Was kommt nach Bachmut?

„98 bis 99 Prozent in russischer Hand“: Geisterstadt Bachmut vor dem Fall

Ukrainische Soldaten feuern eine Kanone in der Nähe von Bachmut ab. Dort finden heftige Kämpfe gegen russische Truppen statt.

Ukrainische Soldaten feuern eine Kanone in der Nähe von Bachmut ab. Dort finden heftige Kämpfe gegen russische Truppen statt.

Von Bachmut ist kaum mehr etwas übrig. Neue Satellitenbilder zeigen eine Stadt, die nur noch aus geisterhaften Ruinen besteht, in der kein Baum mehr grün und keine Straße mehr als solche erkennbar ist. Schulen, Kirchen und Wohnblöcke wurden durch schweren Artilleriebeschuss dem Erdboden gleichgemacht. Es sind Bilder apokalyptischen Ausmaßes aus der seit Monaten umkämpften Kleinstadt im Osten der Ukraine.

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+++ Alle Entwicklungen zum Krieg gegen die Ukraine im Liveblog +++

Russische Kräfte haben Bachmut praktisch vollständig besetzt. Videos aus Bachmut zeigen, dass nur noch um die letzten Häuserblocks gekämpft wird. „Im Grunde sind zwischen 98 und 99 Prozent von Bachmut in russischer Hand“, sagt Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer. „Es gibt nur noch einige Kämpfe am westlichen Stadtrand um vier Hochhauskomplexe“, so Reisner im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Von diesen Hochhäusern aus könnten die letzten verbliebenen ukrainischen Soldaten die Angriffe etwas leichter abwehren. András Rácz, Experte für Russlands Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), bestätigt gegenüber dem RND: „In der Praxis ist die Stadt jetzt von den Russen vollständig eingenommen.“

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Wagner: Ukraine hält noch 700 bis 800 Meter von Bachmut

Die in Bachmut kämpfenden, russischen Wagner-Söldner gehen von einer zeitnahen Eroberung der letzten Quadratmeter aus. „Wir machen weiter Druck und dann müssen sie sich entweder zurückziehen oder sie werden alle sterben“, sagte einer der Kämpfer in einem von Wagner verbreiteten Video am Freitag. Angeblich werde nur noch weniger als ein Quadratkilometer der Stadt von der Ukraine kontrolliert, etwa 700 bis 800 Meter.

Erste Bilder zeigen, dass ukrainische Soldaten versuchen, sich in kleinen Trupps nach Westen zurückzuziehen.

Markus Reisner,

Oberst des Generalstabsdienstes des österreichischen Bundesheers

„Wenn es keine Überraschung gibt, also einen massiven ukrainischen Gegenangriff oder Durchbruch an den Flanken, wird die Stadt Bachmut tatsächlich in den nächsten Tagen fallen“, bestätigt Reisner die russischen Geländegewinne. „Erste Bilder zeigen, dass ukrainische Soldaten versuchen, sich in kleinen Trupps nach Westen zurückzuziehen.“

Kiew: Ukrainische Truppen rücken nahe Bachmut vor

Gleichzeitig verkündet die Regierung in Kiew beinahe täglich, dass ukrainische Truppen bei Bachmut vorrücken würden. Diese ukrainischen Angriffe an den Flanken der Frontlinie finden aber einige Kilometer nördlich und südlich von Bachmut statt, nicht am Stadtrand oder gar im Zentrum. „Bedeutende Gewinne, wie einen Vorstoß bis zur Stadtgrenze, konnten die ukrainischen Truppen an den Flanken noch nicht erzielen“, macht Reisner deutlich. Die letzten ukrainischen Kräfte, die noch am Stadtrand von Bachmut kämpfen, werden unterdessen weiter zurückgedrängt.

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Die letzte Straße nach Bachmut war bereits unter russischem Beschuss, sodass eine Versorgung der ukrainischen Truppen schwierig wurde.

András Rácz,

Experte für Russlands Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)

Mit den Angriffen an den Flanken versucht die Ukraine offenbar zwei Zufahrtsstraßen nach Bachmut freizukämpfen, die der Versorgung ihrer verbliebenen Streitkräfte dienen. „Die letzte Straße nach Bachmut war bereits unter russischem Beschuss, sodass eine Versorgung der ukrainischen Truppen schwierig wurde“, erklärt Rácz. Die Ukrainer versuchen mit den Angriffen an den Flanken außerdem ein Einkesseln ihrer verbliebenen Truppen am Stadtrand zu verhindern. Diese Einschätzung teilt auch Oberst Reisner. Die ukrainischen Soldaten in den Häuserblocks sollen sich offenbar sicher zurückziehen können, so Reisner, wenn auch die letzten Gebäude von den Russen erobert wurden. Längst schicke die Ukraine nur noch Soldaten nach Bachmut, die sich freiwillig melden.

April 25, 2023, San Miguel, Zambales, The Philippines: The Patriot missile system launches a missile during a live fire weapon demonstration as part of the US-Philippines Balikatan Exercises. The drills involving American and Filipino soldiers came after China increased its military presence in and around the Taiwan-Strait which has escalated political tensions in the Indo-Pacific Region. San Miguel The Philippines - ZUMAs313 20230425_zip_s313_015 Copyright: xDanielxCengxShou-Yix

Das Geheimnis der ukrainischen Flugabwehr

Sensationelle Erfolge beim Abschuss russischer Raketen lassen Expertinnen und Experten in aller Welt rätseln: Wie ist das möglich? Offenbar helfen hochmoderne Technologien, von deren Lieferung in die Ukraine bisher kaum jemand etwas wusste.

Gefährlicher Rückzug aus Bachmut

Das Gelände rund um Bachmut ist sehr flach, zwischen den Feldern liegen kleine Waldstücke. Etwas weiter westlich befinden sich zwei Anhöhen, die von der Ukraine kontrolliert werden und die zu starken Verteidigungsstellungen ausgebaut wurden. „Dorthin müssen sich die ukrainischen Soldaten wohl bald zurückziehen“, sagt Reisner. Konkret bedeutet das: Die Soldaten müssen vom Stadtrand über offenes Gelände unter ständiger Feuergefahr von Waldstück zu Waldstück laufen, bis sie die ukrainischen Stellungen erreichen. „Ich gehe davon aus, dass sie sich nachts in kleinen Gruppen von zwei bis drei Mann zurückziehen werden“, sagt Reisner. Auch Rácz hält einen Rückzug nachts oder bei schlechtem Wetter für realistisch – und möglich.

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Russland hat vor allem im Süden von Bachmut neue Kräfte zusammengezogen, wie Teile der 72. motorisierten Schützenbrigade und der 106. Luftlandedivision.

Markus Reisner,

Oberst des Generalstabsdienstes des österreichischen Bundesheers

Die russischen Kräfte, vor allem die Wagner-Söldner, geraten nach Einschätzung von Oberst Reisner erst unter Druck, wenn die Ukraine bis hinter Bachmut vorstoßen und die russischen Truppen somit einzingeln kann. Sie würden dann in der Falle sitzen. „Dafür gibt es aber derzeit keine Anzeichen“, stellt Reisner klar. Im Gegenteil: Russland habe vor allem im Süden neue Kräfte zusammengezogen, wie Teile der 72. motorisierten Schützenbrigade und der 106. Luftlandedivision. „Die Russen setzen aber im Moment nur einen kleinen Teil ihrer Reserven ein, verstärken punktuell die Kämpfer in Bachmut, schieben aber nicht massiv neue Kräfte nach vorne.“ Sollte die Ukraine in Bachmut doch noch zum großen Gegenschlag ausholen, stehen also russische Reservekräfte bereit.

Keine ukrainische Großoffensive bei Bachmut

Nach einer ernst zu nehmenden Gegenoffensive sieht es aber nicht aus, denn an den Flanken im Norden und Süden von Bachmut befinden sich nur kleinere ukrainische Einheiten. Reisner hat auf Videomaterial Verbände der 80. Luftsturmbrigade sowie „Azov“- und Territorialeinheiten ausgemacht, die Angriffe bis zu Kompaniestärke durchführen. Es kämpfen also etwa 150 bis 200 Mann, mit vereinzelten Panzern und anderen Kampffahrzeugen im Norden und Süden. „Mit großen Brigaden und viel schwerem Material greift die Ukraine an den Flanken aber nicht an“, so Reisner. Erst bei Tschassiw Jar hat die Ukraine viele Truppen zusammengezogen. Dort befindet sich die nächste kleinere Verteidigungslinie. Über Monate hat die Ukraine diese Linie als mögliche Rückfallposition ausgebaut, wenn sie Bachmut aufgeben muss.

Mehr als einen symbolischen Sieg haben die Russen mit der Eroberung von Bachmut nicht erreicht.

András Rácz,

Experte für Russlands Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)

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Doch kaum ein Beobachter glaubt, dass die Russen nach Bachmut tatsächlich als nächstes Tschassiw Jar angreifen werden. DGAP-Experte Rácz rechnet damit, dass sich Russland vollständig auf die Verteidigung der Frontabschnitte konzentrieren wird. „Die Offensivkapazitäten der Russen sind vollständig erschöpft und Russland ist nicht in der Lage, in nächster Zeit neue Offensive zu starten.“

Tausende russische und ukrainische Kämpfer sind in den monatelangen Kämpfen um Bachmut ums Leben gekommen. Wenn Bachmut nun vollständig an die Russen fällt, haben sie laut Rácz aber nicht mehr als einen symbolischen Sieg erreicht. Und dann? „Wenn Bachmut vollständig in russischen Händen ist, wird die Stadt in der Bedeutungslosigkeit verschwinden“, glaubt Rácz. Ähnlich wie die Stadt Sjewjerodonezk, über die heute auch keiner mehr spricht.

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