Von politischen Werten und Pferdeäpfeln
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Max Otte (Mitte), Noch-CDU-Parteimitglied, nimmt an einer Pressekonferenz der AfD mit Alice Weidel (links), Fraktionsvorsitzende der Partei, und Tino Chrupalla, AfD-Bundesvorsitzender und Fraktionsvorsitzender, teil.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Liebe Leserin, lieber Leser,
beinahe wäre die Bundespräsidentenwahl am 13. Februar zu einem sehr unspektakulären Ereignis geworden. Frank-Walter Steinmeier tritt wieder an. Die Ampelparteien unterstützen ihn – die Union auch mangels eigener Mehrheiten und ob seiner großen Beliebtheit in der Bevölkerung. Derweil präsentiert die Linke mit dem Sozialmediziner Gerhard Trabert einen respektablen, aber chancenlosen Kandidaten, der in seiner bescheidenen Art authentisch an das soziale Gewissen der Nation appelliert.
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Gerhard Trabert, aufgenommen im Rahmen der Vorstellung des Kandidaten der Linken für das Amt des Bundespräsidenten.
© Quelle: imago images/photothek
Die Wahl des Bundespräsidenten schien also würdig, staatstragend und ein bisschen langweilig zu werden. Dann aber witterte die AfD wie so oft die Chance, am rechten Rand der Berliner Bühne eine Posse aufzuführen. Als willfährigen Komplizen fanden sie dafür Max Otte – seines Zeichens CDU-Mitglied und bisher Chef der sogenannten Werteunion, ein lauter rechtskonservativer Club in der CDU mit großer öffentlicher Aufmerksamkeit und verschwindend geringem Einfluss in der Partei. Nun muss man wissen, dass Ottes Werteunion mit den Werten der CDU ähnlich viel zu tun hat wie Pferdeäpfel mit Äpfeln.
Otte ist das, was man altmodisch einen Hansdampf in allen Gassen nennen kann – in diesem Fall in allen Gassen, in die man nach rechts abbiegt. Er ist Ökonom und hat eine Reihe von Büchern mit apokalyptischem Unterton verfasst. Mit der AfD sympathisiert er schon länger. Drei Jahre lang, von 2018 bis 2021, führte er das Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung.
Nun fragt man sich, was treibt einen Menschen, der ein CDU-Parteibuch besitzt, um, sich als AfD-Kandidat für das höchste Amt im Staat aufstellen zu lassen? Wohlwissend, dass er den Posten nicht bekommen kann und dass ihn seine Partei ausschließen wird, ja, ausschließen muss.
Bei der Antwort steht man schnell knietief in der Küchenpsychologie, weil es dafür politisch keine rationalen Argumente gibt. Eigentlich fällt einem nur der Begriff „Geltungsdrang“ ein. Eine staatspolitische Mission hat dieser Mann jedenfalls nicht. Anders als bei seinem Vorgänger als Chef der Werteunion, Alexander Mitsch, sind bei Otte auch keine politischen Grundüberzeugungen erkennbar.
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Alexander Mitsch, früherer Chef der Werteunion.
© Quelle: imago images/vmd-images
Den ultrakonservativen Flügel der Union, als dessen Anführer er sich bisher sah, hat Otte mit der Kandidatur jedenfalls einmal k. o. geschlagen. Die Werteunion wird diese Kandidatur nicht überstehen. Für die CDU insgesamt dürfte es ein Vorteil sein, dass der rechtskonservative Unruheherd mit dem sicheren Parteiausschluss von Otte seine letzte Glaubwürdigkeit verloren hat. Für die neue Parteiführung ist der Fall Otte zudem eine willkommene Gelegenheit, einmal klare Kante gegen rechtsaußen in der eigenen Partei zu zeigen.
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Hans-Georg Maaßen.
© Quelle: imago images/ari
Das Problem der kleinen rechtspopulistisch tickenden Minderheit in der CDU ist damit aber nicht vom Tisch. Es gibt immer noch den früheren Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen. An der Frage, ob er als CDU-Mitglied noch tragbar ist, scheiden sich die Geister in der Parteiführung. Vizechefin Karin Prien hat Maaßen zum Rückzug aus der Partei aufgefordert und sähe es gerne, wenn auch gegen ihn ein Parteiausschlussverfahren in Gang käme.
Vizechef Michael Kretschmer hingegen spricht sich klar gegen einen Ausschluss aus und forderte im Interview mit dem RND vielmehr dazu auf, sich mit Maaßen auseinanderzusetzen. Maaßen übrigens könnte nun versuchen, den ultrakonservativen Parteiflügel mit neuer Schlagkraft und mit neuem Namen zu organisieren.
Und Otte? Bis Mitte Februar zur Bundesversammlung wird er noch ein paar Schlagzeilen und ein paar Fernsehbilder bekommen. Dann wird er zu Recht in der Bedeutungslosigkeit versinken.
Politsprech
Wir dürfen kein Wirtschaften mehr fördern, das zu fossilem Energieverbrauch, Umweltzerstörung und sozialer Ungerechtigkeit beiträgt.
Robert Habeck,
Wirtschaftsminister
Der Satz stammt nicht aus dem Wahlprogramm der Grünen, sondern ist Programm der Ampelregierung und Habecks Botschaft zum Jahreswirtschaftsbericht. Das klang früher anders, wenn der Jahreswirtschaftsbericht vorgestellt wurde. Der Wirtschaftsminister war traditionell stets der oberste Lobbyist für die Bedürfnisse der Wirtschaft – und diese Bedürfnisse waren traditionell auf schnellen Gewinn und Ressourcenverbrauch ausgerichtet. Noch klarer hätte sich Habeck davon nicht distanzieren können.
Was die Wortwahl betrifft, hat die Regierung die Klimawende quasi geschafft. Die Mühen der Ebene sind noch nicht erreicht. An seinen vielen Sätzen mit Poesiealbumqualität wird man Habeck spätestens in zwei Jahren messen.
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Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, im Bundestag.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Wie Demoskopen auf die Lage schauen
Das wichtigste Thema für die Bevölkerung ist und bleibt die Corona-Pandemie, wie das Forsa-Institut aktuell ermittelt hat. Stark in den Fokus sind aber auch die Ukraine-Krise und die Sorge vor einer kriegerischen Auseinandersetzung gerückt. Gefragt wurde ohne Vorgaben nach den wichtigsten Themen. 70 Prozent nannten die Pandemie als wichtigstes Thema, 36 Prozent die Ukraine-Krise.
In der Sonntagsfrage gibt es nur wenig Bewegung. Die Union ist um einen Prozentpunkt gefallen und liegt nun wieder hinter der SPD.
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