systemwandel. Den müssten vor allem die „Industriestaaten des Westens“ vollziehen, sagt sie – also Europa sowie die USA und Kanada. Denn die Menschen dieser Länder würden durch ihren stets zunehmenden Konsum die globalen Ressourcen ausbeuten, was wiederum dem Klima schade.
„Gesellschaft muss sich ändern – Ziviler Ungehorsam ist ein Mittel“
Die Seenotretterin Carola Rackete setzt sich auch für Klimaschutz ein und fordert einen Straftatbestand des „Ökozids“.
© Quelle: RND
Konkret beschuldigt die studierte Naturschutzmanagerin zwei Gruppen unseres Gesellschaftssystems: Da wären einerseits die globalen Energieunternehmen. Diese würden bewusst Fakten über den Klimawandel „verschleiern“ und die Menschen hinters Licht führen. Andererseits ließen sich die Politiker von den Lobbyisten ebendieser Unternehmen beeinflussen. Die Parlamentarier würden folglich die „Interessen gewisser Eliten vertreten“ und „nicht im Sinne der Mehrheit“ handeln, sagt Rackete. Dass sie dem Politiker-Bashing und der Elitenfeindlichkeit das Wort redet, wie man es zurzeit vor allem von Rechten vernimmt, scheint die Seenotretterin nicht zu erkennen – oder aber billigend in Kauf zu nehmen.
China als gesellschaftliches Vorbild?
Ein Vorbild im Umgang mit der Natur sieht Rackete in der chinesischen Gesellschaft. Dort sähen sich die Menschen „als Teil des Ökosystems“, sagt sie. Die Philosophie des Westens, die laut Rackete stetiges Wachstum predigt und die Natur ausbeutet, würde die Welt hingegen zerstören. Dabei verschweigt sie, dass China weltweit das Land mit dem größten CO₂-Ausstoß ist.
Ihr Alternativvorschlag zum gewählten Parlament sind „Bürgerräte“. Diese würden sich für je ein Jahr per Zufallsprinzip aus der Bevölkerung zusammensetzen. „Dadurch gäbe es in der Politik keine Anreize mehr für eine Karriere und das Streben nach Macht“, sagt Rackete. Auch der Einfluss der Lobbyisten wäre dann deutlich geringer. Das alte Griechenland hätte vor zwei Jahrtausenden bereits gute Erfahrungen gemacht, behauptet die 31-Jährige.
Steht der „Ökozid“ bald im Strafgesetzbuch?
Bis dies eines Tages umgesetzt ist, fordert Rackete eine Berücksichtigung des Klimaschutzes im internationalen Strafrecht. Dabei geht es der Klimaaktivistin um nichts Geringeres als den Straftatbestand „Ökozid“, also einen Völkermord durch klimaschädliches Handeln. Menschen, die „die Klimazerstörung bewusst vorantreiben“, müssten demnach zur Rechenschaft gezogen werden, fordert sie.
Damit diese Ziele auch umgesetzt werden, braucht es nach Ansicht Racketes den Druck der Straße. Daher hat sie sich der Gruppe Extinction Rebellion (XR) angeschlossen, die unter anderem auf zivilen Ungehorsam setzt. Diese gilt als radikale Schwester der Fridays-for-Future-Bewegung und sorgt immer wieder für Aufsehen.
So kletterten Mitte Oktober XR-Mitglieder auf eine Londoner S-Bahn, um auf die Gefahren des Klimawandels aufmerksam zu machen. Rackete verteidigt diese Art des Protestes: Die „existenzielle Frage“ der Zukunft des Planeten rechtfertige Aktionen dieser Art.
So erklärt sich auch die Widmung am Anfang des Buches. „Für alle Opfer des zivilen Gehorsams“, steht dort. „Handeln statt hoffen“ soll der „Sea Watch“-Kapitänin zufolge Menschen Mut machen, sich für die Natur und den Klimaschutz einzusetzen. Eine Botschaft, die löblich ist und wohl von kaum jemandem infrage gestellt werden dürfte. Ob die Welt allerdings nur durch einen Systemwechsel zu retten ist, darf und muss kritisch diskutiert werden.