Bundestag beschließt neues Wahlrecht: Experten und Opposition sind entsetzt

Plenarsaal des Deutschen Bundestages.

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Berlin. Nach sieben Jahren Debatte hat der Bundestag am Donnerstagabend mit den Stimmen von CDU, CSU und SPD ein neues Wahlrecht beschlossen, das ein weiteres Anwachsen des Parlamentes dämpfen soll. Die Oppositionsparteien stimmten gegen den Gesetzentwurf der großen Koalition und äußerten scharfe Kritik.

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Die Koalition sei mit ihren Reformbemühungen “kläglich gescheitert”, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann. Der Gesetzentwurf sei eine Zumutung. “Er ist handwerklich grottenschlecht und inhaltlich völlig ungeeignet, den Bundestag zu verkleinern.”

Der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Konstantin Kuhle, sprach von einem “Schuss in den Ofen” und übte Kritik am Verfahren. Es sei “schäbig”, dass die Koalition die Reform so lange verschleppt habe, bis keine Zeit für grundlegende Änderungen mehr gewesen sei.

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Der Gesetzentwurf benachteilige Wähler aufgrund ihres Wohnortes, kritisierte Friedrich Straetmanns, rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion. Das Vorgehen der Koalitionäre sei “unter jeder Würde”.

“Nicht jedem muss der Entwurf gefallen”

Es sei eben ein Kompromiss, den die Koalition nun vorlege, verteidigte CSU-Justiziar Michael Frieser das Gesetz. Die Reform sei maßvoll, taste das Grundprinzip des personalisierten Verhältniswahlrechtes nicht an und garantiere auch weiterhin einen engen Kontakt zwischen Bürgern und Mandatsträgern, so Frieser. “Nicht jedem muss dieser Entwurf gefallen, aber er sollte auch nicht schlechter geredet werden, als er ist.”

Nötig geworden war eine Reform des Wahlrechtes, weil der Bundestag bei den letzten Wahlen durch Ausgleichs- und Überhangmandate immer größer geworden ist. Das Gesetz der Koalition sieht nun vor, dass Überhangmandate einer Partei nach einem komplizierten Schlüssel teilweise mit Listenmandaten verrechnet werden. Außerdem sollen beim Überschreiten der Regelgröße von 598 Parlamentariern bis zu drei Überhangmandate nicht durch Ausgleichsmandate kompensiert werden, was eine leichte Verzerrung des Zweitstimmenergebnisses im Parlament zur Folge hat.

Die Union hatte auf diese unausgeglichenen Mandate gedrängt. Sie wird von der Regelung mit hoher Wahrscheinlichkeit profitieren. Die SPD hätte es lieber gesehen, ab einer bestimmten Kappungsgrenze Überhangmandate, die aus schwachen Wahlkreisergebnissen resultieren, nicht mehr zuzuteilen. FDP, Grüne und Linkspartei hatten für eine Reduzierung der aktuell 299 Wahlkreise geworben, die die Koalition aber erst bei der Bundestagswahl 2025 angehen will.

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Laut einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages wird die Wahlrechtsreform der Koalition nur zu geringfügig weniger Mandaten führen. Auf Basis des Wahlergebnisses von 2017 hätte das neue Wahlrecht zu einem Parlament mit 682 Abgeordnete geführt und damit nur 27 Sitze eingespart.

“Das Gesetz, das Verrückte macht”

Der Wissenschaftliche Dienst weist auch auf rechtliche Probleme der Reform hin. So könne der Effekt des negativen Stimmgewichts eintreten, bei dem Parteien bei der Umrechnung von Stimmen in Mandate Parlamentssitze verlieren könnten, obwohl sie Stimmen gewonnen haben. Dieses Phänomen war vom Bundesverfassungsgericht bereits 2008 für verfassungswidrig erklärt worden, was Anlass für die letzte Wahlrechtsreform gewesen war.

Auch Politikwissenschaftler übten scharfe Kritik. “Der Entwurf ist in keiner Weise in der Lage, seinen Zweck zu erfüllen”, sagte Joachim Behnke von der Zeppelin-Universität Friedrichshafen bei einer Anhörung im Bundestag. Robert Vehrkamp von der Bertelsmann-Stiftung bewertete den Koalitionsentwurf als “verfassungsrechtlich prekär”. Die Düsseldorfer Juraprofessorin Sophie Schönberger sprach von einem “Gesetz, das Verrückte macht”. Und der Stuttgarter Mathematikprofessor Christian Hesse warf der Koalition “Trump’sche Züge” im vollständigen Ignorieren sämtlicher wissenschaftlicher Analysen vor.

“Das Gesetzt gewinnt keinen Schönheitspreis”, räumte SPD-Mann Mahmut Özdemir ein. Zumindest darin bestand am Donnerstag Einigkeit.

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