Brexit-Drama: Boris Johnson schlägt Neuwahl für 12. Dezember vor
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Großbritanniens Premier Boris Johnson.
© Quelle: imago images/photothek
London. Großbritanniens Premierminister Boris Johnson hat eine Neuwahl für das britische Unterhaus für den 12. Dezember vorgeschlagen. Das sagte er in einem Interview mit der BBC am Donnerstag. Es habe sich gezeigt, dass das Parlament mehr Zeit haben wolle, um die Gesetzgebung für den Brexit zu debattieren. Die Abgeordneten könnten die Zeit haben, müssten aber einer Neuwahl zustimmen, sagte Johnson. Den Vorschlag von Johnson wollten die EU-Institutionen am Donnerstag nicht kommentieren. Die EU-Kommission erklärte nur, sie nehme Johnsons Ankündigung zur Kenntnis.
Die Abgeordneten sollen nun bis 6. November Zeit zur Debatte bekommen, wenn sie einer Neuwahl zustimmen. „Es ist Zeit, dass die Opposition ihren Mut zusammennimmt, und sich selbst unserem gemeinsamen Boss stellt, dem Volk des Vereinigten Königreichs“, sagte Johnson. Schatzkanzler Sajid Javid fügte hinzu: „Wir brauchen eine Wahl so bald wie möglich, um das Patt zu durchbrechen und über die Zukunft unseres Landes zu entscheiden.“
Schon zuvor war klar, dass er auf eine Neuwahl des Parlaments noch in diesem Jahr zusteuert, sollte die EU einen weiteren Aufschub für einen geregelten EU-Austritt des Landes gewähren. Eine Entscheidung der 27 übrigen EU-Staats- und Regierungschefs darüber wird für Freitag erwartet. Es herrsche grundsätzlich wohl Einigkeit über die Verschiebung, aber noch nicht über deren Dauer, hieß es am Donnerstag in Brüssel.
Hintergrund ist der Versuch, mit Hilfe einer Neuwahl die Mehrheitsverhältnisse im Parlament zu verändern und dann - mit möglichst eigener Mehrheit - den Brexit-Deal in britisches Recht zu gießen. Bisher führt Johnson eine Minderheitsregierung, der bereits zahlreiche schwere Abstimmungsniederlagen zugefügt wurden.
Parlament zwingt Johnson zur Brexit-Pause
Der Brexit hängt in der Schwebe: Das britische Parlament verweigert Premier Johnson ein weiteres Mal die Gefolgschaft.
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Für eine Neuwahl noch in diesem Jahr braucht Johnson eine Entscheidung des Parlaments mit Zwei-Drittel-Mehrheit. Das heißt, zumindest ein Teil der Abgeordneten der Labour-Partei muss zustimmen. Es ist bisher nicht gesichert, dass ausreichend viele Labour-Abgeordnete eine Neuwahl durchwinken. Johnson wandte sich am Donnerstag mit einem Brief an Labour-Chef Jeremy Corbyn und bat um Unterstützung. Die Labour-Abgeordnete Valerie Vaz sagte: „Die Labour-Partei ist bereit, eine Neuwahl zu unterstützen, sofern ein No-Deal-Brexit ausgeschlossen ist.“ Ähnlich äußerte sich die Parteichefin der Liberaldemokraten, Jo Swinson.
Die unabhängige Abgeordnete Anna Soubry, die Johnsons Tories aus Ärger über die Brexit-Politik verlassen hatte, sagte in der BBC: „Keine Chance, dass ich dem zustimme.“ Der Vorsitzende der walisischen Regionalpartei Plaid Cymru, Adam Price, sagte: „Die britische Regierung hat keinen schlüssigen Plan, das Brexit-Chaos zu beenden und eine Neuwahl wird das Problem nicht lösen.“ Und er fügte hinzu: „Wenn sein Poker am Montag schief geht, hat er keine andere Möglichkeit, als zurückzutreten.“ Auch Vertreter der schottischen SNP lehnte ein Neuwahl ab.
Widerstand in Nordirland
Vor allem in Nordirland regte sich erheblicher Widerstand. Der Deal Johnsons sieht im Kern vor, dass eine mehr oder wenige durchlässige Zollgrenze zwischen Nordirland und der britischen Hauptinsel errichtet werden muss. Damit würde Nordirland zwar auf dem Papier mit dem Rest Großbritanniens aus der EU-Zollunion austreten. De facto aber bliebe Nordirland weiterhin an EU-Handelsrecht gebunden.
Die probritischen Loyalisten fühlen sich von Johnson deswegen im Stich gelassen. Aus der Downing Street kamen unterschiedliche Angaben darüber, ob es zu Zollkontrollen zwischen Nordirland und dem übrigen Großbritannien kommen werde. Der Fraktionschef der nordirischen Loyalisten-Partei DUP, Nigel Dodds, sagte im Parlament an die Adresse Johnsons und dessen Brexit-Minister Stephen Barclay: „Sie laufen Gefahr, hier mit dem, was sie den Unionisten antun, echten Schaden anzurichten, beim Belfast-Agreement (Karfreitagsabkommen), beim St.-Andrews-Agreement, bei den politischen Institutionen und für die politische Stabilität.“
Großbritanniens Sonderrolle in der EU
Vom Beitritt bis zum Brexit: Großbritannien stellte die Geduld der EU-Partnerländer immer wieder auf eine harte Probe.
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Der Polizeichef von Nordirland, Simon Byrne, hatte zuvor davor gewarnt, dass es zu von Loyalisten angefachten Unruhen kommen könnte, sollte es zu einem Brexit-Deal kommen, der die Union zwischen Großbritannien und Nordirland bedrohe. Es gebe unter den probritischen Loyalisten das Potenzial „die Gewalt auf die Straße zurückzubringen“. In Nordirland herrschte Bürgerkrieg zwischen den protestantischen, pro-britischen Loyalisten und den proirischen Katholiken. Die Unruhen wurden durch das Karfreitagsabkommen von 1998 weitgehend eingedämmt.
Von der Leyen will britischen EU-Kommissarposten bei Brexit-Verschiebung
Von Seiten der EU kam am Donnerstag weitere Ungemach für die Downing Street. Für den Fall einer mehrmonatigen Verschiebung des Brexits muss Großbritannien wohl noch einmal einen neuen EU-Kommissar benennen. Die gewählte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte am Donnerstag in Helsinki, dies gelte, falls Großbritannien zum Amtsantritts ihres Teams noch Mitglied der Europäischen Union sei.
Die britische Regierung hatte mit Blick auf das Austrittsdatum 31. Oktober bewusst auf die Nominierung eines Kommissars verzichtet. Der derzeitige Kommissar aus Großbritannien ist Julian King, er ist für Sicherheit zuständig.
RND/dpa