Auf der Suche nach dem Riss im Land

Wie gespalten ist Deutschland wirklich?

Wie gespalten ist Deutschland wirklich?

Berlin. Ein Lagerfeuer im ländlichen Brandenburg. Die Stimmung ist gelöst, aber sie kippt sofort, als die Rede auf den Wolf kommt. Fast jeder hier kann Geschichten über das Raubtier erzählen, die Lokalteile der Zeitungen sind voll mit Meldungen über gerissene Lämmer und Kälber. „Die Politiker tun nichts“, sagt ein Mann, den Schein der Flammen auf dem Gesicht. „Erst wenn der Wolf in die Stadt kommt und ihre Kinder anfällt, erst dann werden sie handeln!“

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Noch nie, seit es in Deutschland wieder Wölfe gibt, hat ein Tier einen Menschen zu Schaden gebracht. Aber in der Runde gibt es ungeteilte Zustimmung. „Die Städter“, „die da oben“, oder etwas feiner „die urbanen Eliten“, verstünden nichts von den Sorgen und Nöten auf dem Land. Sollen sie die Wölfe doch bei sich unterbringen, wenn sie sie so mögen.

Die Politik der Angst – und die AfD im Osten

Zwei Leipziger Politikwissenschaftlerinnen haben ein Buch über die Rückkehr der Wölfe und die rechtspopulistische „Politik der Angst“ geschrieben. Erschienen ist das Buch von Rebecca Pates und Julia Leser auf Englisch: „The Wolves are Coming Back. The Politics of Fear in Eastern Germany“ heißt es.

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Niemand nutzt diese Politik der Angst so gut wie die AfD im Osten, sagen Pates und Leser. Und die Angst vor dem Wolf wird verbunden mit der Angst vor dem Fremden: „Der Wolf ist ein Migrant – er ist nach Deutschland (zurück) eingewandert, breitet sich nun hier wieder aus“, erklärt Pates.

„Der Migrant wird von den Rechtspopulisten in die Nähe des Wolfs gerückt – als Gefahr für ‚unsere Frauen‘, als Fremder, der nicht hierhin gehört. Und entschieden haben in beiden Fällen die Städter, die Eliten, ‚die da oben‘, es ist eine ‚Entscheidung gegen uns‘.“

Armin Laschet und die Windräder

Die Rede von der „Spaltung der Gesellschaft“ ist Kampfbegriff und Lieblingsthese im Wahlkampf zugleich. Sie wird befeuert von politischen Akteuren, die davon profitieren – Rechtspopulisten und Konservativen zugleich. Die Städter werden mit den Eliten gleichgesetzt, die Landbewohner mit den „einfachen Menschen“, die an ihrer Scholle kleben. AfD-Senior Alexander Gauland bestritt damit Dutzende Wahlkampfreden.

CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet nutzt diesen Spaltungstopos ebenfalls, wenn er in der Debatte über den Ausbau erneuerbarer Energien feststellt: „In Berlin-Mitte steht kein Windrad.“ Das ist unzweifelhaft faktisch richtig. Laschet sagte diese Sätze im Mitteldeutschen Rundfunk, gerichtet ans Publikum in den Braunkohleregionen Sachsen-Anhalt und Sachsen, die zudem überproportional viele Solar- und Windparks aufweisen.

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Der Adressat bestimmt die Nachricht – in diesem Fall den Unterton, dass „das Land“ nur die Nachteile der Energiewende ausbaden muss, damit „die Städter“ mit Elektroauto und E‑Bike klimaneutral unterwegs sein können.

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Ein drei- bis viergeteiltes Land

„Welche Spaltung?“ – fragt hingegen Manfred Güllner. Für den Meinungsforscher und Direktor des Forsa-Instituts ist die Lage nicht dramatischer als in vergangenen Jahrzehnten: „Die Gesellschaft ist nicht heterogener geworden. Es gab immer schon unterschiedliche Interessen, die sich artikuliert haben.“

Wer auf die politische Landkarte der Wahlumfragen schaut, sieht ein drei- bis viergeteiltes Land. Bei den Direktmandaten färben sich mit dem Aufschwung der SPD der Norden und Westen rot ein, der Süden schwarz mit grünen Inseln, der Südosten AfD-blau, ebenfalls mit städtischen Inseln, in denen Grüne, Linke und Sozialdemokraten hoffen können.

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Aber die Farben überdecken, wie knapp die Rennen in vielen Gegenden sind. Wie im Bund entbrennt auch in den Wahlkreisen fast überall ein Dreikampf: Sei es zwischen Union, SPD und Grünen oder, im Osten, zwischen AfD, Union und SPD. Die Wahlentscheidungen werden vielfältiger und spontaner. Das politische Land ist in Bewegung. Aber ist das eine Spaltung, gar eine unüberwindliche?

Und was ist mit der Kluft zwischen den Generationen? Das Land wird älter, die Wählerinnen und Wähler werden es auch. Mehr als ein Fünftel (21,3 Prozent) der Wahlberechtigten bei der Bundestagswahl ist 70 Jahre und älter – 12,8 Millionen Deutsche. Den stärksten Zuwachs gibt es in der Kohorte darunter, bei den 60‑ bis 69‑Jäh­ri­gen, die Babyboomer sind auf dem Weg in die Rente. Das sind noch einmal 10,2 Millionen Menschen, 16,9 Prozent der Wahlberechtigten. Zusammengenommen: 23 Millionen Wahlberechtigte stehen im Rentenalter oder kurz davor.

Die Jungen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren sind mit 17,4 Millionen klar in der Minderheit, auch die mittleren Altersgruppen bis 59 Jahre verlieren mit 20 Millionen gegenüber den Senioren an Einfluss.

Bei der Bundestagswahl geht es nicht nur um die nächsten vier Jahre, sondern auch um langfristige Weichenstellungen, gerade beim Megathema Klimaschutz. Es geht um Generationenfragen. Unter anderen geht es um eine sichere Rente. Zeigt sich hier eine Spaltung zwischen Alt und Jung? Die Zahlen geben das nicht her.

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Zwar sind Grüne und FDP – und in Sachsen und Thüringen auch die AfD – bei den Jungen deutlich überrepräsentiert, zwar behalten CDU und SPD bei den Älteren noch den Volksparteistatus, den sie in der Gesamtbevölkerung bereits verloren haben, doch die heute 70‑Jäh­ri­gen sind stärker als ihre Vorgänger geprägt von den postmaterialistischen Werten der Studentenbewegung, der Friedensbewegung, auch der friedlichen Revolution in der DDR.

Nicht wenige wählen eher „für ihre Enkel“ als für ihren Geldbeutel. Es ist kein Zufall, dass SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz (62) auf die Frage einer klimabewegten Studentin nach dem Kohleausstieg in der ARD-„Wahlarena“ von seinen eigenen Erlebnissen als junger Mann auf Antiatomkraftdemos erzählt hat. Er dockt damit an Generationserfahrungen an.

Was aber ist nun mit den AfD-blauen Gebieten auf der Deutschland-Karte? Wie tief reicht die Spaltung im ländlichen Sachsen? „Es gibt den Aufstand der ländlichen Regionen gegen die urbanen Zentren“, sagt Politikwissenschaftlerin Pates. „Es gibt ihn in den USA, ablesbar an den Stimmen für Trump. Es gibt ihn in Großbritannien, ablesbar an der Zustimmung zum Brexit. In Frankreich wird Le Pen überdurchschnittlich in ländlichen Regionen gewählt. Zum Teil gibt es diesen Aufstand auch in Deutschland, und hier überproportional im Osten.“

Doch von der Demokratie verabschiedet hätten sich auch diese Regionen nicht. Demokratie wird schlicht mit härteren Bandagen und lauteren Stimmen ausgefochten als anderswo. „Das Politikverständnis ist im Osten, besonders in Sachsen, ein deutlich anderes als in der alten Bundesrepublik“, analysiert Pates. „Im Os­ten wird die Demokratie anders gelebt. Demokratie bedeutet eben nicht nur, die ‚richtigen Parteien‘ zu wählen. Demokratie muss es auch aushalten, dass Parteien gewählt werden, die nicht nach demokratischen Regeln spielen.“

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