Wahlkampf oder Kampf um Annalena Baerbock?
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Sie stand in den vergangenen Wochen oft im Mittelpunkt – mal zu ihrem Vorteil, mal zu ihrem Nachteil: Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin der Grünen. Nun gönnt sie sich erst einmal Urlaub mit ihrer Familie.
© Quelle: imago images/Political-Moments
Berlin. Annalena Baerbock hat sich in den Urlaub verabschiedet. Zwei Wochen mit der Familie, dem Mann und den zwei Töchtern. Lange geplant, darauf hat ihr Sprecher extra nochmal hingewiesen. Soll niemand auf die Idee kommen, die Grünen-Kanzlerkandidatin drücke sich vor Schwierigkeiten.
Die haben die Grünen gerade und Baerbock steht dabei im Mittelpunkt. Es geht um Glaubwürdigkeit und Transparenz. Das ist immer ein Problem für eine Partei und eine Spitzenkandidatin, drei Monate vor einer Bundestagswahl allerdings erst recht. Die Umfragewerte sind gesunken, nach einem Überholen der Union sieht es gerade nicht mehr aus.
Auslöser ist ein Buch, das Baerbock geschrieben hat. „Jetzt“ ist der Titel. Auf der Rückseite steht das Zitat: „Weiterwurschteln wie bisher ist keine Lösung.“
Unterm Brennglas
Baerbock hat das Buch Mitte Juni vorgestellt, an einem sehr heißen Tag, auf einer schattigen Terrasse mit dem Kanzleramt im Rücken. Jetzt ins Kanzleramt, das war die wenig subtile Botschaft. Wie fühlt es sich an unterm Brennglas?, fragte die Moderatorin. Es sei klar gewesen, dass es Widerstand geben werde, antwortete Baerbock. Die erste grüne Kanzlerkandidatin, das fänden nun mal „nicht alle so super“.
Forsa-Umfrage: Baerbock und Grüne verlieren an Zustimmung
Die Grünen sind laut Forsa-Umfrage für das RTL/N-TV-Trendbarometer zum ersten Mal seit Anfang März wieder unter die 20-Prozent-Marke gefallen.
© Quelle: dpa
Der österreichische Medienwissenschaftler Stefan Weber gehört zu denen, die zumindest Baerbocks Buch nicht so super finden, und einiges andere auch nicht. Der 51-Jährige verdient sein Geld unter anderem mit Plagiatsgutachten für wissenschaftliche Arbeiten. Er hat erst Baerbocks Lebenslauf unter die Lupe genommen, der sich bei einigen Angaben als ungenau erwies und korrigiert wurde. Er stellte ihr Studium in Frage. Dann nahm sich Weber das Buch vor, alles unentgeltlich, wie er versichert.
Weber fand bislang 43 Stellen, bei denen offenkundig Passagen aus anderen Werken kopiert wurden, aus wissenschaftlichen Aufsätzen, aus einem Gastbeitrag des früheren Grünen-Chefs Jürgen Trittin, aus Texten des „Spiegel“ oder des ZDF, von Thinktanks und aus dem Onlinelexikon Wikipedia.
Und ja, auch Rote Bete
In manchen Passagen werden Fakten wiedergegeben, von einer Firmenwebsite übernahm Baerbock drei Sätze zur Herstellung von Zementersatz, von einem Schulportal einen Halbsatz über die Beschreibung eines Schülergartenprojekts: Die Kinder lernten dabei, wie man „Tomaten, Salat Fenchel, Kohl und ja, auch Rote Bete“ pflanze. Und ja, der flockige Einschub gefiel offenkundig.
Dass die Gaspipeline North Stream 2 ein geopolitisches Projekt Russlands ist, hat Baerbock immer wieder gesagt, aber eben auch Ex-Parteichef Joschka Fischer in einem Interview. Seine Antwort aus diesem Interview findet sich wortgleich im Buch.
Insgesamt betroffen sind rund 250 Zeilen in einem Buch mit 240 Seiten.
Manche Fundstellen hat Weber in mehrere Teile unterteilt.
Er hat sein Suchergebnis in vier Tranchen veröffentlicht, immer mit ein paar Tagen Abstand, wie einen Fortsetzungsroman. Für kommende Woche hat Weber weitere Fundstellen angekündigt.
Neutral bleibt Weber dabei nicht: Mit Blick auf den Lebenslauf nutzte er Vokabeln wie Etikettenschwindel und Fabulieren. Bei ihrem Buch warf er Baerbock „Täuschungsabsicht“ vor. Er vermute, dass sie keine Quellen nenne, weil sonst keine „originären Ideen und Formulierungen von Frau Baerbock“ übrig geblieben wären, schreibt Weber in seinem „Blog für wissenschaftliche Redlichkeit“.
„Schummel-Baerbock“, höhnte CSU-Generalsekretär Markus Blume schon nach der Veröffentlichung der ersten fünf Fundstellen.
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Sack und Asche
Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, der Wahlkampfmanager, räumt ein: „Es war eine Woche, wie ich sie mir nicht gewünscht habe.“ Anfang der Woche hält er die wöchentliche Pressekonferenz der Parteispitze ab. Gerade sind neue Kopierfundstellen bekannt geworden.
Der Plagiate-Prüfer Martin Heidingsfelder, nach dessen Doktorarbeitsprüfung vor zehn Jahren der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg sein Amt verlor, hat sein zunächst mildes Urteil zurückgenommen und spricht nun davon, Baerbock müsse „in Sack und Asche gehen“.
Kellner redet über das extreme Wetter, über Regen und Hitze. Die Bundesregierung müsse Löschflugzeuge kaufen für die erwartbare Zunahme von Waldbränden. Er schwärmt ausführlich von einem Treffen mit Grünen-Bundestagskandidaten. So viel Aufbruchstimmung und Kreativität habe er da gespürt.
Die meisten Fragen der Journalisten drehen sich um Baerbock. Wird nun doch noch Robert Habeck Kanzlerkandidat? Wer berät Baerbock eigentlich? Wie können die Grünen jetzt wieder in die Offensive kommen?
Vielleicht wünscht sich Kellner da auch gerade ein Löschflugzeug.
Er sagt: „Wir gehen gemeinsam in den Wahlkampf, mit Annalena Baerbock an der Spitze. Daran ändert sich nichts.“ Bagatellen würden aufgebauscht, „um von Inhalten abzulenken“. Dann dreht Kellner wieder aufs Wetter und auf die brennende Ölplattform in Golf von Mexiko.
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Nun ist es nicht so, dass bei den Grünen keine eigenen Fehler gesehen werden. Aber man hält sie offenkundig für weniger gravierend und will die Angreifer nicht bestätigen, die man für maßlos und unversöhnlich hält.
„Das war Mist“, hat Baerbock gesagt, nachdem sie ihren Lebenslauf mehrfach korrigieren musste. Sie habe sich über sich selbst geärgert, hat sie eingeräumt, nachdem bekannt geworden war, dass sie Zahlungen ihrer Partei aus dem vergangenen Jahr verspätet beim Bundestag gemeldet hat.
Gegenangriff statt Zurückweichen
Am Tag, nachdem Weber die ersten Plagiatsvorwürfe erhoben hat, sitzt Baerbock auf der Bühne eines Berliner Kinos. Die Frauenzeitschrift „Brigitte“ hat zu einer Talkrunde geladen. Ob sie bei ihrem Buch etwas zu lässig gewesen sei, fragt die Chefredakteurin: „Ich habe kein Sachbuch oder so geschrieben, sondern das, was ich mit diesem Land machen will“, antwortet Baerbock.
Es seien natürlich viele Ideen von anderen eingeflossen. Auf Nachfrage fügt sie hinzu: „Für manche Kräfte ist es auch hart, dass da eine 40-jährige Frau antritt.“ Keine Spur mehr von Mist und Ärger.
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Hauptstadt-Radar
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Kellner hat die Anwürfe Webers da bereits als „Rufmord“ bezeichnet und einen prominenten Anwalt eingeschaltet, der erklärt, es gebe keine Urheberrechtsverletzungen. Ex-Parteichef Trittin hat von einer Schmutzkampagne gesprochen.
Kein Zurückweichen also, sondern ein Gegenangriff.
Eine umgänglichere politische Kultur versprach Baerbock im April in ihrer Antrittsrede als Kanzlerkandidatin. Nun ist erst mal Schluss mit dem Nettsein: Schon länger hatten einige Grüne festgestellt, dass es mehr Angriffslust brauche.
Es vergingen schließlich Tage, bis es die Partei für nötig hielt, der Behauptung zu widersprechen, sie allein stehe für einen höheren Benzinpreis. Als die Union vor wenigen Wochen ihr Wahlprogramm vorstellte, nannte Baerbock es mutlos. Aufs systematische Auseinandernehmen verzichteten die Grünen.
Es war auch der Versuch, dem Ruf der Partei als zuweilen etwas verkniffener Lehrmeister etwas entgegenzusetzen.
Erschöpfung mag auch eine Rolle gespielt haben. Über Monate waren viele Spitzengrüne damit beschäftigt, in der eigenen Partei das Wahlprogramm zu verhandeln, für den Parteitag gab es 3000 Änderungsanträge.
Fehlentscheidung oder Befreiungsschlag?
Sicher ist: Die Grünen haben die Schärfe des Wahlkampfs und der möglichen Angriffe unterschätzt. Da mal eben noch ein Buch fertigzuschreiben, bei dem zum Schluss „alles ganz schnell gehen musste“, wie sie selber schreibt, war wohl eine Fehlentscheidung Baerbocks.
War es auch eine Fehlentscheidung, nun so scharf zu reagieren, mit juristischen Auseinandersetzungen zumindest zu drohen? Zu wenig souverän, zu wenig demütig?
Ein Befreiungsschlag sei das gewesen, widerspricht eine Grünen-Politikerin. Mit einer reinen Defensivstrategie seien die eigenen Anhänger auf Dauer nicht zu motivieren. Die Mobilisierung der eigenen Leute ist ein entscheidender Faktor in Wahlkämpfen, mit „asymmetrischer Demobilisierung“, also dem Einschläfern der politischen Gegner, hat Angela Merkel Wahlen gewonnen. Es ist kein Wunder, dass Kellner den Schwung der Grünen-Kandidaten betont und immer wieder auch die Teamarbeit.
Bislang funktioniert das: Die Grünen, lange Zeit Experten für parteiinterne Kämpfe, bleiben zusammen. Wenn man mit Grünen-Spitzenleuten telefoniert, trifft man, in abgestuften Tönen, auf Selbstbewusstsein und Kampfeslust.
Versuch der Leichtigkeit
Die Umfragewerte: immer noch doppelt so hoch wie das Wahlergebnis von 2017, heißt es dann ziemlich unisono. Die Regierungsbeteiligung: sehr wahrscheinlich. Der aktuelle Ärger: vorübergehend. Der nächste Aufschwung der Grünen: wenn endlich wieder über Inhalte gesprochen werde. Die Stimmung an der Basis: „Jetzt erst recht.“
Der frühere Parteichef Reinhard Bütikofer versucht, etwas Leichtigkeit in die Debatte zu bekommen: „Ich habe 2002 ein Zitat von Joschka Fischer ins Grundsatzprogramm der Grünen geschmuggelt, ohne es als solches auszuweisen. Und eines von Heraklit“, twittert er. Auch Spott ist ein Mittel der Gegenwehr.
Inzwischen marschieren Truppen von ungewohnter Seite auf. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz nennt den Umgang mit Baerbock im RND-Interview „nicht fair“.
Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel twittert, Baerbock solle die Angriffe als Wertschätzung begreifen.
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Der frühere SPD-Bundesgeschäftsführer und heutige Politikberater Kajo Wasserhövel, ein erfahrener Wahlkämpfer, erklärt, warum ein Austausch der Kanzlerkandidaten nicht sinnvoll sei: „Nach ein paar Tagen Anstandsruhe ginge es auf Habeck“, twittert er.
Und dann kommt auch noch Horst Seehofer um die Ecke. Seine CSU hat in der Angelegenheit die schärfsten Angriffe gegen Baerbock gefahren. Der Bundesinnenminister erklärt in der „Süddeutschen Zeitung“, er halte die Aufregung für übertrieben. „Wie viele Bücher sind geschrieben worden, in denen man aus Programmen, aus anderen Konzepten einfach Dinge wiedergibt“, sagt er. Eine Quellenangabe sei da nicht verpflichtend und zwei Tage Debatte über das Buch ausreichend. „Dann muss es auch mal wieder gut sein“.
Es ist wie immer bei öffentlichen Unterstützungserklärungen. Man kann sie als Stärkung sehen oder als Zeichen der Schwäche.
Da ergreift Baerbock doch lieber nochmal selber das Wort: „Ich nehme die Kritik ernst“, übermittelt sie ebenfalls über die „Süddeutsche Zeitung“ aus ihrem Urlaub. „Rückblickend wäre es sicherlich besser gewesen, wenn ich doch mit einem Quellenverzeichnis gearbeitet hätte.“