Auch im Regierungsviertel gilt: Kleider machen Leute
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Die Bundesregierung nach ihrer Klausur auf Schloss Meseberg vor ein paar Wochen.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Liebe Leserin, lieber Leser,
kürzlich war ich bei einem befreundeten Ehepaar. Der Mann gehört der SPD an und bekleidete lange ein öffentliches Amt in der Provinz; seine Frau sympathisiert zumindest mit der Partei. Wir sprachen über die grüne Außenministerin Annalena Baerbock. Und meine Freunde sagten, ihr Auftreten erinnere sie manchmal zu sehr „an eine Modenschau“. Ich äußerte Verständnis – für diese Einschätzung wie auch für Baerbocks Auftreten. Schließlich habe man ja an Angela Merkels Frühzeit gesehen, wie sehr Äußerliches bei der Bewertung von Spitzenpolitikern eine Rolle spiele, sagte ich.
Kürzlich war ich dann im Bundestag unterwegs und bekam zufällig mit, dass eine andere Ministerin ihr Büro anrief, weil sie ihr Kleid bekleckert hatte. Da musste ich wieder an meine Freunde denken. Sie hatten mir nämlich noch eine Frage gestellt, die ich nicht beantworten konnte: Wie prominente Politikerinnen und Politiker, die ja viel unterwegs sind und jederzeit frische und moderne Klamotten brauchen, das eigentlich organisieren.
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Der damalige Außenminister Heiko Maas bei einem Besuch in New York.
© Quelle: Michael Kappeler/dpa
Vordergründig heißt es ja immer, dass es bei Politik ausschließlich um Inhalte gehe und Äußerlichkeiten keine Rolle spielten. Und wenn sie eine Rolle spielten, dann nur bei Frauen. Beides ist ziemlicher Quatsch. Generell gilt in der Politik, was auch sonst im Leben gilt: Kleider machen Leute. Und: Gut aussehende Menschen haben es leichter.
Nach Merkels Wahl zur CDU-Vorsitzenden im April 2000 wurde immer wieder über ihre Frisur gelästert. Irgendwann gab Merkel klein bei und ließ sich stylen. Beim ehemaligen Außenminister Heiko Maas (SPD) waren stets dessen sehr enge Jacketts Grund für Getuschel. Beim grünen Vizekanzler Robert Habeck unterliegen ebenfalls nicht allein die Inhalte einer Benotung, woran er nicht ganz unschuldig ist. Weichen Politiker, die oft eitel sind, äußerlich von der Norm ab, wird dies bemerkt und im Zweifel kommentiert. Diese wissen das natürlich und richten sich danach – in die eine oder andere Richtung.
Dass Klamotten zählen, musste schmerzlich auch Christine Lambrecht erfahren. Dass die Verteidigungsministerin in einem Nagelstudio gesichtet wurde, legte man ihr ebenso zur Last wie Pumps beim Truppenbesuch. Lambrecht hat sich darüber erkennbar geärgert. Erst kürzlich sagte die Sozialdemokratin, sie wolle nicht an ihren Schuhen gemessen werden.
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Anton Hofreiter provoziert mit seinem unmilitärischen Haarschnitt.
© Quelle: imago images/Chris Emil Janßen
Neu ist, dass andere Politiker das Äußere zum Gegenstand von Beleidigungen machen. Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) sagte unlängst über Grünen-Chefin Ricarda Lang, früher seien „Dick und Doof zwei Personen“ gewesen. Später meinte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) über den einstigen Grünen-Fraktionsvorsitzenden Anton Hofreiter sagen zu dürfen: „Ich glaube Anton Hofreiter erst dann, dass er für die Bundeswehr ist, wenn er sich endlich einen ordentlichen militärischen Haarschnitt zulegt.“ Der CDU-Parteitag war sich nicht zu dumm, diese Dummheit zu beklatschen.
Gnadenlos persönlich wurde zuletzt Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP), der nicht zum ersten Mal über Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) herzog, indem er sagte: „Isst kein Salz, isst keinen Zucker, trinkt keinen Alkohol, hat keine Freundin. Was hat er dann vom Leben?“
So lange Unpolitisches zum politischen Kriterium gemacht wird, tun die Betroffenen jedenfalls gut daran, ihr Bild in der Öffentlichkeit genau zu kontrollieren. Das gilt für Annalena Baerbock. Aber es gilt keineswegs für sie allein.
Bittere Wahrheit
„Wir befinden uns in einer ökonomischen Krise, die größer ist als bei Corona, deshalb braucht es jetzt auch finanzpolitisch eine große Lösung – und nicht nur kleines Besteck.“
Markus Söder,
bayerischer Ministerpräsident
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Markus Söder will das große Besteck auspacken.
© Quelle: IMAGO/Sammy Minkoff
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will ungeachtet der durch den russischen Angriff auf die Ukraine ausgelösten Energiekrise im kommenden Jahr keine neuen Schulden mehr machen. Sozialdemokraten und Grüne bezweifeln, ob ihm das gelingt. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bezweifelt es ebenfalls. Nun hat sein baden-württembergischer Amtskollege Winfried Kretschmann (Grüne) zwar mal gesagt, Söder rede viel, wenn der Tag lang ist. Das stimmt. Doch jetzt hat der Bayer Recht. Vermutlich weiß Lindner das längst.
Wie das Ausland auf die Lage schaut
Die liberale slowakische Tageszeitung „Dennik N“ fordert entschlossenere Panzerlieferungen Deutschlands an die Ukraine:
„Der ukrainische (Außen-)Minister Dmytro Kuleba hat es auf Twitter am treffendsten formuliert: ‚Wovor fürchtet sich Berlin, wenn sich Kiew nicht fürchtet?‘ Kuleba und seine Landsleute feiern mit ihren Freunden aus der ganzen Welt den heldenhaften Sieg der ukrainischen Streitkräfte über die russischen Okkupanten in Charkiw. Diese atemberaubenden taktischen Erfolge zeigten, dass die Ukrainer nicht nur den Mut und die Tapferkeit haben, sondern auch die militärischen Fähigkeiten, um die immer mehr demoralisierten russischen Invasionskräfte zu besiegen – unter der Voraussetzung, dass sie auch die modernsten Waffen in ihre Hände bekommen.
Und damit kommt Deutschland ins Spiel, das eine Vielzahl erstklassiger Kampfpanzer Leopard und auch kleinere Panzer Marder hat, die Kiew schon seit März fordert. Scholz und andere Deutsche befürchten, was wir alle befürchten: Dass der wie eine Ratte in die Ecke getriebene (russische Präsident Wladimir) Putin den Krieg ausweiten und gar taktische Atomwaffen einsetzen könnte. Natürlich muss dieser Krieg diplomatisch beendet werden. Aber das ist erst möglich, wenn die Ukrainer sich auf dem Schlachtfeld durchsetzen. Dabei kann Deutschland helfen. Darum muss es das auch tun.“
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Wladimir Klitschko und Olaf Scholz – „Wovor fürchtet sich Berlin, wenn sich Kiew nicht fürchtet?“, fragt der ukrainische (Außen-)Minister Dmytro Kuleba.
© Quelle: IMAGO/Future Image
Das „Wall Street Journal“ aus den USA schreibt zum selben Thema:
„Eine Liste der Mysterien der Welt könnte beinhalten: Was war der Zweck von Stonehenge? Was ist der Ursprung der dunklen Materie im Universum? Und warum in aller Welt zögert der deutsche Kanzler Olaf Scholz Panzerlieferungen an die Ukraine hinaus?
Herr Scholz bremst bei der Lieferung neuer Panzer, während Kiew den Westen um die Waffen bittet, um den Schwung der jüngsten Fortschritte gegen die russischen Angreifer zu nutzen. Berlin versprach im April die Lieferung von Gepard-Luftabwehrpanzern und wartete dann bis Juli, um damit zu beginnen.
Deutschland könnte auch seine Marder-Schützenpanzer und Leopard-Kampfpanzer schicken. Und ein wachsender Chor deutscher Politiker und ausländischer Verbündeter spricht sich dafür aus, dass Herr Scholz dies tun sollte. Der beste Weg für Deutschland und Europa besteht darin, dass die Ukraine weiterhin auf dem Schlachtfeld gewinnt, damit (Russlands Präsident Wladimir) Putin gezwungen sein wird, sich zurückzuziehen oder aus Schwäche heraus zu verhandeln. Scholz‘ Zögern ist eine Gefahr für die Ukraine und die Nato und ein Schandfleck für einen Kanzler, der vor sechs Monaten ein mutigeres Deutschland versprochen hat.“
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Das Autorenteam dieses Newsletters meldet sich am Donnerstag wieder. Dann berichtet meine Kollegin Eva Quadbeck. Bis dahin!
Herzlich
Ihr Markus Decker
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