Bundesnotbremse: Chancen auf schnellen Klageerfolg sind eher gering
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Die Richter am Bundesverfassungsgericht müssen sich mit zahlreichen Beschwerden gegen die sogenannte Bundesnotbremse auseinandersetzen (Symbolfoto).
© Quelle: Uli Deck/dpa
Karlsruhe. Beim Bundesverfassungsgericht sind bereits mehr als hundert Verfassungsbeschwerden gegen die Corona-Bundesnotbremse eingegangen. Die Chancen, das Gesetz sofort zu stoppen, sind allerdings gering. Am Dienstagmittag zählte das Gericht bereits 111 Verfassungsbeschwerden gegen das Gesetz, das am Freitag voriger Woche in Kraft getreten war. Miteingerechnet: Die Klage der 80 FDP-Abgeordneten, die am Dienstag in Karlsruhe einging.
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© Quelle: dpa
Das Verfahren ist schon deshalb ungewöhnlich, weil die Wirkungen der Corona-Notbremse direkt vom Gesetz ausgehen. Sobald in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt sie Sieben-Tage-Inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen über 100 liegt, gilt automatisch eine Art Notstandsregelung mit Ausgangssperren von 22 bis 5 Uhr sowie Schließung von Läden, Gastronomie und Kultureinrichtungen.
Flut an Klagen für Verfassungsrichter ungewöhnlich
Wer hiergegen rechtliche Bedenken hat, muss wohl direkt das Bundesverfassungsgericht anrufen. Denn es gibt keine behördlichen Akte mehr, die vor dem örtlichen Verwaltungsgericht angegriffen werden könnten. Die Flut der Klagen direkt gegen ein Gesetz ist daher auch für die Karlsruher Richter ungewöhnlich. Und täglich kommen rund zwei Dutzend weitere Verfassungsbeschwerden hinzu.
Von den 111 bisher eingegangenen Verfahren haben – nach einer ersten Sichtung – immerhin 49 so viel Substanz, dass sie ins Verfahrensregister eingetragen wurden. Am bekanntesten war bisher die 83-seitige Klage der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), einer Organisation, die sich auf Verfassungsklagen spezialisiert hat.
Entscheidung über Bundesnotbremse wohl erst in Monaten – oder Jahren
Da die Rechtsfragen sehr komplex sind, kann mit Entscheidungen über die Verfassungsbeschwerden erst in Monaten oder Jahren gerechnet werden. Fast alle Kläger haben daher auch Eilanträge gestellt. Sie verlangen dabei, dass das Gericht das Gesetz ganz oder teilweise außer Kraft setzt, bis über die eigentlichen Klagen entschieden ist. Über diese Eilanträge wird demnächst der Erste Senat entscheiden, der aus acht Richtern besteht und von Gerichtspräsident Stephan Harbarth geleitet wird. Ein Termin ist noch nicht absehbar.
Die Chancen der Kläger, in diesem Stadium Erfolg zu haben, sind allerdings nicht groß. Denn bei einem Eilantrag prüft das Bundesverfassungsgericht nicht die Erfolgsaussichten der Klage. Vielmehr nimmt es eine Folgenabwägung vor: Wären die Folgen schlimmer, wenn das Gesetz zunächst angewandt wird und sich später als verfassungswidrig erweist? Oder wiegen die Folgen schwerer, wenn das Gesetz jetzt gestoppt würde, obwohl es nicht gegen das Grundgesetz verstößt?
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In Corona-Verfahren hat das Bundesverfassungsgericht bisher fast immer dem Pandemieschutz Vorrang gegeben und Eilanträge abgelehnt. Der letzte erfolgreiche Corona-Eilantrag war im April 2020, also vor rund einem Jahr.
Im Fall der Bundesnotbremse sind die Hürden sogar besonders hoch, da sich die Eilanträge gegen ein Gesetz und nicht gegen ein Gerichtsurteil richten. Derartige Eilanträge hatten in den letzten Jahrzehnten nur in einer Handvoll Fälle Erfolg, weil das Gericht die Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers als besonders schutzwürdig ansieht. Immerhin wurde 2008 die damals geplante Einführung der Vorratsdatenspeicherung vorläufig gestoppt.