Bürger revoltieren gegen Dieselfahrverbote

Von Stuttgart in die ganze Republik? Nicht nur in Berlin fürchtet die Politik, dass der Sonnabendprotest der schwäbischen Gelbwesten sich zu einer Bewegung auswachsen könnte.

Von Stuttgart in die ganze Republik? Nicht nur in Berlin fürchtet die Politik, dass der Sonnabendprotest der schwäbischen Gelbwesten sich zu einer Bewegung auswachsen könnte.

Stuttgart. Es ist früher Abend am Neckartor in Stuttgart, dort, wo die Luft dreckiger ist als überall sonst, und Serkan atmet erst mal tief ein. Auf den sechs Spuren der Bundesstraße wird der Strom der Autos dünner, aber in der Luft hängt noch der rußige Geruch eines langen Tages. Serkan Senol fächelt sich mit der Hand etwas zu, als könne er gar nicht genug bekommen. „Beste Schwarzwaldluft“, sagt er grinsend, im Scherz, aber was er ernst meint, ist: Tödlich ist ja wohl was anderes.

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Neben ihm steht Ioannis, direkt an der Luftmessstation, die regelmäßig die schlechtesten Werte von ganz Deutschland ausspuckt, und schaut auf den Sockel. „Kann man ganz einfach abbauen“, sagt er zu seinem Kumpel Serkan, weil das ja aus ihrer Sicht die Lösung wäre: einfach versetzen, diese Messstation. „Sonst könnte man ja gleich direkt im Auspuff messen“, sagt Ioannis Sakkaros, und nun lachen sie gemeinsam, er und Serkan Senol.

Es läuft ganz gut für Deutschlands oberste Dieselprotestler. Da kann man schon mal gute Laune bekommen.

„Es kann nicht sein, dass die einen von heute auf morgen enteignen“: Ioannis Sakkaros hat die Unzufriedenen in Stuttgart mobilisiert.

„Es kann nicht sein, dass die einen von heute auf morgen enteignen“: Ioannis Sakkaros hat die Unzufriedenen in Stuttgart mobilisiert.

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Nur ein paar Schritte von hier, von diesem Symbolort Luftverschmutzung und dem umstrittenen Kampf dagegen, werden sie an diesem Sonnabend wieder zur Demo gegen das Dieselfahrverbot in Stuttgart bitten: Ioannis Sakkaros, 26, Kfz-Mechatroniker bei Porsche, der Initiator. Und Serkan Senol, 42, Industriemechaniker, Betriebsrat bei Daimler, einer seiner Unterstützer. Es ist nicht klar, ob sie mehr werden als in der vergangenen Woche, mehr als die 2000, die sie selbst angaben, oder mehr als die 800, die die Polizei schätzte.

Klar ist aber, dass viele in der Staatskanzlei in Stuttgart und auch mancher in Berlin mit einer gewissen Unruhe auf diese Demo schauen werden. Weil Sakkaros und viele andere wieder gelbe Warnwesten tragen werden, die verdächtig an die wütenden Gelbwesten-Protestler in Frankreich erinnern. Und weil sich da etwas zusammenbraut, eine Mischung aus Wut, Überdruss und Sorge, die auch in anderen deutschen Städten Menschen auf die Straßen treiben könnte. Als es um den Bahnhof Stuttgart 21 ging, hat der Rest der Republik schon einen Eindruck vom schwäbischen Talent für Protest bekommen.

Es gab seit Jahresbeginn vieles, was den Ärger nährte. Da sind die Fahrverbote für Diesel, die nun in immer mehr Städten in Kraft treten. Dann meldeten sich 100 Lungenfachärzte und stellten die Grenzwerte für Stickoxide infrage, die Grundlage der Fahrverbote. Und auch wenn sie eine Minderheit sind, so nährte nichts die Wut so sehr wie ihre Kritik. Er habe viele Tote gesehen, aber noch keiner sei an Stickoxiden gestorben, sagte Professor Dieter Köhler, der Wortführer.

Dann wurden auch noch Vorschläge der Verkehrskommission des Bundestags für ein Tempolimit auf Autobahnen und höhere Spritpreise bekannt. Von "Dieselirrsinn" und "Steuerhammer" schrieb "Bild". Verkehrsminister Andreas Scheuer schimpfte auf "Diskussionen, die nichts mit der Lebenswirklichkeit der Menschen außerhalb der Hauptstadt zu tun haben". Mäßigung klingt anders.

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Was dem Ami sei Knarre, das ist dem Schwabe sei Karre“

Und wenn das alles irgendwo auf fruchtbaren Boden fallen musste, dann sicher hier, in Stuttgart. Hier, wo die Autoindustrie so stark ist wie nirgends sonst, mit Daimler, Porsche, Bosch. „Was dem Ami sei Knarre, das ist dem Schwabe sei Karre“, so erklärt Serkan diesen speziellen Geist.

Seit dem 1. Januar gilt ausgerechnet hier das schärfste Dieselfahrverbot der Republik, es betrifft Fahrer von Autos mit der Norm Euro 4 und schlechter, rund 160 000 Menschen in der Region, sie alle dürfen künftig nicht mehr in die Innenstadt. Mit einem grünen Oberbürgermeister, einem grünen Ministerpräsidenten und einem grünen Verkehrsminister gibt es die fast perfekten Feindbilder. Im Mai sind Kommunalwahlen. Im Sommer muss die Politik zudem über eine weitere Verschärfung entscheiden, dann wären auch Euro-5-Diesel betroffen.

„Das macht mir Spaß, da bin ich ehrlich“

Ioannis Sakkaros sitzt in einer Kneipe gleich um die Ecke vom Neckartor, im Kraftpaule. Ein junger Mann mit schmalem, ernstem Gesicht, Brille, Schnurrbart. Seine Stimme klingt rau, die Augen sind müde – das Ergebnis Dutzender Interviews, Reden, Gespräche mit Politikern in den vergangenen Tagen. Warum er weitermacht? Neben seinem Job am Band bei Porsche?

Es ist das Gefühl, gehört zu werden, sagt er. Die Begeisterung für die eigene Wirkung. Ioannis Sakkaros ist derzeit der gefragteste Dieselprotestanter der Stadt. „Das macht mir Spaß“, sagt er. „Da bin ich ehrlich.“

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Es begann im vergangenen Sommer. Da wurde Sakkaros klar, dass er mit seinem 14 Jahre alten Diesel-Citroën, Euronorm 4, bald selbst nicht mehr in die Stuttgarter Umweltzone fahren dürfte. Politisch engagiert hatte er sich bis dahin nie. IG-Metall-Mitglied, wie so viele seiner Kollegen, das war’s. Nicht mal gewählt hatte er, er ist in Stuttgart geboren, aber griechischer Staatsbürger, bislang. Obwohl er kommunal wählen dürfte. Aber wenn es ihn selbst betraf, dann konnte er sich ärgern. Bei der Riester-Rente zum Beispiel. Von „Verarschung“ spricht er da, von Ungerechtigkeit. Und nun also der Diesel.

„Die Fahrverbote sind ein zentrales kommunales Thema“: Die Frage ist, wie sich das in Stuttgart auf die kommenden Kommunalwahlen auswirken wird.

„Die Fahrverbote sind ein zentrales kommunales Thema“: Die Frage ist, wie sich das in Stuttgart auf die kommenden Kommunalwahlen auswirken wird.

„Das Fahrverbot richtet sich gegen die Schwächsten“, sagt er. „Gegen Familien, die sich keinen neuen Wagen leisten können. Es kann doch nicht sein, dass die einen von heute auf morgen enteignen.“ So sagt er das, mit heiserem Zorn. Eines Nachts, letzten Sommer, gründete er dann eine Facebook-Gruppe. „Kein Dieselfahrverbot für Stuttgart“ nannte er sie. Es geht gegen die Politik und gegen die Industrie, für Sakkaros ist das alles miteinander verstrickt. „Wenn es sonst keiner macht“, sagte er sich, „dann macht’s eben der Grieche.“ Der Grieche, das ist er selbst.

Im Januar rief er zur ersten Demo auf, über Facebook. Beim Ordnungsamt meldete er 50 Teilnehmer. Es kamen 250. Beim zweiten Mal kamen dann schon 500, dann 700, dann 1200. Und zuletzt eben 2000. Oder 800.

Die Polizei will nicht mehr zählen

Wie viele an diesem Sonnabend kommen, wird wahrscheinlich schwer zu ermitteln sein: Die Stuttgarter Polizei will nicht mehr zählen. „Wir wollen uns nicht in die politische Diskussion reinziehen lassen“, sagt Sprecher Jens Lauer. Die Beamten hätten da ein Déjà-vu: Es sei wie bei den Stuttgart-21-Protesten. Da gab es auch Streit um die Zahlen. Eine Polizei, die Angst vor Streit hat. Die Nerven liegen längst blank in Stuttgart. Auch in der Politik. Gerade dort.

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Am schwierigsten ist es für die CDU. In den Umfragen liegt sie nur noch bei 23 Prozent – während sich die Grünen gerade von 30 auf 33 Prozent gesteigert haben. Was wohl auch an ihrer zumindest konsequenten Haltung in Sachen Luftschutz liegt. Die CDU wiederum ist eigentlich gegen die Fahrverbote. Andererseits muss sie in der schwarz-grünen Landesregierung höchstrichterliche Urteile umsetzen und das Fahrverbot mittragen. Was zu der kuriosen Situation führt, dass die CDU an diesem Sonnabend zusammen mit FDP und Freien Wählern ebenfalls demonstriert, auf dem Schlossplatz, in bester Lage. „Gegen unverhältnismäßige Fahrverbote“, wie es feinsinnig heißt. Es ist manches etwas verkrampft derzeit in Stuttgart.

Die AfD will mit auf die Protestwelle

Vom Dieselunmut profitieren würde auch gern die AfD. Weil es ja, aus ihrer Sicht, so gut zu passen scheint. Das ist ihre Perspektive: gute deutsche Technologie (Diesel) muss gegen eine feindselige Übermacht (Grüne) verteidigt werden. Und schreien nicht die Teilnehmer von Sakkaros’ Pro-Diesel-Demo besonders gern „Grüne weg“, oder „Hermann raus“, gegen Winfried Hermann, den Verkehrsminister? Und hatten einige Teilnehmer nicht auch die „Lügenpresse“ beschimpft, in reinstem Pegida-Ton?

Die AfD hat Ioannis Sakkaros für seine Demo deshalb Glühweinstände angeboten. Die rechte Gruppe „Zentrum Automobil“, die bei Daimler auch einige Betriebsräte stellt, hat ihm ebenfalls Unterstützung offeriert. Sie wären alle gerne dabei, bei seinem Projekt. Aber Ioannis Sakkaros hat alles abgelehnt. Keine Parteien, keine Logos, keine „Lügenpresse“-Rufe, das sind seine Regeln. Als solche Rufe aufkamen, hat er sie sich verbeten. Schließlich berichte die Presse doch bisher ganz freundlich über ihn. Er sei gegen Beleidigungen, sagt Sakkaros. „Wenn alle nur Scheiß-Grüne rufen und dann jubeln, kannst du nichts erreichen.“ Jedenfalls nicht in Stuttgart. Neutral müssten sie bleiben. Fern von Parteipolitik.

Die AfD macht deshalb eigene Dieseldemos in Stuttgart. Es wird allmählich etwas unübersichtlich mit den Protesten.

Der Zorn macht sich teils auch in vulgären Gesten oder Worten Luft – obwohl Organisator Ioannis Sakkaros großen Wert auf eine zivilisierte Debatte legt.

Der Zorn macht sich teils auch in vulgären Gesten oder Worten Luft – obwohl Organisator Ioannis Sakkaros großen Wert auf eine zivilisierte Debatte legt.

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Sakkaros aber weiß, dass sie sonst keine Chance hätten bei Menschen wie Stefan Gauß. Gauß, 54 Jahre, betreibt seit einem Vierteljahrhundert ein Café in der Innenstadt, nahe dem Schlossplatz, das Café le Théâtre, eine Institution hier. Gauß verortet sich bei Schwarz und Grün, dieser für Baden-Württemberg typischen Mischung, sein Großvater habe die CDU mitgegründet. Seit Neuestem geht er jetzt mit bei Sakkaros’ Demo. „Jeder will doch saubere Luft“, sagt er, „aber nicht mit dem Holzhammer.“ Es geht ihm zu schnell, zu radikal. Dass sich vierköpfige Familien jetzt ein neues Auto kaufen sollen, das hält er für unsozial. Deshalb gibt er in seinem Café jetzt allen Fahrern von Euro-4-Dieseln 10 Prozent Rabatt. „Die sollen zum Ausgleich ein bisschen was in der Tasche haben.“

Man kann das als PR in eigener Sache sehen. Oder als gutes Gespür für die Stimmung in der Stadt.

Aber lässt sich dieser Protest übertragen in den Rest der Republik?

Schulterschluss zwischen Stuttgart und München

In München versuchen sie es gerade. Dahinter steht der Automobilclub Mobil in Deutschland, 10.000 Mitglieder hat die Organisation nach eigenen Angaben. Auch in München drohen Fahrverbote. Von einem „Irrsinn, der gegen das Auto läuft“, spricht Mobil-in-Deutschland-Präsident Michael Haberland. Bei der Pro-Diesel-Demo an einer Münchner Messstation am vergangenen Wochenende verloren sich dann aber auf der Verkehrsinsel an der Sonnenstraße gerade mal knapp 200 Menschen.

Ist das schon das frühe Ende von etwas sehr Kleinem? Oder der Beginn von etwas Größerem?

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Ioannis Sakkaros und Mobil in Deutschland wollen jetzt jedenfalls zusammenarbeiten. Luzia Sievi, Politikwissenschaftlerin an der Universität Tübingen, die die Dieselproteste untersucht, glaubt nicht daran, dass sie schnell wieder verschwinden. „In Stuttgart werden sie weiter bestehen bleiben“, prophezeit sie. „Die Fahrverbote sind ein zentrales kommunales Thema.“ Und das könnte bald auch in anderen Städten so sein.

Erst das Schaffen – dann der Aufstand

Ioannis Sakkaros jedenfalls hat Gefallen an seiner Rolle gefunden. Jeden Sonnabend wollen sie nun weiter demonstrieren. So lange, bis das Fahrverbot reduziert wird. Vielleicht, sagt er, werde er auch in die Politik gehen. Welche Partei? Das wisse er noch nicht. „Aber Zuspruch werde ich sicher haben.“ Was Sakkaros in den vergangenen Wochen erlebt hat, hat sein Selbstvertrauen nicht gerade geschwächt.

Jetzt aber geht es nach Hause. Serkan Senol fährt ihn, im Daimler-Diesel, Euronorm 6. Morgen früh muss Ioannis Sakkaros um halb fünf aufstehen. Frühschicht. Erst mal kommt das Schaffen, der Aufstand muss so lange warten, da sind sie hier in Schwaben streng.

Von Thorsten Fuchs/RND

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