Brasilien hat Bolsonaro satt – sein Pokerspiel geht nicht auf
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Die Opposition wirft dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro „Völkermord“ vor, weil er die Impfstoffversorgung verschleppte.
© Quelle: imago images/Fotoarena
Rio de Janeiro. In wenigen Tagen wird Brasilien die Schallmauer von 500.000 Covid-Toten durchbrechen. Umgerechnet auf die Bevölkerungszahl von etwa 200 Millionen Menschen bedeutet das: Einer oder eine von 400 Brasilianerinnen und Brasilianern ist an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben. Vor allem in den Armenviertel, wo die Menschen dicht gedrängt zusammenleben, kennt fast jede Familie einen Fall in der Nähe. Im weltweiten Vergleich liegt das riesige Land mit 233 Toten pro 100.000 Einwohnern (Johns Hopkins University) auf Rang neun hinter Spitzenreiter Peru (582) und acht europäischen Ländern.
Die Opposition wirft Bolsonaro „Völkermord“ vor
Im Zentrum der Kritik steht Brasiliens rechtspopulistischer Präsident Jair Bolsonaro. Ihm wirft die Opposition einen „Völkermord“ vor, weil er die Impfstoffversorgung verschleppte, die Krankheit von Anfang an verharmloste. Zuletzt geriet Bolsonaro ins Kreuzfeuer, weil er die Copa America ins Land holte, die aus Pandemiegründen aus Argentinien und wegen Sozialprotesten in Kolumbien den vorgesehenen Gastgeberländern entzogen wurde.
Nun entwickelt sich das Konzept „Brot und Spiele“ zum Rohrkrepierer: Die Einschaltquoten für die brasilianische Selecao sind schlecht, die Mannschaft war ohnehin nur unter Protest angetreten. Zudem sind schon Dutzende Infektionsfälle im Umfeld der Mannschaften aufgetreten. Kritiker fühlen sich bestätigt.
Anwohner sehen die Gefahr der Copa America
Eine Gefahr, die Cacique José Urutau hat kommen sehen. Er lebt in direkter Nachbarschaft zum Maracana-Stadion in Rio de Janeiro in einem Indigenen Kulturmuseum, das eigentlich für VIP-Parkplätze für die WM 2014 und Olympia 2016 abgerissen werden sollte. Nur einen Steinwurf entfernt soll auch das Finale der Copa America 2021 stattfinden.
Corona-Tote in Brasilien: Zahl steigt auf mehr als 400.000
Das Land ist damit das zweite weltweit mit über 400.000 Corona-Toten. Spitzenreiter sind die USA mit rund 575.000 Todesfällen.
© Quelle: Reuters
Seit Jahren hält er hier aus, im Widerstand und für das Museum, das er unbedingt retten will. Die neuerliche Copa America werde trotz der Pandemie und der Versprechen erneut für Menschenansammlungen sorgen. „Egal, was sie sagen, es kommen immer Menschen hierher und wollen die Spieler sehen. Es kommen Polizisten, die alles abriegeln. Es kommen Journalisten.“
Große Proteste gegen Bolsonaro erwartet
Nun wollen am Wochenende in 180 brasilianischen Städten die Menschen auf die Straße gehen und gegen den Präsidenten demonstrieren. „Fora Bolsonaro“ heißt das Motto. Allerdings ist das Konzept umstritten, denn auch hier kommt es zu Menschenansammlungen. Zwar achten die Demo-Organisatoren darauf, dass während der Märsche Masken getragen werden, doch was auf der An- und Abreise passiert, ist schlichtweg nicht zu kontrollieren.
Doch es geht nicht nur um die gescheiterte Corona-Politik Bolsonaros. Das Land erlebt infolge der Wirtschaftskrise eine Hungerwelle, die Abholzung im Amazonas bleibt auf anhaltend hohem Niveau. Gründe, die am Wochenende in ganz Brasilien Hunderttausende Menschen auf die Straßen treiben wird und so etwas wie der Auftakt zum Straßenwahlkampf wird. Im kommenden Jahr will Bolsonaro wiedergewählt werden. Dazu braucht er dringend Erfolge: Bei der Copa America ebenso wie bei der Wiederbelebung der Wirtschaft. Davon ist Brasilien allerdings heute ein gutes Stück weit entfernt.