Putins Grausamkeit braucht eine Antwort
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Ein Junge steht in den Überresten eines zerstörten Panzers in Butscha, der auf einer Fahrbahn liegt.
© Quelle: Oleksandr Ratushniak/AP/dpa
Die Bilder aus Butscha eröffnen eine neue Dimension des Angriffskriegs gegen die Ukraine. Die russischen Soldaten sind aus dem Kiewer Vorort abgezogen, nachdem sie die Hauptstadt nicht einnehmen konnten – im Rückzug haben sie sich an der Zivilbevölkerung gerächt. Für das gezielte Abschlachten wehrloser Menschen durch Soldaten gibt es nur ein Wort: Kriegsverbrechen!
Die EU und die deutsche Außenministerin kündigen neue Sanktionen an, ohne diese konkret zu benennen. Das zeigt einmal mehr, wie wenig Europa auf die immer weitere Eskalation durch Putin vorbereitet ist.
Deutschland muss in seiner Positionierung gegenüber Russland noch härter werden. Dass der Bundespräsident und die Außenministerin die „Kriegsverbrechen“ als solche benennen, ist unerlässlich und schreit nach weiteren Konsequenzen.
Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, hat längst die Geduld mit dem Westen verloren. Völlig undiplomatisch wetterte er am Wochenende gegen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und die jahrzehntelange Russland-Politik der Deutschen. Man kann ihm diesen verbalen Ausfall nicht übel nehmen. Aus der Ferne muss er mit ansehen, wie seine Landsleute Opfer eines grausamen Angriffskriegs werden und wie die Lebensgrundlagen in seinem Heimatland zerstört werden.
Bislang hatte er mit noch jedem Weckruf Recht behalten, den er an die politische Führung in Berlin geschickt hat. Die Unmenschlichkeit des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine haben viele Mahnungen Melnyks bewahrheitet, die in Deutschland als Übertreibung aufgefasst wurden, als er sie aussprach. Der ukrainische Botschafter hat auch inhaltlich gute Gründe für seine harsche Kritik. Deutschland muss sich den Schuh einer verfehlten Russlandpolitik anziehen. Rückblickend ist klar: Putin wurde in seinen imperial verbrecherischen Absichten unterschätzt, seine Aufrüstungspolitik hat man ignoriert, der Bau der Gaspipeline Nordstream 2 war ein Fehler – Gleiches gilt für die Abhängigkeit von russischer Energie.
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Eine Frau umarmt einen ukrainischen Soldaten, nachdem ein Konvoi von Militär- und Hilfsfahrzeugen in dem ehemals russisch besetzten Kiewer Vorort Butscha (Ukraine) eingetroffen ist.
© Quelle: Vadim Ghirda/AP/dpa
Nun sollte zweierlei geschehen: Deutschland muss in seiner Positionierung gegenüber Russland noch härter werden. Dass der Bundespräsident und die Außenministerin die „Kriegsverbrechen“ als solche benennen, ist unerlässlich und schreit nach weiteren Konsequenzen. Wenn Baerbock und EU-Ratspräsident Charles Michel nun neue Sanktionen ankündigen, dann müssen sie schnell, konsequent und einig in Gang gesetzt werden. Da bleibt eigentlich nur ein Energieembargo. Wenn die Bundesregierung behauptet, „alles“ zur Unterstützung der Ukraine zu unternehmen, dann ist dieser Schritt gemeinsam mit den EU-Partnern nun fällig.
Warum haben die russischen Truppen in dem Kiewer Vorort so gewütet? Der Angriffskrieg ist an einem Wendepunkt, an dem die Ukraine die Chance hat, Putin eine Niederlage zu bescheren. Das wird der Ukraine aber nur mit der vollen Rückendeckung des Westens gelingen. Der Krieg ist an dem erwarteten Punkt angekommen, an dem der russische Machthaber umso boshafter vorgeht, je weniger er seine Ziele erreicht. Es ist zu befürchten, dass Butscha, das jetzt schon zum Symbol des Verbrechens gegen die Menschlichkeit in diesem Krieg geworden ist, nicht die letzte Grausamkeit Putins bleibt.
Es wäre vom aktuellen Kriegsgeschehen unabhängig auch an der Zeit, dass Bundespräsident Steinmeier ein Signal setzt, wonach Deutschland seine Fehler in der Russland-Politik sieht und aufarbeiten wird. Zumal eine ehrliche Analyse nicht nur die offensichtlichen falschen Entscheidungen zutage fördern wird. Es gab auch immer gute Gründe für eine Appeasement-Politik gegenüber Russland, die auf Zugeständnisse und Beschwichtigung setzte. Und das waren nicht nur ökonomische Gründe.
Steinmeier sollte ein solches Signal setzen – auch wenn es für ihn schwierig ist, sich in der Rolle des Bundespräsidenten mit dem Handeln des früheren Kanzleramtsministers und Außenministers Steinmeier auseinanderzusetzen.