Der leise rollende Scholz-Zug
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Wahlplakate werben für den Kanzlerkandidaten der SPD, Olaf Scholz.
© Quelle: Sven Hoppe/dpa
Berlin. Die Union spürt in diesem Wahlkampf inzwischen den Atem der SPD im Nacken. Nach einer aktuellen Umfrage liegen die Sozialdemokraten mit 21 Prozent nur noch zwei Prozentpunkte hinter der Union. Das war zuletzt 2017 der Fall, als für die SPD der sogenannte Schulz-Zug ins Rollen gekommen war. Zur Erinnerung: Martin Schulz, der damals überraschende Kanzlerkandidat der SPD, der als Wahlkampfturbo startete und dann bitter verlor.
Bei Olaf Scholz scheint es nun umgekehrt zu sein. Scholz war zunächst der chancenlose Kandidat, den die SPD erst einmal aus Selbstachtung aufstellen musste. Schließlich kann diese Traditionspartei, die mit Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder bedeutende Regierungschefs gestellt hatte, nicht ohne eigenen Kanzlerkandidaten ins Rennen gehen.
Scholz’ Stärke ist vor allem der Schwäche seiner Konkurrenten geschuldet. Die Kanzlerkandidatin der Grünen ist nach einer Pannenserie aus dem Tritt geraten. Ihre Frische und ihr zupackendes Temperament sind verschwunden. Der Kanzlerkandidat der Union tritt zwar mit unerschütterlicher Zuversicht auf, doch selbst seine Anhängerinnen und Anhänger schlagen die Hände über dem Kopf zusammen angesichts seiner Umfragewerte und seiner Performance im Wahlkampf.
Für Armin Laschet und seine Union ist es gefährlich, dass die genügsamen Merkel-Wähler und -Wählerinnen sich von der Union abwenden und nun prüfen, ob nicht ein Kanzler Scholz oder eine Kanzlerin Baerbock das Erbe Merkels antreten könnten. Klassischerweise profitiert auch die FDP von der Schwäche der Union.
Unauffällig zum Erfolg
Es war ein Trugschluss der Union, zu meinen, der Hauptgegner im Wahlkampf würden die Grünen sein. Während sich also Union und Grüne aneinander abgearbeitet und dabei viele Fehler gemacht haben, konnte die SPD leise den Scholz-Zug ins Rollen bringen – einfach, weil ihr Kandidat dadurch aufgefallen ist, dass er nicht negativ auffiel.
Zugleich gelingt es den Sozialdemokraten in diesem Wahlkampf, ein geschlossenes Bild abzugeben, was bei der SPD bemerkenswert ist. Dass zwischen Scholz sowie Parteichefin Saskia Esken und Vize Kevin Kühnert ideologische Welten liegen, kann die SPD zurzeit geschickt zudecken. Das klassische SPD-Problem in der K-Frage – der richtige Kanzlerkandidat aber die falsche Partei – bleibt unsichtbar.
Scholz, der schon seit Jahren auf bundes- und landespolitischer Ebene Verantwortung trägt, ist selbstverständlich nicht frei von Fehlern, aber das G20-Desaster aus seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister liegt länger zurück. Und Themen wie Wirecard oder Cum-Ex-Geschäfte sind als Wahlkampfwaffe für den Gegner zu kompliziert, um sie treffsicher auszurichten.
Dieser Bundestagswahlkampf 2021 ist einer voller Ungewissheiten. Nicht nur, dass das Rennen ums Kanzleramt – anders als in der Ära Merkel – tatsächlich offen ist. Es gibt auch eine unübersichtliche Zahl an Möglichkeiten, wie am Ende eine Regierung gebildet werden könnte. Und noch eine Überraschung: Die FDP, die zu Beginn des Wahljahres eher bedeutungslos für eine Regierungsbildung schien, spielt wieder mit.
Noch ist auch unklar, welches Thema die Bundestagswahl entscheidend beeinflussen wird. Trotz Flut ist es den Grünen bislang nicht gelungen, den Klimaschutz zum Wahlkampfschlager zu machen. Für Union und SPD ist es ohnehin schwierig, mit innovativen Ideen und Versprechen der Erneuerung zu punkten – dafür haben sie in den vergangenen beiden Jahrzehnten zu lange regiert.
Auch die Stimmung im Land ist diffus: Nach 16 Jahren Merkel, in denen zwar Krisen bewältigt wurden, aber Reformen liegengeblieben sind, ist eigentlich das Bedürfnis nach Aufbruch da. Die Pandemie und die Flut wiederum stärken das Gefühl nach Sicherheit.