Bidens nette neue Weltordnung

„Keine Armee der Welt kann die elektrische Energie der Freiheit aufhalten“: Joe Biden, gewählter Präsident (President elect) der Vereinigten Staaten von Amerika.

„Keine Armee der Welt kann die elektrische Energie der Freiheit aufhalten“: Joe Biden, gewählter Präsident (President elect) der Vereinigten Staaten von Amerika.

Liebe Leserinnen und Leser,

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wenn Menschen einander in neuen Rollen begegnen, gibt es „defining moments“. Einer blickt gespannt auf den anderen: Was sagt er? Wie sagt er es? Will er Übereinstimmung oder Distanz?

Jede erste Bewegung, jede erste Bemerkung kann die Art der Beziehung für lange Zeit definieren.

Nicht anders ist es in der Staatenwelt. Joe Biden und sein Team hören in diesen Tagen genau hin, was so alles gesagt wird. Es ist eine Phase, in der jedes Wort auf der Goldwaage landet.

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Schon die Frage, ob, wann und wie diese oder jene Regierung Biden zum Wahlsieg gratuliert, ist von Bedeutung. Russland hat sich dazu bislang noch immer nicht durchringen können. China immerhin ging am heutigen Freitagmorgen durchs Ziel. „Wir respektieren die Wahl, die das amerikanische Volk getroffen hat“, erklärte ein Außenamtssprecher.

Die Schicksalswahl

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Volle Punktzahl für die Deutschen

Die 27 EU-Staaten waren diesmal mutiger denn je. Anders als bei früheren US-Wahlen warteten die Europäer nicht die „Concession“-Erklärung des Unterlegenen ab, mit der der Sieg des anderen anerkannt wird. Dass man darauf im Fall von Donald Trump ewig warten kann, ahnten die Brüsseler – und machten kurzen Prozess. „Wir haben auf ungewöhnliche Weise auf eine ebenso ungewöhnliche Konstellation reagiert“, freute sich EU-Ratspräsident Charles Michel, der die Sache koordinierte.

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Deutschland beließ es nicht bei den im Verein mit anderen Europäern schriftlich abgesandten Grüßen. Angela Merkel trat zusätzlich noch mal vor die blaue Pappwand im Kanzleramt, um vor Fernsehkameras Joe Biden und Kamala Harris auffallend herzlich zu gratulieren. Das war am Montag. Am Dienstag meldete sich dann Biden das erste Mal seit der Wahl telefonisch bei Merkel. Tempo, Nähe, Herzlichkeit, erster Austausch am Telefon: Deutschland hat sich mit der vollen Punktzahl einen Spitzenplatz gesichert, neben Frankreich und Großbritannien.

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Eine zweite Gruppe besonders früher und rühriger Gratulanten gibt es im Pazifik. „Katchi kapshida!“, twitterte begeistert Moon Jae-in, der Präsident von Südkorea: Lasst es uns zusammen anpacken. Ähnlich warm und herzlich klangen die Botschaften von Yoshihide Suga, dem liberaldemokratischen Premier von Japan, von Scott Morrison, dem konservativen Premier von Australien, und von Jacinda Ardern, der Labour-Regierungschefin von Neuseeland. Die Neuseeländerin fügte noch hinzu: „Die Botschaft der Einigkeit, für die Joe Biden und Kamala Harris stehen, ist eine, die wir als Neuseeländer teilen.“

„Die Botschaft der Einigkeit, für die Joe Biden und Kamala Harris stehen, ist eine, die wir als Neuseeländer teilen.“: Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern.

„Die Botschaft der Einigkeit, für die Joe Biden und Kamala Harris stehen, ist eine, die wir als Neuseeländer teilen.“: Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern.

China zeigte sich zur gleichen Zeit immer noch gefühlsarm. „Ich habe zur Kenntnis genommen, dass Mr. Biden erklärt, er habe die Wahl gewonnen“, schwurbelte der Sprecher des Auswärtigen Amtes in Peking, Wang Wenbin, zu Beginn der Woche. „Nach unserem Verständnis wird das offizielle Resultat noch bekannt gegeben, gemäß den amerikanischen Gesetzen und Verfahrensvorschriften.“ Erst am Freitag schaffte Wang Wenbin die Wende und gratulierte „Herrn Biden und Frau Harris“.

Auch Russland mochte sich nicht klar äußern. „Wir glauben, dass es angemessen ist, die letzten Auszählungen abzuwarten“, klügelte Kremlsprecher Dmitri Peskov mit gespielter Korrektheit. Im Jahr 2016 hatte, auffallend früh, Wladimir Putin persönlich dem damaligen Wahlsieger Donald Trump gratuliert.

Neue Weltformel: USA plus 27 plus 1 plus 4

Auf den ersten Blick mag all dies erscheinen wie eine bloße Sammlung mehr oder weniger freundlicher Gesten. Doch es ist weit mehr, eine Art Computertomografie der Weltpolitik, ein globaler Scan von geradezu kurioser Präzision.

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Die Türkei zum Beispiel, die vor lauter Egozentrik kaum noch weiß, wohin sie gehört, gratulierte 48 Stunden nach den EU-Europäern. Das ist besser als gar nichts, doch damit erntet sie bei den neuen Mächtigen in Washington statt Sympathie nur hochgezogene Augenbrauen.

Zu einer weltweit unübertroffenen Ignoranz gegenüber dem Biden-Sieg steigerte sich Nordkorea. Dort schaffte es die Tatsache, dass in den USA überhaupt Wahlen stattgefunden haben, noch nicht mal in die staatlich kontrollierten Fernsehnachrichten. Als einzigen Gruß aus Nordkorea an die neue Führung in Washington erwartet man in der Washingtoner Denkfabrik Brookings in den kommenden Wochen einen Atomraketentest.

„Ich habe zur Kenntnis genommen, dass Mr. Biden erklärt, er habe die Wahl gewonnen“: Chinas Außenamtssprecher Wang Wenbin zu Beginn dieser Woche.

„Ich habe zur Kenntnis genommen, dass Mr. Biden erklärt, er habe die Wahl gewonnen“: Chinas Außenamtssprecher Wang Wenbin zu Beginn dieser Woche.

Reiht man indessen die schnellen atlantischen und pazifischen Gratulanten aneinander, formiert sich exakt jene Gruppen von Staaten, die im Biden-Team schon seit geraumer Zeit als mögliche neue globale Allianz betrachtet wird, der bestimmte Dinge wichtig sind: Freiheit und Menschenwürde, freie Wahlen und die Bindung aller Staatsgewalt ans Recht.

Zeitweise dachte man im Laufe der letzten vier Jahre schon, diese Art zu denken gerate weltweit ins Hintertreffen. Doch plötzlich scheinen die Autoritären wieder in die Defensive zu geraten. Für China und Russland wäre es keine gute Nachricht, wenn sich bald alle dezidiert freiheitsliebenden Staaten dieser Welt verbünden: die USA, die 27 EU-Staaten und Großbritannien sowie Südkorea, Japan, Australien und Neuseeland.

Ein Gipfel für die wiederentdeckte Demokratie

In einem Beitrag für das Magazin „Foreign Affairs“ schrieb Joe Biden: „Während meines ersten Amtsjahrs als Präsident werden die USA zu einem Gipfel für Demokratie einladen.“ Der Aufsatz erschien schon im März, damals lächelten viele nur milde darüber. Inzwischen aber scheinen alle, die es angeht, Peking und Moskau vorneweg, den Text nachgelesen zu haben. Biden kündigt darin eine härtere Linie gegenüber China an und nimmt ausdrücklich auch Wladimir Putin auseinander, der gesagt hatte, die Idee einer freien Welt habe sich erledigt.

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Keine Armee der Welt, schreibt Biden, könne die elektrische Idee der Freiheit aufhalten: „Sie geht weiter von Mensch zu Mensch, überspringt Grenzen, durchdringt Sprachen und Kulturen und lädt ganze Gemeinschaften von Menschen auf mit neuer Kraft zu Veränderung.“

Das ist exakt das Letzte, was man in Russland und China hören will. Fast hört es sich an wie Ronald Reagan reloaded: Als rüttele da erneut ein selbstbewusster, in sich ruhender Amerikaner an der einen oder anderen Mauer. Entsprechend ist jetzt in Moskau und Peking die Stimmung.

Bevor Biden demnächst lange grübelt, wen er einladen könnte zum globalen demokratischen Sommerfest, kann er einfach die nettesten Glückwünsche durchgehen und auf die Absender gucken. Normale Menschen machen es so ähnlich.

Wahn und Wahrheit nach der Wahl

Donald Trump zieht weiterhin die Authentizität des Wahlergebnisses in Zweifel – ohne einen einzigen Beleg für irgendeine Regelverletzung vorlegen zu können.

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In Wahrheit handelte es sich sogar um die sicherste Wahl der amerikanischen Geschichte – diese Formulierung wählten soeben die für die Integrität der Wahl zuständigen obersten Beamten der USA in einer gemeinsamen Erklärung, die in der Nacht zu Freitag veröffentlicht wurde. Wörtlich schreiben die Beamten der Cybersecurity and Infrastructure Security Agency: „Es gibt keine Hinweise darauf, dass ein Abstimmungssystem Stimmen gelöscht oder verloren, Stimmen geändert oder in irgendeiner Weise kompromittiert hat.“

Trotz dieser Klarheit will Trump nun die Realität vernebeln, wie beim Klimawandel und bei der Covid-19-Katastrophe. Dabei hilft ihm, dass sich bei vielen Menschen, auch in Europa, zunächst nur die verwirrenden ersten Eindrücke aus der Wahlnacht ins Gedächtnis eingebrannt haben. Trump erschien am Wahlabend anfangs stärker, als er am Ende war, weil die Briefwahlen noch nicht ausgezählt waren, bei denen der Anteil der Demokraten – wie allseits prognostiziert – sehr viel höher lag. Dieser Dreh ändert nichts am Ergebnis.

Ein klarer Regierungsauftrag für Biden

Heute, zehn Tage nach der Wahl vom 3. November, ist es geboten, einmal tief durchzuatmen und die über den Tag hinaus bedeutsamen und unumstößlichen Fakten und Zahlen sacken zu lassen.

  1. Biden hat die Wahl klar gewonnen. Im Wahlleutegremium liegt Biden aktuell mit 290 zu 217 Stimmen uneinholbar vor Trump. Offen sind nur noch Georgia und North Carolina. Wenn beide jeweils den Staat gewinnen, in dem sie derzeit vorn liegen, geht Georgia (16) an Biden, und North Carolina (15) an Trump. Das Endergebnis hieße dann 306 zu 232.
  2. Biden hat ein Rekordergebnis. Anders als Trump vor vier Jahren liegt Biden nicht nur bei den Wahlleuten vorn, sondern auch bei den bundesweit abgegebenen Stimmen (popular vote). Biden hat fast fünf Millionen Stimmen mehr bekommen als Trump (77,7 zu 72,4 Millionen) – und zugleich mehr als jeder US-Präsident vor ihm. Trump verweist darauf, er habe Stimmen hinzugewonnen – was auch stimmt. Doch Biden hat nun mal deutlich mehr Stimmen hinzugewonnen. Die Polarisierung hat zu einer Kraftprobe geführt, die die US-Demokraten gewonnen haben.
  3. Die Wahlbeteiligung hat Rekordniveau. Nach den bisherigen Auszählungen ergibt sich eine Wahlbeteiligung von 63,9 Prozent. Das ist ein für amerikanische Verhältnisse sehr hoher Wert – der höchste seit dem Jahr 1908.

Die Kombination all dieser Zahlen hilft bei der Gesamtbewertung der Lage – und des ebenso absurden wie destruktiven Verhaltens von Trump. Wenn in einem demokratischen Land mehr Menschen als beim letzten Mal zur Wahl gehen und dann eine so klare Entscheidung treffen, muss der Abgewählte sich beeilen, das Ergebnis anzuerkennen. Wer vor diesem Hintergrund noch von Betrug spricht, will selbst betrügen.

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Unsere Leseempfehlungen

Paarsein im Weißen Haus: Jill Biden, Ehefrau des künftigen Präsidenten, und Doug Emhoff, Ehemann der künftigen Vizepräsidentin, stehen nicht so sehr im Rampenlicht wie ihre prominenten Partner. Doch im Hintergrund spielen die neue First Lady und der künftige Second Gentleman für die neue US-Regierung eine wichtige Rolle. Unser Washingtoner Korrespondent Karl Doemens beschreibt, wie die promovierte Lehrerin und der erfolgreiche Anwalt bisherige Rollenklischees durchbrechen.

Der lärmende Verlierer: Der scheidende US-Präsident feuert seinen Verteidigungsminister, setzt Staatsanwälte in Marsch und wiegelt seine Anhänger auf. Den Wahlsieger Joe Biden will Donald Trump auf keinen Fall anerkennen. Viele Beobachter fürchten: Die letzten beiden Amtsmonate Trumps werden unerfreulich und gefährlich.

Der leise Gewinner: Während Donald Trump im Weißen Haus wütet, gibt sich Joe Biden in Wilmington demonstrativ staatsmännisch-gelassen. Keinesfalls will er sich in eine Schlammschlacht mit dem Amtsinhaber ziehen lassen. Doch seine geringe öffentliche Präsenz sorgt auch für Kritik.


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Zitat der Woche

Verfolgt Donald Trump mit seinem Wahlbetrugsvorwurf eine umfassende Strategie? Ich glaube nicht. Es wäre ja auch das erste Mal in den vier Jahren seiner Präsidentschaft, dass er eine Strategie hat. Er guckt von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, was sich ergibt. Und die Welt erlebt jetzt einen amerikanischen Präsidenten, der sich noch weiter von der Realität entfernt hat als je zuvor.

John Bolton,

Nationaler Sicherheitsberater im Weißen Haus unter Trump von April 2018 bis September 2019

Letzte Schlacht in Georgia: Wer gewinnt den Senat?

Am 5. Januar finden in Georgia die Stichwahlen zum Senat statt. Gegen die republikanische Senatorin Kelly Loeffler tritt der demokratische Herausforderer Raphael Warnock an, gegen den zweiten republikanischen Senator aus Georgia, David Perdue, kandidiert der Demokrat Jon Ossoff.

Ein Alt-Präsident hilft einem möglichen neuen Senator: Barack Obama (59) und Jon Ossof (33), Kandidat der Demokraten in Georgia für die Stichwahl zum Senat am 5. Januar.

Ein Alt-Präsident hilft einem möglichen neuen Senator: Barack Obama (59) und Jon Ossof (33), Kandidat der Demokraten in Georgia für die Stichwahl zum Senat am 5. Januar.

Georgia ist traditionell ein schwieriges Pflaster für die Demokraten. Da diese beiden Rennen jedoch über die künftigen Mehrheitsverhältnisse im Senat entscheiden könnten, sind inzwischen bereits PR-Profis beider Seiten in Georgia eingetroffen, mit Koffern voller Geld: Demokraten und Republikaner werden sich allein dieses Kräftemessen einen jeweils dreistelligen Millionenbetrag kosten lassen.

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Sollte der Senat weiterhin von den Republikanern dominiert werden, hätten es die Demokraten schwer, unter anderem Steuererhöhungen und Green-New-Deal-Gesetze auf den Weg zu bringen. Auf der Seite der Republikaner will sich der jetzige Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, persönlich um die Wahlkampffinanzierung kümmern, mit einem Political Action Committee (PAC) namens „Senate Leadership Fund“. Erwartet werden gigantische Summen von wohlhabenden privaten Spendern und aus der Industrie. Doch auch die Demokraten sind nicht faul: Laut NBC News haben schon diverse Medienmogule und Silicon-Valley-Investoren ihre Schatullen geöffnet.

What’s next? Fahrplan zum Machtwechsel

Am 14. Dezember 2020 kommen die Wahlleute im Electoral College zusammen und wählen den Präsidenten.

Der 20. Januar 2021 ist der Tag der Amtseinführung des Präsidenten in Washington.

Wann lenkt Trump ein? Mit welchem Team geht Biden an den Start? Und wie wird sich mit einer neuen Führung in Washington die Welt verändern? Die Lage in den USA bleibt spannend und wir bleiben für Sie am Ball.

Stay tuned!

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Matthias Koch

PS: Alle Infos zur US-Wahl finden Sie jederzeit auf unserer Themenseite.

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