Medienwissenschaftler im Interview

Bilder aus Butscha: Was gegen das Gefühl der Ohnmacht hilft

Sie zeigen die Grausamkeit des Krieges: Die Bilder des Ukraine-Konflikts sorgen weltweit für Entsetzen.

Sie zeigen die Grausamkeit des Krieges: Die Bilder des Ukraine-Konflikts sorgen weltweit für Entsetzen.

Berlin. Der Krieg in der Ukraine hat eine neue Stufe der Grausamkeit erreicht. Das Bild, das sich beim Rückzug der russischen Truppen aus der Stadt Butscha bot, sorgte weltweit für Empörung: Dutzende Leichen, teilweise mit hinter dem Rücken verbundenen Händen erschossen. Viele sprechen von Kriegsverbrechen, Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew, bezeichnet den Angriff als Völkermord. Russland hingegen dementiert die Anschuldigungen aus der Ukraine und bezeichnet sie ohne jeglichen Beleg als Lügen. Auf Telegram schreibt das russische Verteidigungsministeriums, es sehe aus wie eine geplante Medienkampagne – obwohl Satellitenaufnahmen die Anschuldigungen offenbar belegen und zeigen, dass viele der Leichen schon lange vor dem Abzug der russischen Truppen auf den Straßen Butschas lagen.

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Viele Bilder sind auch aus der Ferne kaum zu ertragen. Der Leichnam eines Zivilisten liegt neben seinem Fahrrad auf einer Straße in der Nähe von Kiew.

Viele Bilder sind auch aus der Ferne kaum zu ertragen. Der Leichnam eines Zivilisten liegt neben seinem Fahrrad auf einer Straße in der Nähe von Kiew.

Die Fotos der Gräueltaten verbreiteten sich nicht nur über zahlreiche Medien, sondern auch in den sozialen Netzwerken in Windeseile. Der Anblick der Leichen geht jedoch nicht spurlos vorüber. Der Kommunikations- und Medienforscher Thomas Hanitzsch spricht im RND-Interview über die Macht der Bilder in der Kriegsberichterstattung.

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„Das macht mit den Menschen sehr viel“

Herr Hanitzsch, Sie forschen im Bereich der Kriegs- und Krisenberichterstattung. Die Anteilnahme und Solidarität scheint im Krieg gegen die Ukraine sehr groß zu sein. Warum wirken diese Bilder so stark auf uns? Weshalb ist die Betroffenheit so groß?

Wir wissen seit längerer Zeit und aus unterschiedlichen Forschungsdisziplinen, dass Bilder sehr stark und sehr eindringlich auf Menschen wirken. Bilder erzeugen das Gefühl, dass das, was man sieht, auch real ist. Diesem Gefühl kann man sich nur schwer entziehen. Dadurch unterscheidet sich die Wirkung von Bildern auch deutlich von Text. In diesem konkreten Fall ist es so, dass solche grausamen Bilder aus dem Krieg auch sehr nachhaltig wirken. Vor allem, wenn Tote, Verletzte und Zerstörung zu sehen sind. Das macht mit den Menschen sehr viel und es werden tief sitzende Instinkte angeregt. Das mag Angst und Furcht sein, aber auch Zorn und Hass. Und natürlich auch Hilfsbereitschaft.

Welche Rolle spielt der psychologische Effekt der „Truthiness“?

Bei Bildern hat man das Gefühl, dass man hier die unmittelbare Realität zu sehen bekommt. Das ist aber nur ein Gefühl, und diesem Gefühl kann man sich schwer entziehen. „Truthiness“ bedeutet, man hat intuitiv das Gefühl, der Realität unmittelbar ins Auge zu sehen.

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Inszenierung und Propaganda

Dem ist aber nicht unbedingt so. Denn der Ukraine-Krieg ist auch ein Propaganda-Krieg, bei dem Bilder gezielt genutzt und eingesetzt werden. Wie wichtig ist die Frage der Inszenierung?

Die Inszenierung ist heutzutage in einer Medienwelt, in der Bilder durch soziale Netzwerke fast unbegrenzt geteilt werden, unglaublich wichtig. Das ist auch der Grund, warum in Russland sehr viele Ressourcen eingesetzt wurden, um den Krieg propagandistisch vorzubereiten. Aber auch der Grund, warum die ukrainische Regierung und Präsident Selenskyj mit der visuellen Darstellung des Krieges und seiner eigenen Person ganz bewusst umgehen.

Man kann mal gegenüberstellen, welche Bilder man in den letzten Tagen gesehen hat. Spontan fällt mir das Bild ein, auf dem Wladimir Klitschko neben Olaf Scholz im Bundeskanzleramt steht. Dieses Bild zeigt, dass sich im Kanzleramt offenbar niemand um die Wirkung der Bilder kümmert. Demgegenüber steht das Bild von Selenskj, der EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola über den Schreibtisch die Hand reicht. Das ist ein sehr starkes Bild. Bilder vermitteln immer eine Botschaft und die Akteure sind sich dessen mehr oder weniger bewusst. Und heutzutage muss man die Wirkung der Bilder mitdenken.

In diesem Bild aus einem Video, das vom Pressebüro des ukrainischen Präsidenten zur Verfügung gestellt wurde, spricht Wolodymyr Selenskyj (2. v. l), Präsident der Ukraine, mit Roberta Metsola (r.), EU-Parlamentspräsidentin, während ihres Treffens.

In diesem Bild aus einem Video, das vom Pressebüro des ukrainischen Präsidenten zur Verfügung gestellt wurde, spricht Wolodymyr Selenskyj (2. v. l), Präsident der Ukraine, mit Roberta Metsola (r.), EU-Parlamentspräsidentin, während ihres Treffens.

Durch Propaganda werden auch gefälschte und bearbeitete Bilder verbreitet, die teilweise täuschend echt aussehen. Wie können Rezipienten damit umgehen und falsche Fotos identifizieren?

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Auf der Rezeptionsseite muss man mehr investieren, um einzuordnen, ob eine visuelle Darstellung glaubhaft und authentisch ist. Zunächst muss man Bilder kritisch dahingehend hinterfragen, ob es auch möglich ist, dass dieses Bild nicht authentisch ist, und dann nachforschen. Wo kommt das Bild her? Welche Quelle ist das? Wie lange existiert der Twitter-Account schon? Das alles lässt sich überprüfen.

Bei der Nutzung von traditionellen Medien sehe ich hier kein Problem. Deutsche Medien gehen sehr bewusst damit um, dass nicht alle Informationen und Bilder aus dem Kriegsgebiet nachprüfbar sind, und setzen deshalb auch häufig den entsprechenden Disclaimer hinter die Inhalte.

Und dennoch bleibt die Frage: Was darf man als Medium zeigen und was nicht? Was ist ethisch vertretbar?

Der Pressekodex fordert dazu auf, bei Bildern von getöteten Menschen sehr vorsichtig zu sein. Man muss sich die Frage stellen: Inwiefern trägt eine solche visuelle Darstellung dem Informationsgehalt bei? Wissen Menschen jetzt mehr, wenn sie auf dem Foto getötete Menschen sehen?

Aber Bilder sprechen doch gerade die emotionale – und weniger die rationale Ebene an.

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Die emotionale Wirkung der Bilder geht der rationalen Verarbeitung voraus. Deswegen haben bestimmte Bilder natürlich eine sehr stark emotionale Wirkung. Bilder aus dem Krieg haben eine sehr nachhaltige Wirkung. Die rationale Verarbeitung der Information geschieht – wenn überhaupt – erst im Nachgang.

Thomas Hanitzsch ist in Dresden geboren und heute Professor in München.

Thomas Hanitzsch ist in Dresden geboren und heute Professor in München.

Nachrichtenkonsum regulieren

Die Rezeption der Kriegsbilder geht also nicht spurlos an den Menschen dabei – und wirkt auch noch nach dem Anblick. Wie viel davon kann man ertragen? Wann sollte man vielleicht lieber wegschauen und den Medienkonsum regulieren?

Das ist personenspezifisch. Alle Nutzenden von Medienangeboten müssen sich die Frage stellen: Was macht der Konsum von gewalthaltigen Bildern mit mir? Wenn man das Gefühl hat, psychisch belastet zu sein, sollte man den Medienkonsum einschränken. Es gibt mittlerweile die Beobachtung, dass sich viele Menschen durch die gefühlt starke Zunahme von schlechten Nachrichten diesen zunehmend entziehen. Weil sie das Gefühl haben, dass der Konsum von schlechten Nachrichten dazu führt, dass sie sich schlecht fühlen. Und wenn man das spürt, ist es an der Zeit, über den eigenen Nachrichtenkonsum nachzudenken und diesen zu regulieren.

Zur Person

Dr. Thomas Hanitzsch ist Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er forscht und lehrt im Bereich Journalismus, Kriegs- und Krisenberichterstattung sowie internationale und vergleichende Kommunikations- und Medienforschung.

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Kommt es in Bezug auf die Kriegsberichterstattung auch zu einer emotionalen Abstumpfung der Rezipienten? Die Bilder- und Informationsflut seit Beginn des Ukraine-Krieges ist enorm.

Das kommt auf das an, was gezeigt wird. Bei Bildern gibt es einen gewissen Gewöhnungseffekt, was den Anblick von Zerstörung angeht. Zerstörte Straßenzüge, ausgebrannte Panzer – an diesen Anblick kann man sich gewöhnen und das tun viele Menschen auch. Woran man sich nur schwer gewöhnen kann, ist der Anblick von getöteten oder verletzten Menschen. Da gibt es keinen Gewöhnungseffekt.

Die Bilder der Gräueltaten von Butscha aktivieren einen Hilfsimpuls, sodass öffentlicher Druck auf die Regierungen entsteht, tatsächlich auch mehr zu unternehmen. Und diesem öffentlichen Druck kann sich die Regierung nicht lange entziehen.

Thomas Hanitzsch

Während die Solidarität und Anteilnahme hier sehr groß ist, versucht die russische Regierung die Bilder geheim zu halten und dementiert alle Anschuldigungen. Wie viel Einfluss haben diese Bilder wirklich auf den Krieg?

Im westlichen Kontext haben sie einen sehr starken Einfluss. Die Bilder der Gräueltaten von Butscha aktivieren einen Hilfsimpuls, sodass öffentlicher Druck auf die Regierungen entsteht, tatsächlich auch mehr zu unternehmen. Und diesem öffentlichen Druck kann sich die Regierung nicht lange entziehen.

In anderen Teilen der Welt werden diese Bilder gar nicht gezeigt, oder es wird die Frage gestellt, ob diese Bilder inszeniert sind. Hier in Europa stellt sich die Situation sehr eindeutig dar. Wenn man die Berichterstattung in China, Indien oder Teilen Afrikas sieht, wird man feststellen: Dort ist es gar nicht so eindeutig.

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