Brasiliens neuer Präsident Lula steht vor schwierigem Jahr
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Luiz Inacio Lula da Silva spricht während einer Pressekonferenz mit internationalen Journalisten (Archivbild).
© Quelle: Andre Penner/AP/dpa
Brasília. Wenn Brasiliens alter neuer Präsident Luiz Inácio Lula da Silva am Neujahrstag seine dritte Amtszeit antritt, kann er seine Erfahrung angesichts der enormen Aufgaben gut gebrauchen. Vorbei ist der Boom seiner ersten zwei Amtszeiten von 2003 bis 2010. Sein Vorgänger hat das bevölkerungsreichste und wirtschaftsstärkste Land Lateinamerikas tief gespalten und international isoliert.
Die Abholzung des für das Weltklima wichtigen Amazonasgebiets hat kräftig zugelegt. Geopolitisch spielt Brasilien als Exporteur von Lebensmitteln, Rohstoffen und grüner Energie sowie als regionale Führungsmacht eine Rolle - doch leiden in dem eigentlich reichen Land mit einer gigantischen Landwirtschaft immer mehr Menschen Hunger.
Baustellen gibt es also genug - und der 77-jährige Linke muss sich mit einem Kongress arrangieren, der von rechten Bolsonaro-Anhängern dominiert wird. „Diese Amtszeit wird sehr viel schwieriger werden als seine vorherigen“, sagt der Politikwissenschaftler Mauricio Santoro von der Bundesuniversität von Rio de Janeiro der Deutschen Presse-Agentur. „Sowohl wegen der Veränderungen in Brasilien, aber auch aufgrund einer komplizierter gewordenen internationalen Lage.“
Wahl polarisierte Brasilien
Vier Jahre der Regierung von Jair Bolsonaro haben ihre Spuren in Brasilien hinterlassen. Der Hauptmann der Reserve schaffte es, die rechten Strömungen im 214-Millionen-Einwohner-Land hinter sich zu vereinen. Die Präsidentschaftswahl im Oktober, aus der Linkspolitiker Lula als Sieger hervorging, hat das Land extrem polarisiert. Die Risse gehen durch Familien, Freundesgruppen und Nachbarschaften. Nun ist es an Lula, der als großer Umarmer gilt, das Land zu versöhnen.
Einige von Bolsonaros Unterstützern wollen den Wahlsieg Lulas jedoch immer noch nicht wahrhaben. Demonstranten, teils auch vor Kasernen, fordern immer wieder ein Eingreifen des Militärs, weil sie wegen des engen Wahlausgangs Betrug vermuten. Zuletzt versuchten radikale Bolsonaro-Anhänger in der Hauptstadt Brasília, in das Gebäude der Bundespolizei einzudringen, zündeten Autos und Busse an.
International hat Bolsonaro Brasilien mit seiner Blockadehaltung beim Umweltschutz, seiner umstrittenen Corona-Politik und seinen unsäglichen Äußerungen isoliert. Lula könnte das Ansehen des Landes wiederherstellen. Bei der UN-Klimakonferenz in Ägypten im November kehrte er mit seiner ersten internationalen Rede nach der Wahl bereits auf die Weltbühne zurück. Zuvor hatte er Brasilien als Gastgeber der Weltklimakonferenz im Jahr 2025 ins Gespräch gebracht.
In seiner früheren Amtszeit galt Lula nicht als Grüner, hat jetzt aber versprochen, Umwelt- und Klimaschutz zu stärken. So könnte der Amazonienfonds zum Schutz des Regenwaldes, an dem auch Deutschland beteiligt ist, wiederbelebt werden. Als riesiger Kohlenstoffspeicher spielt das Amazonasgebiet, flächenmäßig so groß wie Westeuropa, im Kampf gegen den weltweiten Klimawandel eine wichtige Rolle.
„Der Umweltschutz ist das wichtigste außenpolitische Thema, mit dem der neue Präsident sich befassen muss“, sagt Bruno Carazza, Politikwissenschaftler von der Universität von Minas Gerais. „Wir haben große Vorteile bei alternativen Energiequellen. Wir haben die Chance, eine wichtige Rolle bei der Reduzierung der CO2-Emissionen und bei der Vermarktung von Emissionsgutschriften zu spielen.“
Kritik aus der EU
Die Umweltagenda kann Carazza zufolge auch wichtig für die brasilianische Wirtschaft sein. Bolsonaros Verweigerungshaltung beim Klimaschutz bremste die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Südamerika und Europa. Das Freihandelsabkommen zwischen dem Staatenbund Mercosur und der EU liegt derzeit auf Eis - unter anderem auch deshalb, weil Kritiker in Europa befürchten, der Vertrag werde die Regenwaldzerstörung in Brasilien weiter befeuern.
Angesichts der angespannten Lage auf dem Energie- und Lebensmittelmarkt wegen des Ukraine-Kriegs ist die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas aber ein wichtiger Handelspartner. Nach Berechnungen der staatlichen Agrar-Forschungsagentur Embrapa produziert Brasilien Nahrungsmittel für 780 Millionen Menschen - knapp ein Zehntel der Weltbevölkerung. Mehr als 30 Millionen Brasilianer sind laut einer Studie allerdings von Hunger betroffen.
Lula will den Kampf gegen den Hunger wieder in den Vordergrund rücken. Es ist eines seiner ureigensten Anliegen. Als Kind einer armen Familie aus dem Nordosten litt er selbst Hunger. Unter seiner Regierung hatte Brasilien die Landkarte des Hungers verlassen. Hohe Rohstoffpreise und neu entdeckte Ölvorkommen halfen ihm damals, Sozialprogramme wie „Fome Zero“ (Null Hunger) und die Familienhilfe „Bolsa Familia“ zu finanzieren.
Nach Wahlniederlage: Bolsonaro ruft zur Räumung der Straßenblockaden auf
Aus Protest gegen Jair Bolsonaros Wahlniederlage gegen den linken Politiker Lula blockieren Trucker seit Sonntag die Straßen.
© Quelle: Reuters
Ohne den „Centrão“ - kleine und kleinste Parteien, die sich häufig im Gegenzug für politische Unterstützung Ämter und Posten sichern - kann in Brasília kaum jemand regieren, auch Lula nicht. Bei den Wahlen Anfang Oktober zogen zudem viele Gefolgsleute von Bolsonaro in den Kongress ein, seine Liberale Partei stellt dort künftig die stärkste Fraktion. „Der Kongress dürfte eine ständige Quelle von Problemen sein“, sagt Politikwissenschaftler Santoro.
„Lula wird all seine politischen Fähigkeiten brauchen, um eine parlamentarische Basis zu seiner Unterstützung zu verhandeln.“ Für Gesetzesprojekte sind die Hälfte der Stimmen beider Kammern notwendig, für Verfassungsänderungen zwei Drittel. Der politische Analyst Adriano Oliveira von der Uni von Pernambuco glaubt, dass der Linkspolitiker mit seiner Dialogfähigkeit Wege finden wird: „Nicht alle aus dem Bolsonaro-Block sind radikal. Und irgendwann, in sechs, acht Monaten werden sie mit Lula stimmen.“
RND/dpa