Auch Rechtsextreme und „Reichsbürger“

Wer in Berlin für Verhandlungen mit Russland demonstriert hat

Teilnehmer einer Demonstration für Verhandlungen mit Russland stehen vor dem Brandenburger Tor.

Teilnehmer einer Demonstration für Verhandlungen mit Russland stehen vor dem Brandenburger Tor.

Berlin. Da sind sie, die Geister, die man rief: Noch bevor die Kundgebung von Sahra Wagenknecht, Alice Schwarzer und Erich Vad am Samstagnachmittag beginnt, will sich auch eine Gruppe Rechtsextremer rund um den Chef­redakteur des vom Verfassungs­schutz beobachteten „Compact“-Magazins vorm Brandenburger Tor dazugesellen. Sie haben Plakate mitgebracht, auf denen eine Titelseite des rechtsextremen Magazins mit dem Antlitz der Linken-Politikerin Wagenknecht zu sehen ist.

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Wagenknecht hatte im Vorfeld betont, wer für den Frieden sei, der sei bei ihrem Protest willkommen. Rechtsextreme Fahnen und Symbole seien jedoch unerwünscht. Die Veranstalter wollen Elsässer und seine Leute dann aber doch nicht bei sich haben. Als sie auftauchen, bittet die Versammlungs­leiterin, die Linken-Bundestags­abgeordnete Sevim Dagdelen, die Polizei, sie von der Kundgebung auszuschließen. Die Beamten sehen dafür jedoch keine rechtliche Handhabe.

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Also drängen ein paar Dutzend linker Demonstranten die Rechten eigenhändig an den Rand und versperren mit Plakaten und Transparenten die Sicht auf sie. Immer wieder sind laute Sprechchöre wie „Nazis raus“ zu hören.

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Kommt es also doch nicht zu befürchteten Querfront bei der „Friedensdemo“, die sich gegen Waffen­lieferungen an die Ukraine richtet? Ganz so einfach ist es nicht.

Die umstehenden Demonstranten und Demonstrantinnen sind sich keineswegs einig, wie mit den äußerst rechten Demo­teilnehmern und ‑teilnehmerinnen zu verfahren ist. Während ein Demonstrant durch ein Megafon vor ihnen warnt, steht gleich neben ihm ein Mann, der mit seinem Plakat fordert, die „Links-rechts-Spaltung“ zu überwinden. Heutzutage werde man schnell als rechtsextrem bezeichnet, beklagt er. Er selbst sei „eigentlich ein alter Linker“, aber wolle das „Links-rechts-Denken“ nicht mehr mitmachen, sagt er. Wer für den Frieden sei, müsse miteinander reden.

Etwa 13.000 Menschen sind laut Polizei­angaben am Samstag zusammen­gekommen. Die Veranstalterinnen und Veranstalter selbst sprechen dagegen von 50.000.

Auf der Bühne sprechen Wagenknecht, Schwarzer und der Ex-Brigade­general Erich Vad neben mehreren anderen Rednerinnen und Rednern. Wagenknecht spricht sich in ihrer Rede erneut für einen Stopp der Waffen­lieferungen an die Ukraine aus. „Mit jeder Waffe, die wir in das Pulverfass liefern, wächst die Gefahr eines Weltkriegs. Das muss enden, und das ist keine Putin-Propaganda“, sagt die Linken-Abgeordnete. Bundes­außenministerin Annalena Baerbock trampele „wie ein Elefant im Porzellanladen“ über das internationale Parkett. Das Publikum quittiert das mit lauten „Buh“- und „Baerbock raus“-Rufen. Alice Schwarzer warnt vor einem sich noch länger hinziehenden Abnutzungskrieg. Ein Krieg gegen die Atommacht Russland könne nicht gewonnen werden, sagt sie. Deshalb müsse dringend verhandelt werden.

Per Video wird auch ein Redebeitrag des US-Ökonomen Jeffrey Sachs eingespielt. Sachs sieht die USA als Haupt­verantwortliche des Kriegs in der Ukraine. Die ukrainischen Maidan-Proteste im Jahr 2014 bezeichnet er als von den USA unterstützten Putsch – und als eigentlichen Kriegsbeginn. Russland sei im vergangenen Februar in die Ukraine einmarschiert, weil die USA nicht verhandlungs­bereit in Sachen Nato-Osterweiterung gewesen seien. Wer Aggressor ist und wer Angegriffener – das geht hier munter durcheinander.

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Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Kundgebung sind viele, die der Ukraine, den USA und der Nato nicht nur eine Mitschuld am Krieg zuschreiben, sondern die Russlands Invasion als reine Selbst­verteidigung sehen.

„Immer wenn man jemanden angreift, ist er gezwungen, sich zu verteidigen“, sagt einer, der eine große deutsch-russische Fahne mitgebracht hat – und die er auf Geheiß eines Ordners der Kundgebung wieder einrollt. Russland würde auch von den deutschen Medien grundlos dämonisiert, beklagt er. Auf russische Kriegs­­verbrechen angesprochen, will er lieber über „Kriegs­verbrechen der Amerikaner“ reden. Der Mann, der mit einigen Gleichgesinnten nach Berlin gekommen ist, heißt Wjatscheslaw Seewald und wird vom bayerischen Verfassungs­schutz als „Reichsbürger“ beobachtet. Auf seiner deutsch-russischen Fahne sind passenderweise die Farben der deutschen Nationalfahne auf den Kopf gestellt – ein Erkennungs­zeichen der „Reichsbürger“-Szene. Seewald verbreite antisemitische Verschwörungs­erzählungen, hält der bayerische Verfassungsschutz­bericht fest.

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Und er ist nicht der einzige „Reichsbürger“ auf der Kundgebung. An mehreren Stellen sind „Reichsbürger“-Plakate oder Symbole der QAnon-Verschwörungs­erzählung zu sehen. Auch die AfD ist – wie vorab angekündigt – vertreten. Der sächsische Landes­vorsitzende Jörg Urban nimmt an der Kundgebung ebenso teil wie der besonders russlandnahe Berliner AfD-Politiker Gunnar Lindemann. In der Masse der Demonstranten und Demonstrantinnen werden zahlreiche herzförmige „Friedensplakate“ der AfD hochgehalten.

Als die Kundgebung gerade endet, hält neben der Bühne ein Mann ein Plakat hoch, das auf Neonazis im ukrainischen Militär verweist. „Und wir für Frieden sind Nazis?“ steht außerdem darauf. Kaum mehr als einen Meter daneben steht Nikolai Nerling, ein wegen Holocaust­leugnung verurteilter Neonazi und Videoblogger.

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Die Rechten und Rechtsextremen sind hier keineswegs in der Überzahl. Die Mehrheit der Demonstranten und Demonstrantinnen dürfte sich eher als Teil der klassisch linken Friedens­bewegung begreifen. Doch die Abgrenzung nach rechts bleibt an diesem Samstag­nachmittag überaus lückenhaft.

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