Theologin Beate Gilles: „Da sage ich: danke, Heiliger Vater!“
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Beate Gilles wurde im Feburar 2021 zur Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz gewählt.
© Quelle: Schnelle/Deutsche Bischofskonfer
Berlin. Die promovierte Theologin Beate Gilles (52) wurde im Februar vergangenen Jahres zur Generalsekretärin der Deutsche Bischofskonferenz (DBK) gewählt. Sie ist die erste Frau und Nichtgeistliche in diesem Amt. Zuvor war sie Familiendezernentin im Bistum Limburg, hatte das Katholische Bildungswerk Stuttgart geleitet und war als freie Mitarbeiterin bei der katholischen Fernseharbeit des ZDF tätig. Sie gehört der Friedensbewegung Pax Christi an.
Frau Gilles, was bedeutet es Ihnen, Katholikin zu sein?
Ich bin da hineingeboren worden. Meine Eltern nahmen mich mit in die Kirche, wir beteten gemeinsam vor dem Essen, der Glauben gehört einfach in die DNA meines Lebens. Es gab kein Erweckungserlebnis oder so etwas. Als Jugendliche erlebte ich die Kirche als Ort, an dem ich über Gott, die Welt und mich nachdenken konnte. Ich durfte Verantwortung übernehmen, etwa in Jugendgruppen, oder selbst gestalten. Das und viele, viele Menschen in der Kirche inspirieren mich bis heute.
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Angesichts der Vertrauenskrise in der katholischen Kirche gibt es auch unter den deutschen Bischöfen eine wachsende Bereitschaft zu weitreichenden Reformen.
© Quelle: Reuters
Vor einem Jahr wurden Sie zur ersten Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz gewählt. Was sagt das über die Bischöfe?
Zunächst nicht mehr, als dass mein Vorgänger fast 24 Jahre dieses Amt bekleidet hat. Die Stelle war außergewöhnlich offen ausgeschrieben – und dieser Impuls kam von den Bischöfen. Sie wussten, die Zeit ist reif, hier neu zu denken und bewusst nicht nach einem Kleriker Ausschau zu halten. Ich habe gedacht, wenn jetzt die Chance da ist, sollte es auch eine Person geben, die sie ergreift.
Haben Sie sich dennoch auch gefragt, ob es hierbei um eine Quotenfrau in der Deutschen Bischofskonferenz geht?
Die katholischen Bischöfe haben sich vor einigen Jahren verpflichtet, den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen. Ich selbst bin im Laufe meines Lebens zur Verfechterin einer Quote geworden. Es braucht Standards, es braucht den aktiven Willen zu sagen, was man möchte. Niemals würde eine Frau einen Posten erhalten, ohne dafür qualifiziert zu sein. Ich finde es gut, wenn Institutionen entsprechende Signale setzen. Klar bin ich jetzt ein Stückchen Symbol, davon darf man sich nicht erdrücken lassen. Aber es ist auch ein Zeichen, dass Menschen noch Hoffnung und Vertrauen in diese Kirche setzen.
Sie arbeiten nun für ein Gremium, das mitverantwortlich war für eine „Kultur der Angst“ in der katholischen Kirche, wie es jüngst auf der Vollversammlung des Synodalen Wegs hieß. Was verbindet sich für Sie mit diesem Begriff?
Ich habe zuvor im Bistum Limburg gearbeitet, das vor einigen Jahren in eine schwere Krise geriet. Dort habe ich die Kultur der Angst kennengelernt. Ich sollte Dinge durchdrücken, die ich nicht für richtig hielt. Das stellte mich vor die Entscheidung aufzugeben, weil ich fürchtete, in dieser Situation selbst Schaden zu nehmen. Auf der anderen Seite standen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, für die ich verantwortlich war und denen ich ein gutes Arbeiten ermöglichen wollte.
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Die Theologin Beate Gilles wurde im Februar 2021 zur Generalsekretärin der Bischofskonferenz gewählt.
© Quelle: picture alliance/dpa/EPA Pool
2014 musste der damalige Bischof Tebartz-van Elst in Limburg gehen. War das die erste Erfahrung dieser Art?
Das war eine vollkommene Ausnahmesituation damals im Bistum Limburg. Spannungen oder Konflikte habe ich natürlich schon früher erlebt. Doch das ist etwas anderes als Angst. Dabei ging es eher um verschlossene Türen oder Gesprächsverweigerungen, die zu Frustrationen führen können.
Zum Beispiel?
Als Zehnjährige fragte ich den Pfarrer, ob ich Messdienerin werden darf. Seine Antwort: Wir haben doch genug Jungs. Das hat bei mir schon etwas hinterlassen.
Was genau?
Ich suche und finde Menschen, die mich begleiten und mir zeigen, wie ich nicht immer wieder vor die verschlossene Tür renne, sondern Wege zu den offenen weisen. Das ist es, was die Kirche für mich einen großartigen Ort sein lässt.
Laut Forsa haben nur 12 Prozent der Bundesbürger großes Vertrauen zur katholischen Kirche und Katholiken haben größeres Vertrauen zur EKD als zur eigenen Kirche. Was ist da los?
Vertrauen ist ein großes Wort und für uns als Kirche zentral. Da steht auf der einen Seite die schleichende Entfremdung zwischen Kirche und Mitgliedern sowie der sich durch die Aufdeckung der Missbrauchsskandale beschleunigende Vertrauensverlust. Auf der anderen Seite habe ich das Vertrauen gesehen, das im vergangenen Jahr den Notfall-Seelsorgerinnen und -Seelsorgern bei der Flutkatastrophe im Ahrtal entgegengebracht wurde. Gleiches trifft täglich auf das Personal in Krankenhäusern oder Einrichtungen der Caritas zu. Also, die Vertrauensfrage lässt sich nur sehr individuell beantworten. Wichtig für die Institution Kirche ist zu erkennen, was die Menschen von uns erwarten und was heute aus dem Evangelium heraus unser Auftrag ist.
Meine Urgroßmutter soll immer mal gesagt haben: „Die Tür zur Sakristei lass lieber zu, guck da nicht rein.“
Beate Gilles,
Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz
Was hat der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen unter dem eigentlich schützenden Kirchendach bei Ihnen persönlich ausgelöst?
Für mich war der Gedanke, dass ein Priester Kinder missbraucht, einfach unvorstellbar. Diese Taten sind entsetzlich. Mir war sexualisierte Gewalt in der Kirche zuvor – insbesondere die systemischen Zusammenhänge – in dieser Weise nicht begegnet. Jedes dieser Vergehen ist ein Verbrechen. Mit Blick auf die Kirche bewegt mich, dass Kinder noch dafür Gewalt erfuhren, dass sie über ihr Martyrium sprachen – denn über einen Priester sage man so etwas doch nicht. Meine Urgroßmutter soll immer mal gesagt haben: „Die Tür zur Sakristei lass lieber zu, guck da nicht rein.“ Ich kann sie nicht mehr fragen, was sie damit meinte. Mir ist jedoch klar, dass wir die Türen aufmachen müssen, damit es alle sehen und niemand verschämt wegschaut.
Erzbischof Kardinal Marx schrieb im vergangenen Jahr in dem Rücktrittsangebot an den Papst, die katholische Kirche sei an einem toten Punkt. Und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Bätzing, nannte sein Amt eine Aufgabe zum Weglaufen. Wie bekommt man solche Herren wieder auf Kurs?
Sie können mir glauben: Beide Bischöfe sind gut auf Kurs. Mit dem toten Punkt hat Kardinal Marx einen starken Begriff gewählt, um zu zeigen, dass sich nun etwas verändern muss und wird. Er übernimmt auch Verantwortung dafür. Und Bischof Bätzing ist ja nicht weggelaufen, sondern er hält gut das Tempo, um möglichst viele mitzunehmen.
Sind die Bischöfe Treiber des Reformprozesses oder sind sie eher Getriebene?
Die von den Bischöfen in Auftrag gegebene MHG-Studie über die möglichen systemischen Faktoren der Missbrauchstaten hat dazu geführt, dass der Weg zu Reformen und Erneuerungen unumkehrbar ist. Was jedoch viele vergessen: 2014 hat Papst Franziskus einen Fragebogen an die Synoden versendet, um zu erfahren, wie sie ihre derzeitige Situation in vielen Bereichen einschätzen. Vor allem wollte er wissen, ob die Lehre der katholischen Kirche noch vermittelbar ist. Wer das fragt, weiß schon, dass es irgendein Problem geben könnte. Rom hat uns also die Themen zur Bearbeitung auf den Tisch gelegt. Da sage ich: danke, Heiliger Vater! Seitdem reden wir eben nicht mehr nur über das katholisch verheiratete Ehepaar mit Kindern. Eine zeitgemäße Familienpastoral erfasst die große Bandbreite von Familien, Patchwork, von gleichgeschlechtlichen Beziehungen mit Kindern und von Wiederverheirateten.
Papst Benedikt XVI. bittet Missbrauchsopfer um Entschuldigung
Papst Benedikt XVI. hat Opfer sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirchen um Verzeihung gebeten.
© Quelle: dpa
Der frühere EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm sagte zu seinem Abschied im vergangenen Jahr, die Kirchen hätten innerhalb der Gesellschaft eine besondere moralische Fallhöhe. Wie sehen Sie das?
Wer wie die Kirchen Ansprüche formuliert, der wird auch daran gemessen. Junge Menschen sehnen sich nach dem klassischen Bild von Familie, hat die letzte Shell-Studie ergeben. Sie wollen heiraten, sie wollen Kinder. Also damit würden sie vollkommen der katholischen Lehre entsprechen. Es ist nicht falsch, ein Ideal zu formulieren. Aber die große Kunst ist es, das Ideal mit dem ganzen Leben in Einklang zu bringen und das Leben auch in seinen Brüchen wahrzunehmen. Christus hat seine wichtigste Stunde am Kreuz und nicht in seinen wunderbaren Predigten. Hat er den damaligen Idealen entsprochen?
Ich fand es immer traurig, wenn Frauen in die evangelische Kirche konvertierten, um ihrer Berufung folgen zu können, und Pfarrerin geworden sind.
Beate Gilles,
Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz
Sie selbst wollten nicht Priesterin werden. Was aber halten Sie von Forderungen, Frauen stärker in die geistliche Führung innerhalb der katholischen Kirche einzubinden?
Ich fand es immer traurig, wenn Frauen in die evangelische Kirche konvertierten, um ihrer Berufung folgen zu können, und Pfarrerin geworden sind. Ich kenne auch viele Ordensschwestern, die die Berufung zur Priesterin spüren. Es sind Berufungen Gottes – und es gilt, sie ernst zu nehmen und ihnen Entfaltungsraum zu geben. Das ist für Frauen als Pastoralreferentinnen oder Gemeindereferentinnen möglich. Papst Johannes Paul II. hat in den 1990er-Jahren gesagt, er sei nicht ermächtigt, Frauen zu Priesterinnen zu weihen. Es ist ein Zeichen, dass diese Diskussion nicht versiegte. Die Möglichkeit von Frauen zu predigen bereichert die Kirche. Gegenwärtig sind sie bei der Eucharistiefeier am Sonntag von diesem Dienst ausgeschlossen. Das ist ein Verlust.
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Dr. Beate Gilles, Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz) bei der Abschlusspressekonferenz der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda 2021.
© Quelle: picture alliance / Geisler-Fotopress
Frauen als Diakoninnen, verheiratete Priester, Segnung homosexueller Paare, Mitsprache von Gläubigen bei der Bischofswahl: All diese Themen, die ja auch etwas mit Demokratisierung zu tun haben, schwappen mit Macht in die katholische Kirche. Wie viel Weltliches verträgt die katholische Kirche?
Die katholische Kirche kann nur in und mit der Welt leben. Wir merken natürlich, dass sich Plausibilitäten und Erfahrungen verändern. Und wir nehmen wahr, dass nicht mehr vermittelbar ist, wie wir mit gleichgeschlechtlichen Beziehungen umgehen. Die Kirchengeschichte ist eine einzige Geschichte solcher Dynamik. Wir merken aber auch im politischen Bereich, dass Demokratie eine sensible Sache ist und nicht immer zum bestmöglichen Ergebnis führt.
Wie meinen Sie das?
Das haben wir in vielen Wahlen gemerkt, in denen Menschen demokratisch legitimiert wurden, obwohl sie Demokratie ablehnen. Aber sie sind gewählt worden. Übertragen auf die katholische Kirche heißt das: Wir haben Staus bei vielen Themen, jetzt kommt es darauf an, wie viel Verantwortung jeder übernehmen will. Denn wir müssen zur Verbesserung unserer Kirche auch solche Dinge lösen wie die Belastung leitender Pfarrer, die an der Verwaltung ihrer Aufgaben zugrunde zu gehen drohen. Es geht nicht nur darum, Macht abzugeben und zu verteilen, sondern auch Arbeit und Verantwortung. An der Stelle wird es nicht nur in der Demokratie spannend, sondern auch bei uns.
Es ist schön, bei jedem Gottesdienst eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Menschen zu treffen, mit denen mich etwas verbindet.
Beate Gilles,
Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz
Was sagen Sie Menschen, die so frustriert sind, dass sie nur noch rauswollen aus Ihrer Kirche?
Ich frage sie nach ihren frustrierenden Erlebnissen, und ich rede über meine. Ich erzähle, was mich hält und wie viel Kraft mir die Arbeit am Synodalen Weg schenkt. Es ist schön, bei jedem Gottesdienst eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Menschen zu treffen, mit denen mich etwas verbindet. Das empfinde ich als Geschenk. Viele wollen austreten wegen der Institution, aber nicht aus ihrem Glauben. Ich hoffe sehr, diese Menschen wieder zu gewinnen. Unlängst las ich in der Zeitung über den Austritt eines Mannes, den ich aus der Jugendarbeit kenne. Ihm war die Gemeinschaft immer Heimat, und trotzdem kann er nicht mehr in dieser Kirche bleiben. Mir schien es, als würde er sich ein Stück vom Herzen herausreißen. Und damit gleichzeitig aus der Kirche.
Interview: Thoralf Cleven