Fünf Jahre nach Breitscheidplatz-Anschlag: Experte Neumann sieht heute geringere Bedrohung

Eine Schneise der Verwüstung war auf dem Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz zu sehen, nachdem der Attentäter Anis Amri am 20. Dezember 2016 mit einem Lastwagen über den Platz gerast war.

Eine Schneise der Verwüstung war auf dem Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz zu sehen, nachdem der Attentäter Anis Amri am 20. Dezember 2016 mit einem Lastwagen über den Platz gerast war.

Berlin. Der Terrorismus­experte Peter Neumann vom King’s College in London sieht fünf Jahre nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz keine akute terroristische Bedrohung im islamistischen Bereich. „Islamistischer Terrorismus ist heutzutage nicht mehr die Bedrohung, die er zur Zeit des Anschlags auf dem Breitscheidplatz war“, sagte er dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND).

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„Die Netzwerke, die damals existierten, wurden mittlerweile von den Sicherheits­behörden aufgerollt. Und der „Islamische Staat“, in dessen Namen Amri den Anschlag durchführte, hat seine Operationsbasen in Syrien, dem Irak und auch Libyen weitgehend verloren“, sagte Neumann.

Islamistischer Terrorismus weiterhin eine Gefahr

Neumann betonte jedoch: „Der islamistische Terrorismus ist nicht völlig verschwunden. Grund zum Aufatmen gibt es nicht.“ Zwar seien islamistische Terroristen heutzutage vielleicht weniger organisiert, aber deshalb nicht unbedingt weniger gefährlich. Vor allem seien sie für die Sicherheits­behörden schwerer einzuschätzen.

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Deshalb gelte: „Islamistischer Terrorismus ist neben dem rechtsextremen Terrorismus eine zweite große und langfristige Herausforderung für die innere Sicherheit. Es bringt nichts, diese Gefahren gegeneinander auszuspielen. In beiden Bereichen muss langfristig und nachhaltig investiert werden, um unsere Gesellschaft und Demokratie zu schützen.“

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552 sogenannte islamistische Gefährder

Aus Sicherheitskreisen verlautet, die islamistische Propaganda habe nach der erneuten Machtübernahme der Taliban in Afghanistan zwar wieder Auftrieb bekommen; dem folge aber keine echte Mobilisierung. Anders als Syrien, wohin nach Beginn des Bürgerkrieges 2011 rund 1000 Islamisten aus Deutschland ausreisten, sei das Land am Hindukusch auch viel schwerer zu erreichen. Die Zahl der islamistischen Gefährder wurde vom Bundeskriminalamt (BKA) im November mit 552 angegeben.

Der Tunesier Anis Amri hatte am 19. Dezember 2016 einen polnischen Lkw in seine Gewalt gebracht und war damit über den Weihnachtsmarkt an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche gefahren. Dabei kamen zwölf Menschen um, Dutzende weitere wurde zum Teil schwer verletzt und leiden vielfach bis heute an den Folgen.

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Der Bundestags-Untersuchungs­ausschuss zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz.

Der Bundestags-Untersuchungs­ausschuss zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz.

Dabei steht nach dem Abschluss des Bundestags-Untersuchungs­ausschusses zum Breitscheidplatz-Attentat fest, dass Amri kein Einzeltäter war. Noch aus dem gestohlenen Lastwagen tauschte er sich mit einem „Mentor“ beim IS aus: „Ich bin jetzt in der Karre, verstehst du? Bete für mich, Bruder!“ Am Abend vor der Tat traf er sich zu einem intensiven Gespräch mit dem Islamisten Bilel Ben Ammar, den deutsche Behörden seit Längerem im Visier hatten.

Auch der mutmaßliche Auftraggeber bleibt untergetaucht

Dieser „Mentor“ ist bis heute unauffindbar. Ben Ammar wurde im Februar 2017 eilig nach Tunesien abgeschoben. Dort war er zwischenzeitlich in Haft, sein aktueller Aufenthaltsort ist unbekannt. Ebenso unklar ist, wo sich der mutmaßliche Auftraggeber des Anschlags, der IS-Funktionär mit dem Kampfnamen „Abu Bara’a Al Iraqi“, versteckt hält, über den kürzlich der RBB berichtete.

Fahndungsfotos des Attentäters Anis Amri (Archivbild): Teil eines internationalen Terrornetzwerks.

Fahndungsfotos des Attentäters Anis Amri (Archivbild): Teil eines internationalen Terrornetzwerks.

Fünf Jahre nach dem Anschlag sinken außerdem die Chancen, dass einer von Amris Hintermännern und Helfern vor ein deutsches Gericht kommt und die Hinterbliebenen der Opfer auf dem Justizweg eine Art Genugtuung erfahren können.

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Ampelparteien wollen nationalen Gedenktag

Im Koalitionsvertrag haben sich die Ampelparteien auf einen „empathischeren und würdigeren Umgang mit Opfern und Hinterbliebenen von Terroranschlägen und Katastrophen nationaler Tragweite“ geeinigt. Das ist eine Lehre aus der ursprünglich ungenügenden Unterstützung für die Hinterbliebenen und Geschädigten des Weihnachtsmarkt­attentats.

Überdies soll es einen „nationalen Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt“ geben. Dafür ist allerdings nicht der 19. Dezember vorgesehen, sondern der 11. März, der bereits europäischer Gedenktag für die Opfer des Terrorismus ist. An diesem Tag im Jahr 2004 ermordeten dschihadistische Terroristen durch Bombenattentate in Madrider Vorortzügen 191 Menschen, 1800 wurden verletzt.

Opfer zeigen sich unzufrieden mit Arbeit der Behörden

Zuletzt waren vonseiten der Breitscheidplatz-Opfer und ihrer Angehörigen abermals Klagen über ihre Behandlung durch die Behörden laut geworden. „Hilflos und ohnmächtig müssen die Opfer und die Angehörigen zusehen und miterleben, wie der Terror für die Geschädigten weitergeht“, zitierte der „Tagesspiegel“ aus einem Schreiben des Opferpsychologen Rainer Rothe an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

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Rothe betreut laut dem Zeitungsbericht mehr als zehn Opfer des Anschlags und Berliner Opfer des Anschlags von Nizza im selben Jahr. Er beklagte demnach „fatale und menschen­verachtende Umgangsformen der Behörden“. Für manche Betroffene sei dieser Umgang genauso traumatisierend wie der Anschlag selbst.

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Die Opfer und ihre Angehörigen fühlten sich „hilflos und ohnmächtig“, schrieb Rothe. So fehle in vielen Institutionen Fachwissen in der Traumatherapie. Hilfe sei zum Teil gar nicht oder erst nach Monaten oder gar Jahren geleistet worden. Keines der Opfer habe einen Lotsen oder Fallmanager zur Seite gestellt bekommen. Nach einer eigenen Befragung des Berliner Psychologen lagen zwischen Anschlag und Therapiebeginn im Durchschnitt 357 Tage, also knapp ein Jahr. 18 von 23 Befragten hätten sich irgendwann anwaltliche Hilfe gesucht.

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