Bidens Sanktionsverzicht: stille Genugtuung in Moskau – vorerst
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Das russische Rohrverlegeschiff „Akademik Tscherski“ liegt im Wismarer Seehafen.
© Quelle: Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dp
Moskau. Offiziell blieb das Triumphgeheul aus. Als sich vergangene Woche in Moskau die Nachricht verbreitete, dass US-Präsident Joe Biden auf Sanktionen gegen die Betreibergesellschaft der Ostseepipeline Nord Stream 2 und deren Geschäftsführer Matthias Warnig verzichten wird, reagierte der Kreml mit gebremster Zustimmung.
Wladimir Putins Sprecher Dmitrij Peskow bezeichnete den Sanktionsverzicht als „positives Signal“, ließ aber gleichzeitig offen, ob der Schritt ausreicht, den russischen Präsidenten zu dem Gipfeltreffen in Europa im Juni zu bewegen, das Biden vorgeschlagen hat.
Als das US-Finanzministerium zwei Tage später zwei russische Unternehmen und 13 Schiffe mit Sanktionen belegte, die am Bau von Nord Stream 2 beteiligt sind, reagierte Moskau ungerührt vom vorherigen positiven Signal der USA mit der üblichen Angriffslust: Solche Aktionen der USA seien schwer begreiflich, sagte Peskow der russischen Nachrichtenagentur Interfax, wenn das Weiße Haus gleichzeitig an einem Gipfeltreffen interessiert sei.
„Wir müssen das erst einmal verstehen“, antwortete der Kremlsprecher auf die Frage, ob mit den neuen Sanktionen das Gipfeltreffen unwahrscheinlicher geworden sei. „Es ist wie immer mit unseren westlichen Gesprächspartnern, sie sagen das eine und tun das andere.“
Ein unverhoffter Erfolg für Russland
Es war das übliche Quid pro quo im angespannten Verhältnis der beiden Staaten. Wie immer ließ der Kreml neue US-Sanktionen nicht kommentarlos auf sich sitzen. Deswegen hätte Peskow niemals offen verlauten lassen, dass die Strafmaßnahmen gegen die russischen Schiffe, mit denen die Biden-Administration vor allem ihre Verpflichtungen gegenüber dem US-Kongress einhält, Moskau kaum wehtun.
Indirekt räumte er es allerdings ein, indem er im selben Atemzug ankündigte, dass Nord Stream 2 in jedem Fall zu Ende gebaut werde. Das hätte er womöglich auch getan, wenn die Betreibergesellschaft Nord Stream 2 AG und der frühere Stasi-Offizier und Putin-Vertraute Warnig von den USA sanktioniert worden wären. Doch dann hätte seine Ankündigung bei Weitem nicht so realistisch geklungen, wie sie es nun tat.
In Wahrheit ist der Verzicht der USA auf entscheidende Zwangsmaßnahmen gegen Nord Stream 2 also ein unverhoffter Erfolg für Russland, das sich aber einem Land gegenüber nicht allzu offen dankbar zeigen will, das es gerade erst auf die Liste unfreundlicher Länder gesetzt hat.
Wie groß die Genugtuung Moskaus darüber ist, das Projekt jetzt wohl doch durchsetzen zu können, ließ sich allerdings aus kremlnahen Medien herauslesen. Das offizielle Berlin hatte sich über den Sanktionsverzicht der USA mit diplomatischer Klugheit nur verhalten zufrieden geäußert. Die Aussagen von Außenminister Heiko Maas etwa taugten kaum für Zitate, aus denen Triumphgefühle herauszulesen waren.
Das war wohl der Grund, warum das staatliche Propagandaportal Sputnik dem AfD-Bundestagshinterbänkler Heiko Heßenkemper und dessen Euphorie über die Entscheidung viel Raum gab: „Aus meiner Sicht überwiegt die normative Kraft der realwirtschaftlichen Argumente“, zitierte Sputnik den AfD-Politiker, „denn nicht nur Deutschland braucht russisches Erdgas für seine Energiewende, sondern auch andere Länder wie die Niederlande.“ Nord Stream 2 werde aus seiner Sicht fertiggestellt werden, und die Beziehungen würden sich wieder normalisieren.
„So ist Realpolitik“
Weitere staatsnahe Medien wie die Tageszeitung „Iswestija“ oder das reichweitenstarke Nachrichtenportal Rambler.ru beteten Heßenkempers Aussagen gegenüber Sputnik nach, was für die Politologin Lilija Schewzowa ein Indiz dafür ist, dass der Kreml Nord Stream 2 nach seiner Fertigstellung noch propagandistisch ausschlachten wird: „Die Pipeline wird ein Symbol dafür sein, die Oberhand über die USA behalten zu haben“, sagte sie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Die oppositionellen Medien in Russland betonten hingegen die parteiübergreifende Kritik an Bidens Sanktionsverzicht in den USA: „Atemberaubend. Entgegen herrschendem US-Recht hilft Biden dem russischen Präsidenten Putin, seine Pipeline zu bauen“, zitierte etwa die „Nowaja Gaseta“ den sarkastischen Tweet des republikanischen Senators Ted Cruz.
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Gleichzeitig betonte die kremlkritische Zeitung, dass auch der demokratische Senator Bob Menendez Bidens Entscheidung scharf missbilligt habe: „Ich bin gegen die Entscheidung der Biden-Administration“, zitierte die „Nowaja Gaseta“ den Parteifreund des US-Präsidenten, „die Sanktionen gegen die Nord Stream 2 AG und Matthias Warnig aufzuheben. Ich sehe nicht, wie die heutige Entscheidung zu den Bemühungen der USA beitragen wird, der russischen Aggression in Europa entgegenzuwirken.“
„Aus Sicht der russischen Opposition beugt sich Biden mit seiner Entscheidung dem Kreml“, erklärt Schewzowa. „Doch so ist Realpolitik: Er macht Putin ein Geschenk und hofft nun auf ein Entgegenkommen der Gegenseite.“