Zittern bei der Linken: „Ein Schlag in die Magengrube“
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Gäste der Wahlparty der Linken reagieren im Karl-Liebknecht-Haus nach der Veröffentlichung der ersten Prognosen zum Ausgang der Bundestagswahl 2021.
© Quelle: Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa
Berlin. „Das war ein Schlag in die Magengrube“, sagt Linken-Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow. Gemeinsam mit ihrer Co-Vorsitzenden Janine Wissler und Fraktionschef Dietmar Bartsch steht sie am Sonntagabend auf der Bühne im Festsaal Kreuzberg in Berlin vor dem überwiegend jungen Publikum, das zur Wahlparty gekommen ist. Kein Jubel, keine knallenden Sektkorken, stattdessen bange Blicke, betretene Gesichter. Die Linke muss zittern.
Wissler spricht von einem „schweren Abend“ und deutlichen Verlusten. 2017 hatte die Partei noch 9,2 Prozent geholt, jetzt muss sie um dem Wiedereinzug in den Bundestag bangen. Die nötigen 5 Prozent sind nicht sicher.
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Fraktionschef Bartsch sagt, die Ergebnisse dieses „bitteren Abends“ müssten nüchtern eingeschätzt werden. Ein „Weiter-so“ könne es nicht geben. „Die Fehler lagen nicht im Wahlkampf, sondern schon davor“, ist er überzeugt und ruft den Anhängern kurz nach 19 Uhr zu: „Die 5 Prozent schaffen wir noch, und wir holen auch die drei Direktmandate.“
Die drei Direktmandate sind nötig, um den Sprung in den Bundestag auch dann zu sichern, wenn die Linke an der Fünfprozenthürde scheitern sollte. Das war schon einmal 1994 der Fall, als die Partei nur 4,4 Prozent erreichte, aber durch vier Direktmandate mit 30 Abgeordneten ins Parlament einzog.
Bei den Direktmandaten, die parteiintern als „Lebensversicherung“ betrachtet werden, spielt Berlin die zentrale Rolle. Vor vier Jahren holte die Linke fünf Direktmandate – in den Berliner Wahlkreisen Treptow-Köpenick, Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und Pankow sowie in Leipzig.
Die größten Hoffnungen ruhen hier auf den erfahrenen Politikerinnen Gesine Lötzsch und Petra Pau sowie dem Linke-Urgstein Gregor Gysi. Der nennt bei seinem Auftritt im Festsaal Kreuzberg das Ergebnis des Abends „desaströs“ und setzt nach: „Wenn wir noch einmal mit einem blauen Auge davonkommen, dann müssen wir sehr selbstkritisch über uns und unsere Zukunft nachdenken.“
Mit Direktmandaten schaffte die Linke den Sprung in den Bundestag schon 1994, als sie nur 4,4 Prozent der Zweitstimmen erreichte, aber durch vier Direktmandate mit 30 Abgeordneten ins Parlament einzog. Noch schlechter stand es 2002, als die Linke ebenfalls an der Fünfprozenthürde scheiterte, den Fraktionsstatus verlor und nur mit den beiden direkt gewählten Abgeordneten Gesine Lötzsch und Petra Pau in den Bundestag kam.
Im Bereich des Möglichen liegen noch Direktmandate der Kandidaten Udo Wolf in Berlin-Pankow und Sören Pellmann im Wahlkreis Leipzig II. „Pelle, der Eroberer“ titelte eine Zeitung in Anlehnung an den Roman von Martin Anderson Nexö, als der sächsische Lehrer 2017 mit einem Vorsprung von 1170 Stimmen gegen den CDU-Kandidaten Thomas Feist gewann.
Pellmann holte seinerzeit auch Stimmen von Anhängern der SPD und der Grünen, die Feist verhindern wollten. „Er hat auch jetzt wieder einen wahnsinnig engagierten Wahlkampf gemacht“, lobte Bartsch vor der Wahl, und in den Projektionen der Wahlforscher lag der 44-jährige Pellmann ebenfalls vorn.
Ramelow: neu sortieren
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hat seine Partei unterdessen aufgefordert, aus dem schwachen Abschneiden Konsequenzen zu ziehen. „Das ist kein schöner Abend“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Einen Grund dafür sieht Ramelow unter anderem in der Konzentration des Wahlkampfes auf die drei Kanzlerkandidaten und ihre Parteien. „Da hat keine inhaltliche Auseinandersetzung mehr stattgefunden.“
Der Linken-Politiker fügte hinzu: „Mein Führungspersonal hat in der Kürze der Zeit Enormes geleistet. Janine Wissler und Dietmar Bartsch haben das als Spitzenkandidaten gut gemacht. Ich sehe uns aber in der Notwendigkeit, uns neu sortieren. Es geht nicht darum, Parteitage zu gewinnen, sondern nach außen Kompetenz auszustrahlen.“ Und da sollte etwa der Forderung, Bildung und Betreuung beitragsfrei zu gestalten, mehr Kraft gewidmet werden als Gendersternchen.