„Müssen davon ausgehen“, dass es Zeltstädte braucht

Bei steigenden Flüchtlingszahlen: Kommunale Spitzenverbände warnen vor Überlastung

Feldbetten stehen im Sommer in einer Notunterkunft für Flüchtlinge.

Feldbetten stehen im Sommer in einer Notunterkunft für Flüchtlinge.

Berlin. Die kommunalen Spitzenverbände schlagen angesichts eines befürchteten erneuten Anstiegs der Zahl von Flüchtlingen aus der Ukraine Alarm. „Die Landkreise stoßen insbesondere im Hinblick auf ihre Unterbringungskapazitäten an Grenzen“, sagte der Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die Zahl der Flüchtlinge, die zentral in Notunterkünften wie Zelten oder Turnhallen untergebracht worden seien, steige schon jetzt. „Wir müssen wohl davon ausgehen, dass bei einem weiteren Anstieg der Flüchtlingszahlen wieder Zeltstädte errichtet werden müssen.“ Zur Bereitschaft von Privatleuten, Flüchtlingen Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, meinte Sager: „Die Akzeptanz für solche Maßnahmen schwindet.“

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Der Deutsche Städte- und Gemeindebund forderte Bund und Länder dazu auf, Notunterkünfte vorzubereiten. „Die Kommunen können nicht die von einzelnen Migrationsforschern prognostizierten Zahlen von 500.000 Menschen zusätzlich aufnehmen, zumal die Zahl der Asylerstanträge auch wieder steigt“, sagte Sprecher Alexander Handschuh dem RND. „Die Bundesregierung muss sich dringend gegenüber der Europäischen Kommission für eine solidarische europäische Lösung bei der Asyl- und Flüchtlingspolitik einsetzen.“ In vielen Städten und Gemeinden seien die Aufnahmekapazitäten schon jetzt erschöpft. Der Deutsche Städtetag hatte sich bereits zuvor ähnlich geäußert.

Anschläge haben noch keine Auswirkungen

Russland greift in der Ukraine zivile Infrastruktur wie beispielsweise Kraftwerke an und hat damit eine Energiekrise ausgelöst. Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin wird vorgeworfen, mit seiner Taktik Ukrainer zur Flucht außer Landes zwingen und die EU destabilisieren zu wollen. Bislang bleibt der befürchtete dramatische Anstieg der Flüchtlingszahlen aus der Ukraine aber aus.

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Die EU-Grenzschutzagentur Frontex registrierte zwischen dem 14. und dem 20. November 219.099 Einreisen von Ukrainern in die Europäische Union – bei 216.070 Ausreisen. In den vergangenen Wochen seien im Zehn-Tages-Durchschnitt 31.000 Ukrainer in die EU ein- und ebenso viele wieder ausgereist, teilte Frontex auf Anfrage mit. „Es ist noch zu früh, um zu sagen, ob die jüngsten Anschläge Auswirkungen auf die Zahl der Grenzübertritte haben werden.“ In Deutschland wurden nach Angaben des Bundesinnenministeriums in den vergangenen Wochen „geringe Zunahmen bei den festgestellten Ankunftszahlen“ verzeichnet. Daraus lasse sich jedoch noch kein Trend ablesen.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sieht zwar „derzeit keine Anzeichen für eine größere Fluchtwelle aus dem Land“. Der UNHCR-Sprecher in Deutschland, Chris Melzer, sagte dem RND aber: „Auch wir gehen davon aus, dass der Winter und vor allem die Angriffe auf die Infrastruktur des Landes dazu führen werden, dass wieder mehr Menschen aus der Ukraine flüchten.“

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„Auf zwei Millionen Menschen oder mehr zusätzlich einstellen“

Der Migrationsforscher und Chef der Denkfabrik European Stability Initiative, Gerald Knaus, rechnet mit mindestens zwei Millionen mehr ukrainischen Flüchtlingen in der Europäischen Union, als derzeit in ihren Mitgliedsstaaten leben. „Wir sollten uns auf zwei Millionen Menschen oder mehr zusätzlich einstellen“, sagte er dem RND. „Das ist in etwa die Zahl an Menschen, die schon einmal hier war und dann wieder zurückgegangen ist.“ So seien seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine „viele Menschen gekommen und ab Mitte April zurückgekehrt“. Im Ausländerzentralregister waren zuletzt mehr als eine Millionen Menschen erfasst, die wegen des Krieges aus der Ukraine nach Deutschland eingereist sind. Unklar ist aber, wie viele davon Deutschland wieder verlassen haben.

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Während der dramatische Anstieg der Flüchtlingszahlen aus der Ukraine bislang ausgeblieben ist, haben die Zahlen der Asylsuchenden aus anderen Ländern deutlich zugelegt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) registrierte in den ersten zehn Monaten des Jahres 181.612 Asylanträge, mehr als die Hälfte davon von Menschen aus Syrien, Afghanistan und der Türkei. Mehr als 26.000 Asylanträge wurden allein im Oktober verzeichnet. Bei einer Fortsetzung des Trends könnte dieses Jahr die höchste Zahl seit der Flüchtlingskrise 2015/2016 erreicht werden. Damals lagen die Werte allerdings um ein Vielfaches höher (2016: 745.545).

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