Berg-Karabach: „Ein friedliches Miteinander ist möglich“
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1. Dezember 2020: Aserbaidschanische Soldaten tragen ihre Nationalflagge, während sie die Rückgabe der Region Latschin feiern. Nach sechs Wochen heftiger Kämpfe gab Armenien im Rahmen eines von Russland vermittelten Friedensabkommens die Kontrolle über mehr als 120 Ortschaften ab.
© Quelle: Emrah Gurel/AP/dpa
Berlin. Im Konflikt um die Kaukasusregion Berg-Karabach lehnt Aserbaidschan ein von Armenien gefordertes Referendum strikt ab. „Das ist unser Land, unser international anerkanntes Territorium und es stellt sich gar nicht die Frage einer Abstimmung“, sagte der Botschafter Aserbaidschans in Berlin, Ramin M. Hasanov, im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Waffenstillstand unter Vermittlung Russlands
Der Konflikt begann nach dem Zerfall der Sowjetunion und eskalierte in einem Krieg, bei dem armenische Truppen 1994 Berg-Karabach und sieben weitere angrenzende Gebiete Aserbaidschans besetzten und fortan kontrollierten. Im vergangenen Jahr eroberte Aserbaidschan in einem 44 Tage dauernden Krieg große Teile der von Armeniern besetzten Gebiete zurück. Am 9. November 2020 wurde unter Vermittlung Russlands eine Waffenstillstandserklärung unterzeichnet, die auch eine politische Lösung des Konflikts ermöglichen soll. Wir sprachen dazu mit Botschafter Hasanov.
Herr Hasanov, warum lehnt Aserbaidschan ein Referendum ab?
Warum sollte ein Referendum abgehalten werden? Es gibt nichts abzustimmen. Die Frage stellt sich nicht und ein Referendum ist ausgeschlossen.
Und nun hat Aserbaidschan mit einem Krieg neue Fakten geschaffen.
Obwohl die Region Berg-Karabach und sieben weitere Gebiete der Republik Aserbaidschan vor 30 Jahren von Armenien okkupiert worden waren, blieben sie immer völkerrechtlich Bestandteil Aserbaidschans. Es wurden über 750.000 Aserbaidschaner aus dieser Region vertrieben und noch 250.000 aus Armenien selbst. Wir haben uns immer um eine friedliche Lösung bemüht. Sonst hätten wir an den fast 30 Jahre fortdauernden Friedensverhandlungen im Rahmen der Minsker Gruppe der OSZE nicht teilgenommen, die leider erfolglos waren. Alle Forderungen der Weltgemeinschaft an die armenische Seite, die besetzten aserbaidschanischen Territorien freizugeben, da der zu diesem Zeitpunkt bestehende Status quo nicht akzeptabel sei, wurde von Armenien immer wieder ignoriert. Die vier Resolutionen des UN-Sicherheitsrates von 1993 blieben auch unerfüllt.
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Ramin M. Hasanov (43) ist seit September 2016 Botschafter Aserbaidschans in Berlin.
© Quelle: Botschaft Aserbaidschan
Aber das liegt alles lange zurück, warum kam es jetzt zum Krieg?
Ausschlaggebend für den Ausbruch der Kämpfe genau zum jetzigen Zeitpunkt waren die Provokationen der neuen Regierung Armeniens. 2019 sagte der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinyan bei einem seiner provokativen Besuche in Berg-Karabach: „Berg-Karabach ist Armenien. Punkt!“ Im selben Jahr kündigte der damalige armenische Verteidigungsminister Davit Tonoyan bei einem Treffen mit der armenischen Gemeinde in New York eine Strategie der „neuen Kriege für neue Gebiete“ an. Außerdem setzte Armenien seine illegale Siedlungspolitik durch die Ansiedlung von Armeniern aus dem Nahen Osten in den besetzten Gebieten Aserbaidschans verstärkt und demonstrativ fort.
Das von Armenien gegründete und regierte illegale Regime in den besetzten Gebieten der Republik Aserbaidschan kündigte seine Absicht an, „wichtige Verwaltungsbüros“ in die besetzte Stadt Schuscha zu verlegen. Den Armeniern war selbstverständlich bewusst, dass die Stadt Schuscha für die Aserbaidschaner aus historischer, kultureller und ethnischer Sicht eine entscheidende Bedeutung hat. Im Juli 2020 griff Armenien mit schweren Waffen die von den besetzten Gebieten weit entfernte Grenzregion Tovuz in Aserbaidschan an. Infolge des Angriffs wurden ein Zivilist und mehrere Militärangehörige, darunter auch ein Armeegeneral, getötet.
Was, denken Sie, sollte mit diesem Zwischenfall bezweckt werden?
Dieser Versuch war eine Probe für einen ausführlicheren und größeren Angriff. Ich denke, die Armenier hatten vor, ihre Verbündeten in der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit in den Konflikt einzubeziehen. (Anmerk. der Red.: gemeint sind u. a. Russland, Belarus, Kasachstan und Kirgisistan). Diese Länder erkannten die Realitäten und ließen sich auf die armenische Provokation nicht ein. Gleichzeitig zielte der Angriff von Armenien in Richtung Tovuz darauf, die in der Nähe gelegene Öl- und Gasinfrastruktur zu beschädigen und damit die im Herbst 2020 geplante Eröffnung des Südlichen Gaskorridors zu verhindern.
Die Armenier konnten ihre Ziele aber nicht erreichen und die aserbaidschanische Armee konnte den militärischen Angriff zurückschlagen. Armenien hat dann zwischen Juli und September eine militärische Sabotagegruppe in unser Land geschickt, die wir neutralisiert haben. Der Leiter der Gruppe wurde festgenommen. Er gestand, dass die Gruppe Terroranschläge in Aserbaidschan durchführen wollte.
Und dann war Krieg.
Am 27. September 2020 begannen die Streitkräfte von Armenien, die Stellungen der aserbaidschanischen Streitkräfte entlang der damaligen Frontlinie intensiv anzugreifen. Daraufhin haben wir eine Gegenoffensive gestartet und letztendlich unsere seit 30 Jahren okkupierten Territorien befreit.
Armenien kritisiert, dass Aserbaidschan wie bei einem Vertreibungsfeldzug vorgegangen ist, es gibt noch circa 40.000 Flüchtlinge in Armenien, die sich nicht zurück trauen.
Armenien hat kein Recht, an diesem Punkt Aserbaidschan zu kritisieren. Armenien hat nach der Besetzung der aserbaidschanischen Territorien diese ethnisch gesäubert. Den geflüchteten Aserbaidschanern wurden einfache Rechte entzogen, und zwar das Recht auf das Leben, die Freiheit und andere Grundrechte. Aserbaidschan hat immer, auch während des 44-tägigen Krieges, das humanitäre Völkerrecht eingehalten. Wir haben das Recht unserer Staatsangehörigen armenischer Nationalität auf ein Leben in Berg-Karabach nie infrage gestellt und haben uns immer für ein Zusammenleben eingesetzt. Nach jetzigem Stand sind mehr als 50.000 Armenier nach Berg-Karabach zurückgekehrt. Selbstverständlich wäre das ohne Zustimmung Aserbaidschans nicht möglich gewesen. Auch die Rückkehr der aserbaidschanischen Binnenvertriebenen nach Berg-Karabach muss bald ermöglicht werden.
Aserbaidschan hat sich bereit erklärt, das friedliche Zusammenleben in Berg-Karabach zu gewährleisten. Daher sind „Ängste“ der in Berg-Karabach lebenden Armenier für ein Zusammenleben mit den Aserbaidschanern haltlos. In Aserbaidschan leben heutzutage fast 30.000 Armenier, und zwar ohne Probleme. Diese Menschen sind unsere Staatsangehörigen und sie haben dieselben Rechte wie die anderen. Wir leben in Aserbaidschan in einer multikulturellen und toleranten Gesellschaft. Sie finden überall in Aserbaidschan Moscheen, Synagogen, Kirchen, und Vertreter verschiedener Religionen existieren friedlich nebeneinander.
Abschied nehmen in Berg-Karabach
Der Bezirk Kalbadschar musste laut einem Waffenstillstandsabkommen im Konflikt um die Kaukasusregion an Aserbaidschan übergeben werden.
© Quelle: Reuters
Armenien wirft Ihnen vor, dass Sie noch immer Kriegsgefangene zurückhalten, die auch misshandelt werden.
Das stimmt nicht. Bestandteil der trilateralen Erklärung von Russland, Armenien und Aserbaidschan war auch der Austausch der Gefallenen und Kriegsgefangenen. Das haben wir erfüllt. Über 1300 Leichen von Soldaten und über 100 Kriegsgefangene wurden der armenischen Seite übergeben. Aber fast einen Monat nach der unterzeichneten Erklärung wurde von Armenien eine aus 62 Männern bestehende Terror- und Diversionsgruppe nach Aserbaidschan eingeschleust mit dem Auftrag, Terroranschläge zu verüben. Sie haben Zivilisten und Soldaten getötet, dann wurden sie gefasst. Die Mitglieder dieser Gruppe werden nach dem humanitären Völkerrecht nicht als Kriegsgefangene eingestuft. Sie sind Terroristen und müssen sich strafrechtlich verantworten.
Massaker von Chodschali
Aber es gibt Presseberichte und Bilder im Internet, die Misshandlungen zeigen. Was sagen Sie dazu?
Diese Behauptungen benötigen eine tiefgreifende Untersuchung und Bestätigung. Unsere Generalstaatsanwaltschaft und unsere Militärstaatsanwaltschaft untersuchen diese Fälle und reagieren auch entsprechend. Bereits gegen vier Soldaten der Streitkräfte Aserbaidschans wurden Strafverfahren eingeleitet und sie wurden inhaftiert. Einige andere Vorwürfe waren aber haltlos. Sie finden im Internet noch mehr Bilder und Videos zur Misshandlung aserbaidschanischer Soldaten durch armenische Streitkräfte. Leider ist uns zur Verurteilung armenischer Soldaten wegen Misshandlungen bisher nichts bekannt. Aserbaidschan hat die armenische Seite mehrmals dazu aufgerufen. Leider bis jetzt erfolglos.
Ich kann an dieser Stelle auch den Völkermord von Chodschali von 1992 erwähnen. Infolge dieses Völkermords gegen die in Chodschali lebende Zivilbevölkerung wurden nur in einer Nacht 613 Zivilisten, darunter 63 Kinder und mehr als 100 Frauen, auf brutalste Art und Weise getötet.
Auch im 44-tägigen Krieg setzten sich diese Kriegsverbrechen seitens Armenien fort. Im Laufe des Krieges beschoss die armenische Seite mit ballistischen Raketen und Streubomben zivile Objekte, darunter die Wohnhäuser in dicht besiedelten und weit von der Kampfzone entfernten Städten, wie Gandscha, Barda und so weiter. Wir haben mehr als 100 Opfer unter der Zivilbevölkerung. Es gab darüber Berichte von Amnesty International, Human Rights Watch, aber auch in den deutschen Medien. Ich hoffe, dass auch diese Berichte Ihnen bekannt sind.
Die Situation wirkt ziemlich festgefahren. Wie soll es jetzt weitergehen?
Der Krieg ist zu Ende. Und wir hoffen, der Konflikt auch. Wir sind Nachbarn. Die Armenier werden die Region nicht verlassen und wir auch nicht. Wir befinden uns jetzt in einem politischen Prozess. Armenien muss seinen Weg in die Zukunft finden. Zu einer friedlichen Gestaltung der Zukunft gehört die Anerkennung der Staatsgrenzen von Nachbarn und die Zusammenarbeit mit ihnen. Jetzt sollen alle Kommunikationswege zwischen beiden Ländern entsperrt und die zerstörte Infrastruktur wiederaufgebaut werden.
Armenien könnte an vielen Initiativen und Projekten hinsichtlich der regionalen Zusammenarbeit teilnehmen und davon profitieren. Man muss das Zusammenleben nur wollen. Und die internationale Gemeinschaft sollte den Wiederaufbau in den von der Besatzung befreiten Territorien Aserbaidschans unterstützen. Wir gehen fest davon aus, dass ein friedliches Miteinander auch in unserer Region möglich ist, und wir werden dafür von unserer Seite das Bestmögliche tun.