Belarus: Wenn Lukaschenko seine Gegner aus dem Flugzeug holt

Die weißrussische Polizei verhaftet den Journalisten Roman Protasevich (Zweiter von links) bei einer Demonstration im Jahr 2017 (Archivbild).

Die weißrussische Polizei verhaftet den Journalisten Roman Protasevich (Zweiter von links) bei einer Demonstration im Jahr 2017 (Archivbild).

Berlin. Es sind noch wenige Kilometer bis Litauen, da macht das Ryanair-Flugzeug plötzlich eine scharfe Rechtskurve. Ganz geradeaus ist es bisher geflogen auf seinem Weg von der griechischen Hauptstadt Athen nach Vilnius in Litauen, hat Bulgarien, Rumänien und die Ukraine überquert – und nun auch schon fast ganz den belarussischen Luftraum durchflogen.

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Aber statt an sein planmäßiges Ziel im Baltikum etwa 100 Kilometer weiter, steuert die Maschine mit der Flugnummer RYR 1TZ gemäß Flugtrackingseiten das gut 170 Kilometer entfernte Minsk an – die belarussische Hauptstadt. Es gebe eine Bombendrohung, so wird das zunächst begründet.

Erzwungene Landung in Minsk: Litauen fordert transatlantische Reaktion gegen Belarus
News Bilder des Tages 2021-05-23 Vilnius Lithuania. Belarus living in Vilnius protest against detaining by Lukashenko regime opposition activist Roman Protasevich in front of Belarus Embassy in Vilnius. Vilnius Lithuania protestas-prie-baltarusijos-ambasados-vilniuje-60aa92551b30a PUBLICATIONxNOTxINxESTxLATxLTUxFIN Copyright: xValdasxKopustasx Lithuania Belarus Ryanair

Die Behörden in Belarus hatten am Sonntag ein Ryanair-Flugzeug auf dem Weg von Griechenland nach Litauen zur Landung gedrängt.

Dort auf dem Flughafen sind Sicherheitskräfte vor Ort – und die haben besonderes Interesse an einem ganz bestimmten Passagier, so zumindest berichtet es die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja.

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Protasevich wird aus dem Flugzeug heraus festgenommen

Der regierungskritische Journalist Roman Protasevich sei aus dem Flugzeug heraus festgenommen worden, twitterte Tichanowskaja, die vor einem Jahr als Präsidentschaftskandidatin gegen den autokratisch regierenden Alexander Lukaschenko angetreten war und die seitdem in Litauen lebt.

Die OSZE hat wegen Hinweisen auf Fälschungen die Wiederholung der Wahl gefordert. Seit Monaten demonstrieren Menschen in Belarus gegen die Staatsführung, die geht drastisch gegen die Opposition vor. „Ihm droht die Todesstrafe“, schreibt Tichanowskaja zu Protasevichs Festnahme.

Über Twitter verbreitet sich die Nachricht schnell, auch an einem Pfingstsonntag, an dem viele Politiker und Politikerinnen sich eigentlich Feiertagsruhe verordnet haben. Im Auswärtigen Amt und in der EU-Kommission bemüht man sich um weitere Bestätigungen der Vorgänge. Aber je weiter der Sonntag voranschreitet, umso heftiger werden auch die Reaktionen der offiziellen Stellen. Es ist bei Weitem nicht der einzige verhaftete Oppositionelle in Belarus, von mehreren Hundert ist die Rede. Aber die Umstände sind besonders drastisch.

Für das Auswärtige Amt versucht Staatssekretär Miguel Berger es zunächst noch höflich: „Wir brauchen eine umgehende Erklärung der Regierung von Belarus zur Umleitung eines Ryanair-Flugs innerhalb der EU nach Minsk und zu der angeblichen Festnahme eines Journalisten“, twittert er.

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Von der Leyen: „Es ist völlig inakzeptabel, den Ryanair-Flug zur Landung in Minsk zu zwingen“

Etwas später legt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach – ihr Ton ist deutlich schärfer. „Es ist völlig inakzeptabel, den Ryanair-Flug von Athen nach Vilnius zur Landung in Minsk zu zwingen“, schreibt sie. „Alle Passagiere müssen sofort nach Vilnius weiterreisen können, und ihre Sicherheit muss gewährleistet sein.“ Das „alle“ schreibt von der Leyen in Großbuchstaben. Auch Protasevich, soll das heißen. Die Kommissionspräsidentin gibt auch einen entscheidenden Hinweis: Hier ist offenbar Zwang ausgeübt worden, von einer Panne oder einem Notfall kann nicht die Rede sein.

Aus dem Bundestag sind die Ansagen härter: Von „Staatsterrorismus“ spricht der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen. Der Vizevorsitzende der FDP-Fraktion, Alexander Graf Lambsdorff, bezeichnet Staatspräsident Luka­schen­ko als Kriminellen. „Mit der Entführung einer Passagiermaschine, die zwischen zwei EU-Mitgliedsstaaten unterwegs war, hat Lukaschenko eine rote Linie überschritten“, sagt er dem RND.

Der Vorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban, rät zum Umsturz: „Dieses menschenverachtende Regime verdient nur eines: den Sturz des Diktators und der Machtclique!“, twittert er.

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Forderungen nach Sanktionen werden laut

So radikal drücken es die meisten nicht aus. Aber die Forderung nach Sanktionen steht im Raum: „Der staatlichen Luftfahrtgesellschaft Belavia müssen sämtliche Landerechte entzogen werden. In Frankfurt und München dürfen keine Maschinen des Diktators mehr landen, genauso wenig wie in anderen EU-Ländern“, sagt Alexander Graf Lambsdorff. Der osteuropapolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Manuel Sarrazin, sagt dem RND: „Die EU muss auf diesen neuerlichen Fall reagieren und endlich die belarussischen Staatsunternehmen sanktionieren, die von den USA bereits auf ihre Sanktionsliste genommen wurden.“

Von den Kanzlerkandidaten und -kandidatinnen meldet sich am Abend als Erster der CDU-Vorsitzende Armin Laschet. „Wenn Belarus die Freiheit der zivilen Luftfahrt bei einem Flug zwischen zwei Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bedroht, muss sich der Europäische Rat mit Konsequenzen befassen“, twittert er.

Und nach einigen Stunden hat sich auch Außenminister Heiko Maas (SPD) seine Worte zurechtgelegt: „Dass ein Flug zwischen zwei EU-Staaten unter dem Vorwand einer Bombendrohung zur Zwischenlandung gezwungen wurde, ist ein gravierender Eingriff in den zivilen Luftverkehr in Europa“, erklärt er. „Ein solcher Akt kann nicht ohne deutliche Konsequenzen vonseiten der Europäischen Union bleiben.“ Er fordert die Freilassung Protasevichs und die Sicherheit und Unversehrtheit aller Passagiere.

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Am Montag kommen die EU-Staats- und -Regierungschefs und -chefinnen zu einem Gipfel zusammen. Der sollte sich mit dem Fall befassen, empfiehlt Maas. Die Tagesordnung dürfte einen zusätzlichen Punkt bekommen haben.

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